Von Tom Guerrero und der Redaktion – Karlsruhe. Ein merkwürdiges Bild bot sich am Freitag, 7. Oktober, am Karlsruher Stephanplatz. Es war ungewöhnlich im Vergleich zu früheren Kundgebungen gegen den Aufzug von „Karlsruhe wehrt sich“ um Ester Seitz. Aufgerufen zum Gegenprotest hatten verschiedene antifaschistische Organisationen und das Bündnis „NoKargida“. Wer hinter der Mobilisierung von „Tutti Tuuti – Amore Pizza Disco“ steckt, ist unklar.
Weder die Organisatoren des Gegenprotests noch die wenigen unter den rund 250 DemonstrantInnen gesichteten Lokalpolitiker hielten Ansprachen. Auch die Vorgehensweise der Polizeikräfte war befremdlich – vor allem wegen der hohen Präsenz an Beamten in Zivil. Ester Seitz, von manchen als „Tingelhetzerin“ bezeichnet, mobilisierte etwa 40 Anhänger.
Ordnungsbehörde erteilt NPD-Mann Redeverbot
Unter dem wenig innovativen Slogan „Merkel muss weg“ scheiterte der Versuch von Seitz, deutlich mehr Unterstützer als sonst üblich zum mittlerweile 30. Aufzug der Rechtsradikalen in Karlsruhe zu mobilisieren. Im Aufgebot der Gastredner war der Ex-NPD-Mann Achim Ezer (aus dem „Kalifat NRW“), ebenso aus Sachsen Madeleine Feige. Der angekündigte dritte Sprecher aus München Lukas Bals erhielt von der Ordnungsbehörde Karlsruhe Redeverbot. Er hielt sich jedoch trotzdem bei der Veranstaltung auf – nach Aussagen eines Zeugen in deutlich alkoholisierten Zustand.
Die „Karlsruhe wehrt sich/Widerstand Karlsruhe“-Veranstaltung begann mit zirka 30 minütiger Verspätung, da vermutlich einer der Gastredner den Weg zum Veranstaltungsort nicht pünktlich fand. Ein Lokal an der Ecke Amalien-/Douglasstraße gelegen scheint sich zum Dauertreffpunkt der besonders harten rechten Fraktion zu etablieren. Wenige Minuten vor Beginn der Veranstaltung betraten drei Beamte einer BFE-Einheit das Lokal, kurz darauf und nachdem die Beamten wieder gegangen waren, verließen etwa zehn männliche Personen das Gebäude und begaben sich auf kürzestem Wege zum Veranstaltungsort.
Zivilbeamte inmitten von GegendemonstrantInnen
Dort wurden sie bereits von Ester Seitz und gut abgeschirmt durch Polizeikräfte erwartet. Während ihres Aufzugs auf der üblichen Route skandierten die Wutbürger Rufe wie „Merkel muss weg“ und „Antifa – hahaha“. Erstmals unternommen wurde der Versuch eines Livestreams via Facebook, welcher sich auch aufgrund der schlechten technischen Qualität jedoch nicht lohnt anzuschauen.
Eine auffällig hohe Anzahl an ZivilbeamtenInnen – nach unserer Schätzung 15 bis 20 – „begleiteten“ den Gegenprotest zum Teil hautnah. Die GegendemonstrantInnen trugen ihren Protest laut und bunt vor, sodass man selbst aus 50 Metern Entfernung die Wortbeiträge der Rechtsradikalen nicht mehr verstehen konnte. Da wirkte es verstörend – und es dürfte auch nicht gesetzeskonform sein -, wenn sich Beamte in die Reihen der Gegendemonstranten stellen und sich penetrant lange direkt bei den protestierenden Bürgern hinter den Absperrgittern aufhalten. Auch die Beobachtung und persönliche Begleitung der AntifaschistenInnen wurde durch Zivilbeamte den gesamten Abend über intensiv betrieben.
Festnahme wegen angeblichen Vergehens in Bruchsal
Welchen Anlass diese Vorgehensweise der Polizeikräfte hatte, blieb ein Rätsel. Fakt ist, dass am Ende der Veranstaltung ein Zugriff auf einen Antifaschisten durch die Polizei erfolgte. Es soll sich um eine Festnahme wegen eines angeblichen Vergehens in Bruchsal im März 2016 handeln. Damals richtete die Kleinstpartei „Die Rechte“ in Baden-Württemberg eine Veranstaltung zum sogenannten „Tag der Heimattreue“ aus (siehe unseren Bericht „Neonazis schwächeln in Bruchsal„).
Rund 50 der 250 Gegendemonstranten kamen aus antifaschistischen Gruppen, zumeist sehr junge Leute. Durch spontane Aktionen wurde der Protest am Veranstaltungsort selbst und in der Stadt, zum Beispiel in der Kriegsstraße, in Bewegung gehalten. Auch die Polizeikräfte wurden zum Teil überrascht und mussten generell mobil sein, ohne dass es zu nennenswerten körperlichen Auseinandersetzungen gekommen wäre.
Wutbürger versuchen Presseleute einzuschüchtern
Nach einer Klagewelle gegen frühere aktive Köpfe der Szene liegt die Vermutung nahe, dass die jungen Menschen wollen, aber nicht so richtig können. Typisch für die wohl existierende Verunsicherung sind Fragen an Pressevertreter wie „Können wir an dieser Stelle angreifen?“ – „Wird die Polizei gleich mit Schlagstockeinsatz antworten?“. Fragen, die naturgemäß von den anwesenden Journalisten unbeantwortet blieben.
Aus den Reihen der rechtsradikalen Fackel- und Fahnenträger wurde erfolglos versucht, die journalistische Arbeit zu behindern oder Medienvertreter einzuschüchtern. Zum Einsatz gebracht wurden LED-Taschenlampe und eigene FotografInnen. Nach der Veranstaltung wurde uns aus Antifa-Kreisen berichtet, dass die Wutbürger diese bei ihrem Umzug durch die dunklen Karlsruher Straßen aufs Übelste verbal angegangen und beleidigt hätten.
PEGIDA Karlsruhe will am 25. Oktober marschieren
In ihrer Abschlussrede warb Ester Seitz für einen am 25. Oktober geplanten Aufzug der neuformierten PEGIDA Karlsruhe um Thomas Rettig. Der Ex-Kargida Aktivist hatte sich erst kürzlich in einer Talkshow von Baden TV deutlich und erneut von rechtsradikalen Repräsentanten von „Karlsruhe wehrt sich/Widerstand Karlsruhe“ öffentlich distanziert. Bei der Seitz-Veranstaltung am 7. Oktober wurde jedoch deutlich, dass ihre Unterstützer verstärkt bürgerlich und im PEGIDA-Stil auftreten.
Unklar ist, ob das eine Konfrontation zweier feindlicher Lager bedeutet oder es sich um eine unter den „Machern“ abgekartete Sache handelt. PEGIDA Karlsruhe wird auch im neuen Kleid mehrheitlich von den Einwohnern abgelehnt werden, ebenso wie die peinlichen Aufzüge von Ester Seitz. Der Gegenprotest zum 25. Oktober formiert sich bereits.
Die Pressemitteilung der Libertären Gruppe Karlsruhe vom 5. Oktober im Wortlaut:
„Erneuter Naziaufmarsch am 07.10.2016 in Karlsruhe – Mehrfach vorbestrafter Nazischläger Lukas Bals und Madeleine Feige, u.a. Initiatorin asylfeindlicher Proteste in Heidenau und Umgebung, als RednerInnen angekündigt!
Für den 07.10.2016 um 19 Uhr mobilisiert Ester Seitz und ihr Netzwerk „Karlsruhe wehrt sich“ erneut zu einem Aufmarsch durch die Karlsruher Innenstadt.
Das Netzwerk gegen Rechts Karlsruhe, sowie das Antifaschistische Aktionsbündnis rufen ab 18 Uhr zu einer Gegenkundgebung auf dem Stephanplatz auf.
Als Redner*innen des Naziaufmarsches werden Achim Ezer, Lukas Bals und Madeleine Feige angekündigt.
Achim Ezer war Gründer und Bundesleiter des nationalsozialistischen “Bildungswerk deutsche Volksgemeinschaft” (BDVG), welche Mitglied im Nazinetzwerk „Nationale Kräfte Baden-Württemberg“ war. Zuletzt referierte er im Juni bei einem Schulungswochenende unter dem Titel “Tage deutscher Gemeinschaft – Begegnungen der Generationen” im Harz zusammen mit dem Holocaustleugner Günter Deckert.
Ezer wird auf der Seite von „Karlsruhe wehrt sich“ als Vertreter des „Kalifats NRW“ angekündigt.
Neben Ezer wird mit Lukas Bals ein weiterer bekennender Nationalsozialist genannt.
Lukas Bals ist mehrfach vorbestraft, unter anderem wegen gefährlicher Körperverletzung, Hausfriedensbruchs, Beleidigung und Verstößen gegen das Versammlungsgesetz.
Besondere Aufmerksamkeit erlang er, als er 2014 zusammen mit einigen Kameraden der Partei „Die Rechte“ am Wahlabend das Dortmunder Rathaus stürmen wollte und dabei mehrere Personen verletzt wurden.
Lukas Bals lebte in Dortmund in der sogenannten „NS-Area“ in Dorstfeld. Auf Demonstrationen verunglimpfte er mit seinen Kameraden NS-Opfer wie Anne Frank („Anne hats erwischt“, wer sitzt im Schrank? – Anne Frank“ oder „Anne Frank war essgestört“) oder das Mordopfer Thomas „Schmuddel“ Schulz („Schmuddel hats erwischt“).
Inzwischen lebt Lukas Bals in München, wo er am Abend des 04. September bei einem Angriff auf Antifaschist*innen während einer AfD-Wahlparty beteiligt war.
Ester Seitz kündigt Lukas Bals mit den Worten: „aus München, der Landeshaupstadt des „Einfallstors Bayern““ an.
Als dritte Rednerin ist Madeleine Feige, „Widerstandskämpferin aus Sachsen“ angekündigt, welche neue „Aspekte aus Dunkeldeutschland“ mitbringen soll.
Madeleine Feige fungierte unter anderem als Anmelderin asylfeindlicher Proteste in Heidenau und weiteren sächsischen Städten, an welchen auch die sogenannte Bürgerwehr Freital aufgerufen hatte.
Sie ist „Mitglied der AfD und noch dazu in Bürgerbewegungen aktiv“ (Madeleine Feige). Sie zeichnet sich verantwortlich für die Dresdner Bürgerwehr “Initiative Bürger schützen Dresden” und die Bürgerinitiative Wilsdruff. Weiterhin pflegt sie Kontakte zu Pegida, den „Wellenlängen“, der Identitären Bewegung und weiteren neu-rechten Netzwerken um Jürgen Elsässer und Götz Kubitschek.
„Am 07.10. werden bekennende und vorbestrafte Nationalsozialisten, flankiert von einer Frau, welche Verbindungen zwischen erzkonservativen, rechtspopulistischen und extrem rechten Netzwerken pflegt und vorantreibt, ihre Hetze auf die Straße tragen.“, so Petra Schwarz, Pressesprecherin der Libertären Gruppe Karlsruhe.
„Auch dieses Mal wird das Treiben nicht unwidersprochen bleiben. Wir rufen zur Teilnahme an der Kundgebung des Netzwerks gegen rechts und eigenständigen kreativen Aktionen auf.“, so Schwarz weiter.“
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