Ingelheim/Göttingen. Im eher beschaulichen Rheinland-Pfalz hat sich am 15. August in Ingelheim am Rhein ein Polizeieinsatz ereignet, der in mehrfacher Hinsicht genauer untersucht werden sollte. Bei Protesten gegen den Aufmarsch der neonazistischen Kleinstpartei „Die Rechte“ zu Ehren des Kriegsverbrechers Rudolf Hess kam es zu einem der schlimmsten Polizeieinsätze gegen AntifaschistInnen in Rheinland-Pfalz. Die Rote Hilfe e.V. fordert einen Untersuchungsausschuss über den eskalierten Einsatz und klare Konsequenzen für die verantwortlichen BeamtInnen.
„Wenn bei einer friedlichen antifaschistischen Kundgebung mit circa 250 TeilnehmerInnen mindestens 116 GegendemonstrantInnen durch die professionell agierenden Demosanitäter Süd-West e.V. als verletzt gemeldet werden (siehe Pressemitteilung unten), dann muss das im Nachgang untersucht und rechtliche Konsequenzen für die Verantwortlichen haben. Die Bilder erinnern an brutale Polizeieinsätze wie beim G20 Gipfel in Hamburg.“, erklärt Anja Sommerfeld, Mitglied im Bundesvorstand der Roten Hilfe.
Die Rote Hilfe führt aus, dass nach ihren Erfahrungen aus einer Vielzahl von Fällen zeigten, dass Anzeigen gegen PolizeitäterInnen praktisch immer im Sande verliefen, selbst dann, wenn eindeutiges Bildmaterial existiere.
„Hier drückt sich ein strukturelles Problem aus, nämlich dass rechtsmotivierte Gewalt in den Reihen der Polizei nicht zur Verantwortung gezogen wird. Solange es keine substanziellen Veränderungen im Polizeiapparat und der Justiz gibt, können solche Ereignisse jederzeit bei Versammlungen auftreten und folgenlos bleiben“, so Sommerfeld weiter.
Laut Medienberichten wurden KundgebungsteilnehmerInnen wiederholt mit hochkonzentriertem Pfefferspray besprüht. Auch kam es zu einer Einkesselung in einem engen Bahnhofstunnel mit zahlreichen Verletzten. Angeblich werde jetzt gegen sechs BeamtInnen wegen Körperverletzung im Amt ermittelt.
„Diese angeblichen internen Untersuchungen sind nicht als eine Beschwichtigungstaktik der Polizei, um Zeit zu schinden, damit das starke öffentliche Interesse nach Aufklärung nachlässt. Die Rote Hilfe e.V. fordert einen Untersuchungsausschuss über den eskalierten Einsatz und klare Konsequenzen für die verantwortlichen BeamtInnen.“
Video
Quelle: Der Rote Rabe -BlogSpot für politische Kultur-
Wir dokumentieren nachstehend die Pressemitteilung der Sanitätsgruppe Süd-West:
116 Verletzte – Polizei überrennt Verletztenablage
„Ingelheim, 15. August 2020. Am heutigen Samstag hatte die ultra rechte Partei “Die Rechte” zur Demonstration in Ingelheim aufgerufen. Nur eine Hand voll folgte dieser Einladung.
Die Sanitätsgruppe Süd-West e.V. sicherte die Gegenproteste ab, an denen deutlich mehr Menschen teilnahmen. Die Polizei war mit einem Großaufgebot um den Bahnhof Ingelheim im Einsatz. Bereits kurz nach Ankunft der gemeinsamen Zuganreise gingen die Beamtinnen mit Pfefferspray gegen Teilnehmende der Gegenproteste vor um diese zur Kundgebung in der Nähe des Bahnhofs zu treiben und sie dort geschlossen über den ganzen Nachmittag festzusetzen. Der Kundgebungsort war dafür bereits vorher mit Absperrungen präpariert worden. Im Verlauf dieser in Gewahrsamnahme setzte die Polizei mehrfach Pfefferspray und Schlagstock gegen Versammlungsteilnehmerinnen ein. Dabei überrannte die Polizei auch eine deutlich erkennbare Verletztenablage des Sanitätsdienstes, trat medizinisches Material durch die Gegend und bedrohte unsere Sanitätskräfte mit dem Schlagstock. Auch wenn sich die Polizei ansonsten unseren Einsatzkräften gegenüber weitgehend kooperativ zeigte, kritisieren wir diesen Angriff auf uns aufs Schärfste.
Insgesamt mussten unsere Sanitäterinnen heute 116 Verletzte versorgen, die Meisten aufgrund des Einsatzes von Pfefferspray (90 Versorgungen). Bemerkenswert ist die hohe Zahl von Panikattacken. Während eine LED Anzeige am Polizeifahrzeug dazu aufforderte 1,5 Meter Abstand zu halten, wurden der Raum für die Demonstrantinnen immer enger und die Brutalität der Polizeimaßnahmen trug zu Traumatisierungen bei, die von unserem Team für Psychosoziale Notfallversorgung behandelt werden mussten (12 Behandlungen). Wir zählten insgesamt 13 chirurgische Patient*innen und eine internistische Versorgung. Von einer hohen Dunkelziffer ist auszugehen.
Wir bedanken uns beim Deutschen Roten Kreuz, die mit mehreren Rettungswagen und einer Einsatzleitung vor Ort waren, für die gute Zusammenarbeit. Wir sind begeistert von der großen Solidarität und gegenseitigen Hilfsbereitschaft, die wir heute unter den Versammlungsteilnehmer*innen erfahren durften und ohne die die Verletztenversorgung deutlich schwieriger geworden wäre.“
Rückblick
Auch im Jahr 2019 setzte die Polizei alles daran, dass die unerwünschten Neonazis aufmarschieren konnten (wir berichteten).
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