Von Jens Volle – Dresden. Die Stadt scheint am Jahrestag der „Pegida“-Bewegung aufgewacht zu sein: Den ersten Erfolg konnte das Bündnis Herz statt Hetze, das die Gegendemonstrationen organisierte, schon im voraus verbuchen. Wegen der vier angemeldeten Demozüge und den Abschlusskundgebungen in der Innenstadt war kein Platz für einen Demozug der „Pegida“. Sie konnte nur eine Kundgebung am Theaterplatz vor der Semperoper abhalten. So zeigte sich in Dresden am frühen Montagabend, 19. Oktober, ein Bild, das schon viel früher und häufiger hätte zu sehen sein sollen.
Etwa 18 000 Menschen zeigten mit einem Sternmarsch die bunte und weltoffene Seite Dresdens, die Geflüchtete willkommen heißt und sich lautstark gegen Rassismus und Hetze positioniert. Niemals zuvor nahmen mehr Menschen an einer Demonstration gegen „Pegida“ teil.
Bis zu Beginn der „Pegida“-Kundgebung um 18.30 Uhr blieb es relativ ruhig für die explosive Ausgangssituation, dass bis zu 22 000 GegendemonstrantInnen und zwischen 15 000 und 20 000 „Pegida“-AnhängerInnen gleichzeitig in der Dresdner Innenstadt waren. Unter den „Pegida“-TeilnehmerInnen waren viele Neonazis und Hooligans, die aus ganz Deutschland angereist waren. Nur vereinzelt gab es Auseinandersetzungen zwischen den zwei Lagern.
Ein Blockadeversuch von etwa einhundert Linksautonomen am sächsischen Landtag, wo der Hauptanreiseweg der „Pegida“-Anhänger lag, blieb erfolglos. Die Polizei, die mit 1900 BeamtInnen am Abend präsent war, konnte die Blockade verhindern. Es kam zu kleinen Rangeleien zwischen GegendemonstrantInnen und PolizistInnen im Dunkel des nahegelegenen Zwingerteichs.
Die Oper will kein Bühnenbild für Fremdenhass sein
Auch am Rand des durch Polizeifahrzeuge und -einsatzkräfte hermetisch abgeriegelten Theaterplatzes kam es immer wieder zu Unruhe, als AntifaschistInnen versuchten, anreisenden Teilnehmerinnen der „Pegida“-Kundgebung den Zugang zum Theaterplatz zu verwehren.
Pünktlich zu Beginn der Veranstaltung wurde die Außenbeleuchtung der Semperoper ausgeschaltet. Zusammen mit weiteren Kulturinstitutionen beteiligt sich die Oper an der Aktion „Licht aus!“, um den Rechtspopulisten und Rassisten von „Pegida“ nicht die historische Kulisse der Altstadt für ihre Kundgebungen zur Verfügung zu stellen. Statt dessen war ein großer Bildschirm an der Fassade der Semperoper angebracht. Auf ihm war zu lesen: „Wir sind kein Bühnenbild für Fremdenhass.“
GegendemonstrantInnen fühlen sich von der Polizei im Stich gelassen
Außerhalb des Theaterplatzes war Dank der vielen und lauten GegendemonstrantInnen nichts von den „Pegida“-RednerInnen zu hören. Zum Jahrestag der „Bewegung“ traten unter anderem RednerInnen aus Tschechien und Italien auf, ebenso der Rechtspopulist Akif Pirinçci. In seiner halbstündigen Rede bezeichnete er die Grünen als „Kinderfickerpartei“, die Politiker „Gauleiter gegen das eigene Volk“ und Flüchtlinge als „Invasoren“. Er sprach von Muslimen, die „Ungläubige mit ihrem Moslemsaft vollpumpen“ und einer drohenden „Moslemmüllhalde“ in Deutschland. Auch bedauerte er, dass die KZs außer Betrieb sind. Er muss nun mit strafrechtlichen Folgen, unter anderem wegen Volksverhetzung, rechnen.
Als die Veranstaltung zu Ende war, schlug gleich an mehreren Orten die Stimmung um. Es entlud sich Gewalt, die vor allem von den angereisten Neonazis ausging. Das dies so geschehen konnte, war in erster Linie dem Verhalten der Polizei zuzuschreiben: Polizeiketten wurden plötzlich geöffnet, so dass Neonazis und Hooligans vor den Augen der Einsatzkräfte auf GegendemonstrantInnen losgehen konnten. Viel zu spät erst wurde eingegriffen. Es hatte fast den Anschein, als habe die Polizeiführung billigend in Kauf genommen, dass die beiden Lager aufeinandertrafen, wobei es viele Verletzte gab.
Ein Marokkaner wurde schwer verletzt
Die abreisenden „Pegida“-AnhängerInnen wurden teilweise über den Postplatz geleitet, wo eine angemeldete Gegenkundgebung stattfand. die „Postplatzkonzerte“. Keine Polizei war da, um für die Sicherheit der Teilnehmenden zu sorgen. Auch hier gab es Übergriffe gewaltbereiter „Pegida“-TeilnehmerInnen. Mehrere hundert Neonazis randalierten an der Altmarktgalerie, machten Jagd auf GegendemonstrantInnen, Journalisten und PassantInnen, die offensichtlich nicht deutscher Abstammung waren. Ein Marokkaner wurde dabei schwer verletzt.
Eine Atmosphäre der Angst legte sich auf die Innenstadt. Jede/r, der/die abreisen wollte, sah sich der Gefahr gegenüber, einem Nazimob in die Arme zu laufen. Ein Gegendemonstrant lief in Panik vor anstürmenden Hooligans hilferufend auf eine Polizeikette zu, die tatenlos am Rande stand. Er wurde von einem Beamten grob zurückgestoßen und angebrüllt, er solle sich verpissen. Die GegendemonstrantInnen, die aus Leipzig zugereist waren, wurden sogar am Hauptbahnhof in Leipzig von einer Gruppe Neonazis erwartet und angegriffen.
„Pegida“-Anhänger greifen auch Journalisten an
Viele Medienverbände wie die dju in Verdi, der DJV oder Freelens kritisierten das Vorgehen der Polizei. Sie habe nicht für ausreichend Schutz für JournalistInnen gesorgt. Ihrem Auftrag, die freie Berichterstattung zu ermöglichen, sei sie nicht im geringsten nachgekommen. Auf dem Theaterplatz wurden zahlreiche Journalisten angepöbelt, bedroht und auch angegriffen. Unter anderem wurde ein Kameramann von „Russia Today“ – einem Sender, dem „Pegida“ bislang eher wohlgesonnen war – von sechs oder sieben „Pegida“-TeilnehmerInnen zusammengeschlagen.
Der Tag machte anfangs sehr viel Mut, zeigte er doch das bunte und weltoffene Gesicht Dresdens. Aber er ging in Chaos und Gewaltexzessen zu Ende. Es könnte allerdings sein, dass diese Gewalt, die ihren Ursprung bei „Pegida“ hat, das Gegenteil bewirkt: Dass die vielen tausend Menschen, die für Toleranz, Weltoffenheit und eine multikulturelle Gesellschaft auf die Straße gingen, eine Wende in der nun einjährigen Geschichte von „Pegida“ einleiteten und auch weiter zeigen werden, dass Dresden nicht in der Hand von Rassisten, Rechtsradikalen und Neonazis ist.
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