Von Alfred Denzinger – Backnang. Die Veranstalter hatten 50 TeilnehmerInnen angemeldet und auf 100 gehofft. Doch es kamen gut 250 zu der Kundgebung „Backnang besser ohne Nazis!“ am Samstagvormittag, 27. Oktober, vor dem alten Rathaus. Sie folgten einem Aufruf des Bündnisses „Zusammen gegen Rechts Rems-Murr“ und wandten sich gegen rechte Schmierereien und Übergriffe in der Region. Die Redner des gastgebenden Bündnisses thematisierten die Aktivitäten der Rechten, analysierten aber auch den gesellschaftlichen und politischen Rechtsruck und die Strategien von AfD, Pegida oder Reichsbürgern.
Nach der Kundgebung zogen 150 TeilnehmerInnen in einer Spontandemonstration zum Bahnhof. Am frühen Vormittag hatten etwa 20 NazigegnerInnen gegen einen Infostand von sechs bis sieben Anhängern der AfD in der Innenstadt protestiert und ihn umzingelt. Die AfDler brachen ihren Infostand genervt ab. Es soll in Zusammenhang mit den Aktionen gegen den AfD-Infostand zwei Anzeigen gegeben haben: Kundgebungsteilnehmer berichteten, sie seien von AfD-Anhängern wegen angeblicher Gewalt am Infostand erstattet worden. Nach Angaben der Polizei gab es dagegen zwei Anzeigen von Polizisten, die beleidigt worden seien.
Nach einem Angriff auf MigrantInnen in Winnenden hatte das Bündnis „Zusammen gegen Rechts“ schon Mitte September zu einer Kundgebung „Für eine Welt ohne Rassismus“ aufgerufen, an der sich etwa 400 Menschen beteiligten (siehe „Bedrohung von Migranten nicht hinnehmbar„).
Transparent an der Schule
Auch in Backnang versammelte sich ein breites Publikum von Menschen aller Altersgruppen, darunter viele aus dem gewerkschaftlichen Spektrum. An einem Infotisch und an Stellwänden konnten sich die BesucherInnen der Kundgebung über die Aktivitäten der lokalen Neonazis informieren. Flyer, Aufkleber und Straßenkreide wurden zum Mitmachen verteilt. Kinder und Eltern konnten eine Stoffbahn mit bunten Handabdrücken gestalten.
Die Polizei hielt sich am Samstag zurück – selbst als bei der Spontandemonstration ein Transparent „Backnang bleibt antifaschistisch“ am Geländer einer Schule aufgehängt und ein oder zwei Rauchfackeln gezündet wurden. Auch der Staatsschutz war vor Ort.
Von den Veranstaltern befürchtete, und von den Neonazis im Internet angekündigte rechte Provokationen blieben aus. Dagegen gab es viel Zuspruch von Passanten. Einige MigrantInnen strahlten regelrecht. Auch Gewerbetreibende applaudierten.
SS-Runen und rassistische Sprüche
Um Faschisten das Handwerk zu legen, sei ein längerer Atem nötig. Nur so ließen sich die Rechten zurückdrängen, erklärte das gastgebende Bündnis. Seit Januar 2017 hätten Neonazis gezielt Brücken oder Mauern beschmiert, hieß es auf einer Infotafel (siehe unten) – unter anderem mit SS-Runen oder Sprüchen wie „Ausländer raus“. Immer wieder werde das Kürzel „ANRM“ (Autonome Nationalisten Rems-Murr) verwendet. Deshalb könne man von einer „mehr oder weniger organisierten Gruppe ausgehen“.
Zuletzt wurden das Haus und das Auto des Herausgebers der Beobachter News beschmiert. Es gab einen Farbanschlag auf das IG Metall-Haus in Waiblingen und großflächige, rassistische Schmierereien an einer Berufsschule. Doch rechte Hetzer hätten „keine Antworten auf die Probleme der Gesellschaft“. Als Beispiele wurden etwa der Wohnungsmangel, Armut und prekäre Beschäftigung oder der Pflegenotstand genannt.
Von wegen „national befreite Zone“
Trotz neonazistischer Schmierereien und Aufkleber: „Backnang ist selbstverständlich keine national befreite Zone“, erklärte Dieter Böttcher, der im Bündnis gegen Rechts in Waiblingen mitarbeitet. Alles, wozu die „Autonomen Nationalisten Rems-Murr“ in der Lage sind, seien „Nacht und Nebel-Aktionen“. Doch „was jetzt noch stümperhafte Aktionen verhetzter Jugendlicher sind“, könne sich langfristig in eine gefährliche Richtung entwickeln.
Der Redner verwies auf die „Pseudo-Gewerkschaft Zentrum Automobil“. Deren Führer Oliver Hillburger aus Althütte habe lange in einer Rechtsrockband gespielt: „Diese liefert den Soundtrack für die Videos des NSU.“ Heute versuche Hillburger, „die Belegschaften großer Betriebe zu spalten, um die Gewerkschaftsbewegung zu schwächen“. Das zeige eine Aufgabenteilung der radikalen Rechten: „Die Alten arbeiten ’seriös‘ im Betrieb gegen Linke, die Nazi-Jugend versucht mit Einschüchterungsaktionen ein Klima der Angst zu erzeugen“.
Medienschelte und Parallelwelten
Ein weiterer Redner thematisierte die PR-Strategien der Rechten. Einer ihrer ersten Schritte sei überall die Hetze gegen gängige Medienformate wie die öffentlich-rechtlichen Medien. Auch wurde gegen die sogenannte „Lügenpresse“ gehetzt, die angeblich abweichende Meinungen nicht darstelle und sogar unterdrücke. Dann kamen die Fake-News-Debatte und die Blütezeit der Verschwörungstheorien.
In dieser Zeit hätten neben AfD und Pegida auch die verschwörungstheoretischen Reichsbürger an Einfluss gewonnen. Es hätten sich rechte Parallelwelten herausgebildet, in denen angeblich tagtäglich Migranten Deutsche vergewaltigen oder ermorden: „Wer in so einer Wahnvorstellung gefangen ist, dem kann man mit Argumenten nicht mehr beikommen.“
Opfermythos und Tabubrüche
Nach dem Angriff auf die Glaubwürdigkeit der Medien hätten die Rechten systematisch ihren Opfermythos ausgebaut. Diese Opferhaltung begegne einem auch im Rems-Murr-Kreis: Als großflächige, faschistische Schmierereien an der Berufsschule auftauchten, habe es nicht lange gedauert, bis sich angeblich „ehemalige und aktive Schüler“ zu Wort meldeten und behaupteten, von linken Lehrern benachteiligt worden zu sein. „Eine Nähe von diesen vorgeblichen ‚Schülern‘ mit dem Täterkreis der Schmierereien kann nicht ausgeschlossen werden“, so der Redner.
Ein weiterer Schritt seien Tabubrüche und die allmähliche Verschiebung des öffentlich Sagbaren nach Rechts. So hatte Beatrix von Storch (AfD) kurz vor einem Auftritt in Backnang im Landtagswahlkampf gefordert, bei illegalen Grenzübertritten auch gegen Menschen zu schießen. Den Boden für dieses Konzept der AfD hätten zuvor schon andere bereitet – etwa Thilo Sarrazin, noch immer SPD-Mitglied, mit Pamphleten gegen Muslime, Migranten und die sogenannte ‚Unterschicht‘.
„Die Rechten diktieren den Diskurs“
„Was wir damals und auch heute noch brauchen, ist entschiedene Zurückweisung solcher Parolen, was wir damals und heute brauchen, ist, dass man solchen chauvinistischen Scharfmachern keine Bühne für ihre Propaganda bietet, wie es gerade namhafte Boulevardblätter Tag für Tag machen“, forderte der Redner.
Wie einfach es Rechten gemacht werde, ihre Propaganda mit bestmöglichster Öffentlichkeit zu verbreiten, habe die Wahl der Gesprächsthemen bei Talkshows vor der Bundestagswahl 2017 gezeigt. Überall sei über Geflüchtete und deren angebliche Kriminalität geredet worden – über „die wirklichen Probleme, mit denen der Großteil der Menschen in diesem Land konfrontiert sind“, dagegen nicht: „Die Rechten diktieren den politischen Diskurs und lenken damit von wirklich brennenden Fragen unserer Zeit ab.“ Es liege „an uns, die Mythen und den Einfluss der Rechten zu entzaubern und zurückzudrängen“.
„Der Rechtsruck gewinnt an Fahrtwind“
Eine Rednerin beschäftigte sich allgemein mit dem heutigen Zustand der Gesellschaft. Er erinnerte an die Hetzjagden von mehreren hundert Neonazis in Chemnitz und an Debatten im Bundestag, in denen sich ein Eklat von AfD oder CSU an den anderen reihe. Aber auch an die regelmäßigen Zeitungsartikel über faschistische Sprühereien in Backnang und Umgebung sowie rechte Angriffe auf das selbstverwaltete Jugendzentrum.
Es handele sich um den gesellschaftlichen Rechtsruck, der sich vor ein paar Jahren noch mit den ersten brennenden Flüchtlingsunterkünften und dem zunächst langsamen Erstarken der rassistischen Partei AfD nur angedeutet habe: „Mittlerweile – gewinnt er an Fahrtwind, wird spürbar für jede und jeden einzelnen von uns.“
„Die AfD steht garantiert nicht für den kleinen Mann“
Die AfD gebe denjenigen die Schuld an gesellschaftlichen Missständen, „die am wenigsten von uns allen haben – Migrantinnen und Migranten – die ihre Heimat aufgrund von Kriegen und Hunger verlassen mussten und hier aufgrund von ständigen Asylrechtsverschärfungen kaum die Gelegenheit bekommen, sich ein gutes Leben aufzubauen.“
Die AfD stehe „garantiert nicht für den kleinen Mann“. Sie spiegele vielmehr „eine kleine Elite wider“ und wolle genau diese weiter erhalten. Insbesondere die CSU stehe der AfD jedoch in kaum etwas nach, „wenn es darum geht rassistische Äußerungen von sich zu geben. Beide in Kombination ebnen Nazis, die auf Menschenjagd gehen, jüdische Restaurants oder Geflüchtetenunterkünfte angreifen, den Weg.“
AfD als parlamentarischer Armt der Rechten
Der nächste Redner beschäftigte sich mit dem Zusammenspiel von AfD und weiter rechts stehenden Parteien und Organisationen. Die AfD habe sich mit der Zeit politisch und in ihrer personellen Zusammensetzung, stark nach rechts bewegt. Bei der anfänglichen Abgrenzung etwa in Richtung Pegida habe es sich um ein Täuschungsmanöver gehandelt. Die AfD hat sich zu jedem Zeitpunkt ihres Bestehens „als der parlamentarische Arm der Rechten erwiesen“.
So sei die AfD-Prominenz in Chemnitz „an der Spitze eines Mobs von Rassisten und Faschisten“ marschiert, „die den tragischen Mord an einem links offenen Chemnitzer für ihre menschenverachtende Hetze instrumentalisieren wollten“. Der politische Hintergrund des Getöteten offenbare, dass es „keiner rechten Gruppierung um Trauer geht“. Vielmehr versteckten sich unter dem Deckmantel der Bestürzung Forderungen nach Totalüberwachung und Ausgrenzung „all jener, die nicht in ihr krudes, veraltetes Weltbild passen“, und nach der Abschaffung demokratischer Rechte ihrer Feindbilder– „ob sie Antifaschisten, Gewerkschafter, Umweltschützer oder Linke sein mögen“.
„Widerstand gegen Rechts ist legitim“
Viel Beifall erhielt die letzte Rede zur so genannten „Extremismustheorie“, nach der sich Rechts und Links angeblich wie die Enden eines Hufeisens einander annähern und gleichgesetzt werden. Linksextremisten seien demnach „genauso schlimm wie Rechtsextremisten“. Auch der Backnanger CDU-Oberbürgermeister Frank Nopper sei ein Vertreter dieser Theorie. Er habe Ende September in der „Backnanger Kreiszeitung“ eine Häufung links- und rechtsextremer Schmierereien beklagt und sich „gegen Extremismus jeder Couleur“ gewandt.
Auf der einen Seite gebe es bekennende Faschisten, die das Backnanger Rathaus mit SS-Runen verschandeln, Hakenkreuze schmieren oder „Nigger jagen“ an eine Berufsschule schreiben. Und es gebe Menschen, die sich dazu berufen fühlten, solche „menschenverachtende Propaganda nicht stehen zu lassen, und sie mit Slogans gegen die Rechten“ übermalten. Der Redner weiter: „Angesichts der unzähligen Verbrechen, die die Faschisten in Europa bereits seit den 1920er Jahren vor allem in Italien und Deutschland begangen haben, ist Widerstand gegen heutige Rechte legitim.“
„Die Gleichsetzung ist gefährlich“
Rechte wollten Menschen aufgrund von etwas diskriminieren, das sie nicht ändern können – etwa sexuelle Orientierung, Hautfarbe oder Herkunft. Auch hätten sie immer „felsenfest auf dem kapitalistischen Wirtschaftssystem“ bestanden und diejenigen angegriffen, die den Kapitalismus abschaffen wollten und sich für eine bessere, solidarische Gesellschaft einsetzten.
Links und Rechts gleichzusetzen sei nicht nur falsch, sondern auch „sehr gefährlich“. „Denn mit der Extremismustheorie hat man in der Vergangenheit vor allem eines erreicht: Der Widerstand gegen Rassismus und Faschismus wurde geschwächt, weil er dadurch gespalten wurde.“
Nazi-Aktivitäten in der Region (Quelle: Zusammen gegen Rechts Rems-Murr):
„Seit Januar 2017 beschmieren Nazis gezielt Brücken, Mauern und sonstige Infrastruktur u.a. mit SS-Runen oder Sprüchen wie „Ausländer raus!“. (zB. In Maubach, Brückenpfeiler an der B 14 zwischen Leutenbacher Tunnel und der Ausfahrt Nellmersbach). Immer wieder wird das Kürzel „ANRM“ (Autonome Nationalisten Rems Murr) verwendet, weshalb man von einer mehr oder weniger organisierten Gruppe ausgehen kann.
18. Februar 2017 Fünf Faschisten versuchen im selbstverwalteten Jugendzentrum Backnang eine Schlägerei zu provozieren. Nach einem erteilten Hausverbot und Rausschmiss‘ wird die Türklinke des Zentrums mit Fäkalien eingeschmiert, sowie die Toiletten mehrmals mit Hakenkreuzen und Runen verunstaltet.
10. April 2017, in der Lindentaler Straße in Rudersberg-Schlechtbach an einem Transformatorenhäuschen eindeutige Symbole und Schriftzüge der Neonazi-Szene. Unter anderem wurde das als Hakenkreuz-Ersatz dienende Keltenkreuz angebracht.
4.Juni Backnang. In der Nacht von Sonntag auf Montag wurden am Backnanger Bahnhof ausländerfeindliche und faschistische Schmierereien angebracht. Auch die „Wolfsangel“ ist dabei.
13. Juni 2017 In Rudersberg wird das Haus eines bekannten Journalisten, der über neonazistische Aktivitäten berichtet, mit Farbe angegriffen, dazu wurden zwei Reifen seines Autos aufgestochen.
1. Juli 2017 In der Nacht vor einem bildungspolitischen Fest des Jugendzentrum Backnangs werden zahlreiche Aufkleber und Schmierereien in Backnang gesichtet, dazu ein Plakat am Veranstaltungsort mit der Aufschrift „NS-Area“.
8. Juli 2017 Das Haus des bekannten Journalisten wird erneut angegriffen, diesmal werden auch faschistische Symbole und Drohungen an die Wände geschmiert.
11. August 2017 An einer Schule in Plüderhausen wurde auf dem Schulhof mit Dämmmaterial ein Hakenkreuz gelegt.
17. August 2017 Am Todestag von Hitlers Stellvertreter Heß werden in Backnang zwei Holzkreuze, sowie Transparente, die an ihn „gedenken“ sollen, angebracht.
13. September 2017 Rudersberg-Mannenberg, Unbekannte beschädigen auf der Aussichtsplattform Haube eine Parkbank. In das Holz der Ruhebank ritzen die Täter mehrere verbotene Symbole – darunter auch Hakenkreuze.
28. Oktober 2017 Während eines Vortrags zum Thema Naziaktivitäten im Rems-Murr-Kreis im Jugendzentrum Backnang wird ein Banner mit dem Schriftzug „Antifas umboxen!“ neben dem Veranstaltungsort aufgehängt.
12. März 2018 Hakenkreuz-Schmierereien am Backnanger Bahnhof.
08. Juni 2018 Veranstaltung der NPD-Jugendorganisation „Junge Nationalisten“ in Weissach
17. August 2018 Angriff auf Haus des bekannten Journalisten. Der Angriff steht offensichtlich im Zusammenhang mit der Kundgebung für Seenotrettung, die am kommenden Tag in Backnang stattfinden soll, über die der Journalist berichtete.
18. August 2018 Faschisten provozieren auf einer Kundgebung für Seenotrettung in Backnang. Im Umfeld des Kundgebungsortes sind viele rechte Aufkleber zu finden.
30. August 2018 Zwei Faschisten beleidigen und bedrohen zwei Flüchtlinge in Winnenden. Bei einer Kontrolle werden zahlreiche Waffen bei den Aggressoren festgestellt.
19. September 2018 Am Backnanger Berufsschulzentrum werden großflächig Nazischmierereien angebracht. Neben den einschlägigen Runen sind auch Drohungen gegen Linke und migrantische Schüler zu finden.
30. September 2018 In der Nacht von Samstag auf Sonntag schmieren Unbekannte ein Hakenkreuz auf ein Garagentor im Lutherweg in Backnang.“
Dem Bündnis „Zusammen gegen Rechts Rems-Murr“ gehören an:
Amnesty International Waiblingen
Antifaschistisches Aktionsbündnis Stuttgart
Antifaschistische Linke (Antiautoritäre) Rems-Murr
Attac Fellbach
DGB Ortsverband Fellbach
DGB Rems-Murr
Die Linke Kernen-Fellbach
Die Linke Rems-Murr
DKP Rems-Murr
IG Metall Rems-Murr
Initiative Rems-Murr nazifrei!
linksjugend[‘solid] Rems-Murr
Jusos Rems-Murr
MLPD Ludwigsburg/Rems-Murr
Offenes Antifaschistisches Treffen Rems-Murr
ÖkoLinx – ARL Ludwigsburg
VVN-BdA Rems-Murr
Zusammen Kämpfen [Stuttgart]
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