Von unserer Redaktion – Berlin. Was seine Recherche ergab, hätte sich Arnd Henze vom ARD-Hauptstadtstudio niemals vorstellen können. Doch je länger er untersuchte, weshalb Bundespresseamt und BKA beim Hamburger G20-Gipfel ohne Rücksicht auf die Pressefreiheit 32 Journalisten nachträglich die Akkreditierung entzogen, desto mehr neue Fragen taten sich auf. Vollständig beantwortet sind sie bis heute nicht. Elf betroffene Fotografen und eine Textjournalistin stellen bis zum 10. Dezember im Berliner Weinbistro La Marmite Fotos aus. Sie entstanden während des Gipfels in Hamburg und bei früheren beruflichen Einsätzen.
Inzwischen ist klar: Die deutschen Sicherheitsbehörden horten in ihren Informationssystemen in großem Stil Daten. Es handelt sich um Einträge über Menschen, die sich tatsächlich oder auch nur angeblich etwas zu schulden kommen ließen. Dabei nimmt es die Polizei weder mit der Wahrheit noch mit dem Datenschutz oder Löschfristen so genau – obwohl jeder Streifenbeamte auf das brisante Material zugreifen kann.
Betroffen sind Hunderttausende. Der Skandal um die entzogenen Akkreditierungen ist wohl nicht einmal die Spitze des Eisbergs. Manche Datenschützer gehen inzwischen so weit, ihn zum Glücksfall zu erklären: Er macht die Praxis der Behörden publik – am Beispiel von Menschen, die gewohnt sind, in der Öffentlichkeit zu stehen – und in der Lage, sich gegen rechtswidrige Praktiken zu wehren.
Jeder Bereitschaftspolizist sah die Namen
Zur Eröffnung der Ausstellung „Die Diskreditierten – Fotografen zwischen den Fronten“ kamen etwa 200 Interessierte. Wegen des Andrangs mussten die Veranstalter in die benachbarten Räume der griechischen Gemeinde ausweichen. Arnd Henze berichtete, wie er in Hamburg auf die „hochtoxische Liste“ mit den Namen der von der Berichterstattung über den G20-Gipfel Ausgeschlossenen stieß. „Hochtoxisch“ insofern, als „jeder ausländische Geheimdienst, jeder Verfassungsschutz“ die Liste nur zu gern bekommen hätte. Sie wurde in Hamburg vielfach kopiert. Jeder vor einem Hotel postierte Bereitschaftspolizist konnte sie einsehen.
Die 32 aufgeführten Journalisten wurden – oft auf Grundlage falscher oder illegal gespeicherter Daten – als „Sicherheitsrisiko“ gebrandmarkt. Und jeder, der wollte, las die Namen auf der von Wachmann zu Wachmann kursierenden Liste mit.
Zu den Ausstellungsmachern gehört auch Alfred Denzinger, der Chefredakteur der Beobachter News. Er hatte die Akkreditierung für den G20-Gipfel zunächst zugesagt bekommen, erhielt den Ausweis aber nicht ausgehändigt, als er ihn beim Pressezentrum abholen wollte. Mit Unterstützung der dju (Deutschen Journalistinnen- und Journalisten Union) in Verdi ersuchte er bei den Behörden um Auskunft und erhob Klage beim Berliner Verwaltungsgericht: Es soll nachträglich feststellen, dass der Entzug der Akkreditierung nicht rechtmäßig war. Verdi gibt acht der betroffenen Journalisten Rechtsschutz.
Einträge sind schlicht fehlerhaft
Bei der Ausstellung zeigt Denzinger nicht nur eine Aufnahme bewaffneter Polizisten bei G20 in Hamburg, sondern auch ein Foto von jenem Ereignis, das vermutlich Ausgangspunkt der Verweigerung der Akkreditierung war: eine Kundgebung gegen die erzkonservative Piusbruderschaft 2011 in Stuttgart. Denzinger dokumentierte das Geschehen als Pressefotograf. Seine Aufnahme in die Datei als „Straftäter linksmotiviert“ erfolgte jedoch wohl schon ein Jahr früher: Da zeigte ihn ein später wegen des Vorfalls verurteilter Neonazi wegen Beleidigung an. Zwar zog der Neonazi seine Anzeige zurück, und die Staatsanwaltschaft stellte die Ermittlungen gegen Denzinger ein. Doch so etwas scheint die aktenführende Behörde nicht im mindesten zu irritieren.
Inzwischen hat das BKA eingeräumt, dass die gegen Denzinger erhobenen Vorwürfe in Zusammenhang mit der Kundgebung gegen die Piusbruderschaft – unter anderem Körperverletzung – falsch sind. Sie beträfen ihn nicht, schreibt die Behörde lapidar – obwohl sie bisher über ihn gespeichert waren und ihn jahrelang in schiefes Licht rückten.
Tatsächlich wurde Denzinger damals nur Hausfriedensbruch vorgeworfen. Der Staatsanwalt stellte die Ermittlungen ein – schließlich war Denzinger als Journalist unterwegs, und der angebliche Hausfriedensbruch geschah im öffentlichen, allgemein zugänglichen Raum. Dennoch blieb der Vorwurf bis heute in der Straftäterdatei gespeichert.
Nach dem Muster des Kinderspiels „stille Post“
Zum Auftakt der Ausstellung diskutierten die Fotojournalisten Björn Kietzmann und Frank Bründel mit Arnd Henze vom ARD-Hauptstadtstudio und taz-Journalist Martin Kaul über die Datensammelwut der Behörden mit ihren massiven Folgen für die Pressefreiheit.
Moderator Martin Kaul fragte Frank Bründel zunächst nach seinen Arbeitsbedingungen. Der Hamburger Fotojournalist ist seit 28 Jahren als Freiberufler unterwegs. Er ist spezialisiert auf „Blau- und Rotlichtthemen“ – also auf Einsätze der Polizei und der Feuerwehr -, dokumentiert aber auch Demonstrationen. „Wichtig sind ein Helm und gute Schuhe“, erklärte er. Selbst als Konkurrenten blieben die Kollegen in brenzligen Fällen zusammen und kümmerten sich umeinander.
Bründel erfuhr erst durch einen Anruf des NDR, dass ihn die Sicherheitsbehörden als Risiko einstuften. Sie waren auf seinen Namen auf der Liste des BKA gestoßen. Bründel wunderte sich, da er meist gute Zusammenarbeit mit Polizisten und Feuerwehrleuten im Einsatz pflegt. Wie sich später herausstellte, ging seine Diskreditierung auf einen Fehler Bremer Bereitschaftspolizisten zurück. Sie hatten am 1. Mai in Hamburg die Personalien des Fotografen überprüft und ihn in Zusammenhang mit linksextremistischen Straftaten gebracht. Der Vorwurf wurde dann ungeprüft von Behörde zu Behörde weitergegeben.
Offenbar Festnahmen im Ausland registriert
Ähnlich war es bei dem Fotografen Björn Kietzmann, der in Berlin hauptsächlich soziale Themen bearbeitet, überdies Proteste, Neofaschismus, Flucht und Migration. „Zwischen den Fronten“ könnte man sich als Journalist etwa bei einem Problem-Fußballspiel oder einer Pegida-Demonstration durchaus fühlen, sagte er – etwa wenn es heißt, da komme die Lügenpresse.
Kietzmann war auch schon in Syrien oder der Türkei als Journalist unterwegs. Auch ihm wurden beim G20-Gipfel „Erkenntnisse“ der Sicherheitsbehörden zu Last gelegt, die auf falschen und rechtswidrig gespeicherten Daten beruhen. So war er etwa bei Recherchen über die Balkan-Flüchtlingsroute von den mazedonischen Behörden als illegaler Grenzverletzer festgenommen worden. Bei einem Recherche-Einsatz im türkisch-kurdischen Grenzgebiet wurde er ebenfalls festgenommen und über 30 Stunden festgehalten. Die beiden Zwischenfälle fanden später offenbar Eingang in die Datenbaken deutscher Sicherheitsbehörden.
Eine Umkehrung der Unschuldsvermutung
Arnd Henze schilderte, wie es kommt, dass von der Polizei massenhaft Daten gespeichert werden. Sobald gegen jemanden aus welchen Gründen auch immer ermittelt wird, erfolgt ein Eintrag in die Polizeidatenbanken. Werden die Ermittlungen eingestellt, weil sich der Vorwurf nicht bestätigt, bleiben die Daten dennoch gespeichert – schließlich sei ja der Verdacht nicht ausgeräumt. Es handelt sich also um eine Umkehrung der Unschuldsvermutung. Henze sprach von einer „Grauzone“ im Gesetz. Offenbar würden auch Freisprüche von Gerichten den aktenführenden Behörden oft nicht weitergemeldet.
Henze empfahl – keinesfalls nur Journalisten -, bei den Sicherheitsbehörden Auskunft über die über einen selbst gespeicherten Daten zu verlangen, etwa mit Hilfe der Internetseite www.datenschmutz.de. Die Datensammelwut von Verfassungsschutz und Polizei betreffe Hunderttausende. Allein in der Rauschgift-Datei würde die Namen von 470 000 Menschen geführt: „Das ist die Realität der Speicherung.“
Verdi erwägt weitere Klagen
Wie Peter Freitag vom dju-Bundesvorstand in der Verdi-Zeitschrift „M – Menschen machen Medien“ schreibt, teilen inzwischen auch Verantwortliche des Bundesinnenministeriums hinter vorgehaltener Hand die Auffassung, dass der Akkreditierungsentzug nicht rechtmäßig war.
Sollten die Klagen beim Berliner Verwaltungsgericht erfolgreich sein, werde man auch über Schadenersatz sprechen müssen, so Freitag. Gerade für freie Journalisten dürfte sich die Abqualifizierung als Sicherheitsrisiko wohl geschäftsschädigend auswirken. „Wir sind gebrandmarkt, wir 32“ habe Elsa Koester, Redakteurin des Neuen Deutschland, geschrieben, die zu den Betroffenen gehört.
Die Ausstellung läuft noch bis 10. Dezember im Weinbistro La Marmite, Schützenstraße 3, 12165 Berlin.
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