Von Tape Lago – Frankfurt. In der Frankfurter Innenstadt demonstrierten am Samstag, 22. Dezember, 2000 AntifaschistInnen, Linke, Autonome und andere BürgerInnen gegen eine Serie von Brandanschlägen auf linke Wohnprojekte und Zentren in der Rhein-Main-Region. Zu der Demonstration hatte das Bündnis „Frankfurt Nazifrei“ aufgerufen, unterstützt von der Linken, den Betroffenen und weiteren Organisationen.
Die Demonstrierenden nutzen die Gelegenheit, um den Rechtsruck und die zunehmende rassistische Stimmung gegen Geflüchtete und MigrantInnen anzuprangern und ein starkes Zeichen für eine offene und solidarische Gesellschaft zu setzen.
Die Polizei war vor Ort mit einem Großaufgebot und soll vor Beginn der Veranstaltung in der Grzimek-Allee 1 (Zoo Frankfurt) einige DemoteilnehmerInnen daran gehindert haben den Kundgebungsort zu erreichen. Dies verzögerte den Start der Demonstration.
Polizei kein Freund und Helfer
Das Vertrauen in die Hessische und Frankfurter Polizei ist nach dem „Nazi-Skandal“, bei dem eine rechte Chat-Gruppe, möglicherweise ein neonazistisches Netzwerk in der Sicherheitsbehörde aufgedeckt wurde, offenbar zerstört. Dies war bei der Demonstration unter dem Motto „Gemeint sind wir alle – Gegen rechte BrandstifterInnen an den Schreibtischen und auf den Straßen“ am Samstagnachmittag in der Bankenmetropole zu spüren. Eine Polizei, die Geflüchtete und MigrantInnen rassistisch angreift und drangsaliert, sei „für uns kein Freund und Helfer“, betonte ein Redner bei der Auftaktkundgebung und während die Demonstration durch die Innenstadt zog.
Der Platz am Frankfurter Zoo war voller Menschen. Unter den TeilnehmerInnen war Janine Wissler, Fraktionsvorsitzende der Linken im Hessischen Landtag. Ihre Partei beantragte eine Sondersitzung des Landtags-Innenausschusses, um den „Nazi-Skandal“ bei der Frankfurter Polizei und weiteren Polizeirevieren in Offenbach, Wiesbaden und Fulda aufzuklären.
Wissler und Die Linke nahmen an der Demonstration teil, um ebenfalls ein starkes Zeichen gegen die Brandserie in mehreren linken Wohnprojekten und Zentren in der Rhein-Main-Region zu setzen. Anwesend waren auch das Bündnis „Seebrücke Frankfurt“ und Vertreterinnen von „Omas gegen Rechts“.
Hetze bereitet den Nährboden
Die VeranstalterInnen der Demonstration sind davon überzeugt, dass die Anschlagserie aus der rechten Ecke kam. Rechte und Neonazis seien für die Brandanschläge auf Linke verantwortlich. Auch die AfD habe in dieser Angelegenheit eine Verantwortung zu tragen. Denn ihre Hetze gegen Geflüchtete, MigrantInnen und Linke werde von gewaltbereiten Rechten und Neonazis in Taten umgesetzt.
„Wir gehen heute auf die Straße, weil die Brandserie an linken Projekten bisher in der Öffentlichkeit kaum Beachtung gefunden hat“, sagte Timo Brym, Sprecher von „Frankfurt Nazifrei“. „Wir wollen nicht zulassen, dass rechte Gewalt als unpolitisch oder Einzelfälle abgetan wird.“ Dass sich rechte BrandstifterInnen berufen fühlen, ihren Gewaltfantasien Taten folgen zu lassen, sei kein Zufall, sondern Ausdruck eines anhaltenden gesellschaftlichen Rechtsrucks, betonte Brym.
Nicht nur bei offenen Neonazis und bei der AfD seien Abschottung, Ausgrenzung und Abwertung anderer „en vogue“. Hetze gegen Geflüchtete, Minderheiten und Linke sei mittlerweile weit verbreitet und werde in Frankfurt auch von PolitikerInnen der CDU und FDP befeuert. Wer als Antwort auf die sozialen und ökologischen Schieflagen in der Welt nur noch mehr Ausgrenzung und Abschottung fordere, brauche sich nicht zu wundern, „dass in Deutschland wieder Menschen gejagt werden und Häuser brennen“, so der Sprecher des Frankfurter antifaschistischen Bündnisses.
Lautstark durch die Innenstadt
Bei der Auftaktkundgebung am frühen Nachmittag kritisierten die RednerInnen den Rassismus, mit dem Geflüchtete und MigrantInnen in ihrem Alltag zu kämpfen haben. Auch dass es „Nazi-Zellen“ in Hessischen Polizeirevieren gibt, sei Anlass genug, der Polizei nicht mehr zu vertrauen und zu glauben. Aufs Schärfste wurde der Rechtsruck angeprangert, der von der AfD, CSU und einem Teil der CDU vorangetrieben werde.
Danach zog die Demonstration vom Frankfurter Zoo zum Walther-von-Cronberg-Platz, wo sich das Büro der Frankfurter AfD befindet. Unterwegs passierten die Demonstrierenden das 1. Polizeirevier, das linke Zentrum Klapperfeld, die Zentrale der CDU und das Museum Judengasse. Am 1. Revier der Frankfurter Polizei wurden symbolisch Streichhölzer niedergelegt und ein Kranz bei der Polizeiführung abgegeben, um auf die kürzlich bekannt gewordenen rechten Netzwerke in der hessischen Polizei und in der Bundeswehr hinzuweisen. Mit Sprechchören wie „Ganz Frankfurt hasst die Polizei – Nationalismus raus aus den Köpfen – Ob Ost, ob West, nieder mit der Nazi-Pest“ marschierten die DemonstrantInnen kämpferisch durch die Innenstadt.
„Nichts aus der Geschichte gelernt“
Vor dem Museum Judengasse erinnerte eine Vertreterin der jüdischen Zeitschrift Jalta an die historischen Konsequenzen von Nationalismus, Rassismus und Antisemitismus. Sie zeigte sich besorgt angesichts der derzeitigen Entwicklungen: „Dagegen müssen alle demokratischen Akteure gemeinsam und entschlossen Stellung beziehen“.
Wer aber im Angesicht von Morddrohungen und Brandanschlägen die Gleichsetzung sogenannter „Linksextremisten“ mit Neonazis und völkischen Hetzern betreibe, wer gemeinsam mit der AfD Stimmung mache gegen jene, die nicht der deutschen Leitkultur entsprechen, wer die Verschiebung des öffentlichen Diskurses nach rechts damit weiter befeuere, habe wahrlich nichts aus der Geschichte gelernt.
Übergriff auf Initiativen von Migranten
Die migrantische Initiative Project Shelter und der Förderverein Roma stellten heraus, dass ihre Mitglieder auch in Frankfurt zunehmenden rassistischen Anfeindungen auf der Straße, aber auch Schikanen durch die Frankfurter Politik ausgesetzt seien: „Unsere Gruppe wurde wiederholt von den meisten Frankfurter PolitikerInnen im Stich gelassen. Gleichzeitig sind auch wir Opfer rechter Gewalt geworden. Am 9. Dezember 2016 haben Rechte die Scheiben des Project Shelter Bistros eingeschlagen und eine teerähnliche Substanz versprüht. Die TäterInnen hinterließen uns einen Brief mit rassistischen Beschimpfungen und Drohungen.“
„Von heute auf morgen das Zuhause verloren“
Bei der Abschlusskundgebung auf dem Walther-von-Cronberg-Platz kamen auch die von den Brandanschlägen betroffenen Projekte zu Wort. Eine Bewohnerin des im September 2018 abgebrannten Wohnprojekts Knotenpunkt in Schwalbach/Taunus berichtete von ihrer Situation. „Vom einen auf den anderen Tag haben wir unser Zuhause verloren. Viele persönliche Erinnerungen, Alltagsgegenstände, jahrelange harte Arbeit. Wir halten diese Brandserie für einen gezielten Angriff auf unsere solidarischen Lebensweisen. Möglich gemacht werden solche Attacken durch den sich seit mehreren Jahren entwickelnden rechten Diskurs in Teilen der Öffentlichkeit“, sagte sie.
Dass gezielt versucht wird, Wohnprojekte anzuzünden, zeige die Brutalität und die Gefährlichkeit dieser Anschläge. Neu sind derartige Angriffe jedoch nicht: Geflüchtete, MigrantInnen und „People of Colour“ („farbige Menschen“) bekommen die Folgen des gesellschaftliche Rechtsrucks noch viel deutlicher zu spüren, sagte eine Vertreterin des linken Zentrum Klapperfeld.
Protest gegen Neonazi-Demo am 1. Mai 2019
Ein Sprecher der Roten Hilfe kritisierte das geplante Verbot seiner Organisation durch Innenminister Horst Seehofer und rief die TeilnehmerInnen dazu auf, der linken Solidaritätsorganisation beizutreten und zu unterstützen.
Am Ende der Abschlusskundgebung gab ein Redner bekannt, dass die NPD und weitere Neonazis am 1. Mai 2019 in Frankfurt demonstrieren wollen. Er rief alle TeilnehmerInnen dazu auf, sich an den Protesten gegen die Neonazis – wie am 1. Mai 2013 – zu beteiligen. Die OrganisatorInnen der Demonstration zeigten sich mit deren Verlauf zufrieden. Sie wollen weiter auf die Straße gehen, bis die Gewalt gegen linke Wohnprojekte und Zentren aufgeklärt ist und aufhört.
Gezielte Angriffe auf linke Wohnprojekte
Seit September kam es zu mehreren Brandanschlägen auf Projekte des Mietshäuser Syndikats, autonome Zentren und Wohnprojekte in Frankfurt, Hanau und Schwalbach. Jüngst wurde am 9. und 10. Dezember an zwei aufeinanderfolgenden Abenden Brände am Café ExZess in Frankfurt gelegt, die jeweils von anwesenden NutzerInnen gelöscht werden konnten.
Zuletzt mussten am Mittwoch, 12. Dezember, gegen 21.30 Uhr etwa 20 BewohnerInnen des feministischen Wohnprojekts „Lila Luftschloss“ im Nordend evakuiert werden, weil im Keller ein Feuer ausgebrochen war – auch hier ermittelt die Polizei mittlerweile wegen Brandstiftung. Wiederholt wurde das Parteibüro der Linken in Offenbach mit Steinen angegriffen und mit Nazi-Stickern beklebt.
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