Von Helena Kehr – Stuttgart. Die in Stuttgart gegründete „Querdenken“-Bewegung lud am Samstag, 3. April, zur Großdemo zu ihrem einjährigen Bestehen ein. Deutschlandweit reisten AnhängerInnen von Verschwörungstheorien, ImpfgegnerInnen und rechte Aktivisten verschiedener Strömungen an. An verschiedenen Punkten im Zentrum der Stadt versammelten sich tausende Menschen, um die Pandemie öffentlich zu leugnen und sich wie angekündigt kollektiv den Hygienemaßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie zu widersetzen. Die nächste „Querdenker“-Demo soll am 17. April stattfinden – der Protest dagegen auch.
Die Polizei hatte schon zuvor per Videobotschaft angekündigt, sich zurückzuhalten. Dennoch war sie in der Stadt mit einem Großaufgebot an Beamten aus mehreren Bundesländern, einem Hubschrauber und bereitgestellten Wasserwerfern vor Ort.
Der Haupttreffpunkt der Corona-Leugner war der Marienplatz, von dort aus startete der Demozug. Nach nur wenigen Metern wurde er von etwa 150 FahrradfahrerInnen blockiert. Die Polizei entschied sich dazu, die Corona-Leugner auf die Parallelstraße umzuleiten. Dort kamen AntifaschistIinnen aus der Innenstadt zu Fuß und blockierten auch hier den Weg. So mussten die „Querdenker“ innerhalb weniger Minuten zum zweiten Mal umgeleitet werden.
Antifaschist krankenhausreif geprügelt
Auf der Rückseite der antifaschistischen Blockade näherte sich eine größere Gruppe rechter Fußball-Hooligans aggressiv den Gegenprotesten. Eine kleine Gruppe Polizeibeamter hielt sie halbherzig auf und führte sie über Nebenstraßen zur Querdenken-Demo. Gleichzeitig griffen behelmte Polizeieinheiten die antifaschistische Blockade mehrfach an. Ein junger Antifaschist wurde krankenhausreif geprügelt und musste in eine Klinik gebracht werden. Die Gruppe der GegendemonstrantInnen auf Fahrrädern wurde daran gehindert wegzugehen und eingekesselt – offenbar eine Strategie der Stuttgarter Polizei, um möglichst viele GegendemonstrantInnen vom weiteren Protestgeschehen fern zu halten. Ironischerweise wurde den antifaschistischen GegendemonstrantInnen ein „alternativer Versammlungsort“ per Polizeidurchsage angeboten, nachdem sie eingekesselt worden waren und die Polizei schon Vorbereitungen für Durchsuchungen der einzelnen AktivistInnen in die Wege geleitet hatte.
Jede Person wurde einzeln durchsucht und mit einem schon vorbereiteten Vordruck mit einem Platzverweis für die Stuttgarter Innenstadt und den Cannstatter Wasen belegt. Im Nachhinein bezeichnet die Stuttgarter Polizei die einzigen DemonstrantInnen, die an diesem Tag FFP2-Masken getragen hatten, als „teilweise vermummt“. Das polizeiliche Motto schien zu sein: die Gegendemonstrationen verhindern und den „Querdenkern“ den roten Teppich ausrollen.
Corana-Party zog durch die Stadt
Stundenlang zog die Corana-Party mit einem Demonstrationszug durch Stuttgart, über die Bundesstraße und den für FußgängerInnen gesperrten Tunnel nach Cannstatt. Ein Polizeihubschrauber kreiste über der Stadt. Auf dem Volksfestgelände versammelten sich zum Abschluss Zehntausende. Inhaltliche Reden, die konkrete Forderungen oder Ähnliches aufstellten, gab es nicht. Der Querdenken-Initiator Michael Ballweg sprach nur wenige Minuten. Statt mit Inhalten wurde die Großkundgebung mit einem gemeinsamen spirituellen Mantra begonnen. An mehreren Stellen des Platzes lief über mobile Musikanlagen Partymusik.
Die Nazihipster der „Identitäten Bewegung“ präsentierten am Rande ihr Hochbanner „Heimatschutz statt Mundschutz“, auf dem Platz verteilt war an vielen Stellen rechte Symbolik zu erkennen.
Noch vor dem Ende der Kundgebung verließen einige das Wasengelände. Die U-Bahnen waren überfüllt mit Menschen ohne Masken, ebenso umliegende Kioske mit biertrinkenden Corona-LeugnerInnen, die keine Abstände einhielten.
Geht es am 17. April in die nächste Runde?
Es ist erschreckend zu beobachten, wie die Stadtpolitik trotz der Erfahrungen mit Querdenken-Demos in Berlin, Leipzig und Kassel weiter eine antiemanzipatorische, von rechten Organisationen durchsetzte Bewegung trotz konsequenter Auflagenverstöße hofiert und Gegenproteste konsequent kriminalisiert. Eine weitere für den 17. April geplante Demonstration hat die dafür heftig kritisierte Stadt Stuttgart jedoch nach ihren jüngsten Erfahrungen verboten.
Das Bündnis Stuttgart gegen Rechts (SgR) geht davon aus, dass das Verbot entweder gerichtlich gekippt wird oder sich „Querdenken“-Anhänger trotz Verbot in der Innenstadt sammeln werden. SgR erklärt hierzu: „Eine Situation wie am 3. April darf sich in Stuttgart nicht wiederholen und wir rufen zu breiten und vielfältigen Gegenprotesten auf. Veränderte Bedingungen erfordern allerdings auch andere Mittel: Deshalb rufen wir alle Gruppen, Initiativen und Einzelpersonen auf, die nicht wollen, dass sich die „Querdenker“ wieder so dreist die Straße nehmen, sich zu organisieren und selbstständig zu beteiligen. Die Aktionsformen können vielfältig sein: Kleine angemeldete Kundgebungen und Mahnwachen an Verkehrsknotenpunkten in der Innenstadt, Ost und Bad Cannstatt. Das Aufhängen von Transparenten und Plakaten. Blockaden. Fahrraddemonstrationen. Künstlerische Interventionen. Ein Picknick auf der B14…
Wir bauen hier auf die Kreativität und Motivation von euch allen.“
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