Von Sahra Barkini und Alfred Denzinger – Stuttgart. Auch in Corona-Zeiten mobilisierten Gewerkschaften, Parteien, Organisationen und Bündnisse, um am „Kampftag der ArbeiterInnenklasse“ auf die Straße zu gehen. In Stuttgart gab es eine Gewerkschaftsdemonstration und eine Revolutionäre 1. Mai Demonstration. Tausende folgten dem Aufruf, um gerade in Krisenzeiten für die Rechte der ArbeitnehmerInnen auf die Straße zu gehen. In den letzten Jahren kam es in Stuttgart immer wieder zu Übergriffen der Polizei auf die Demonstrierenden der Revolutionären Demo. Das war in diesem Jahr nicht der Fall. Beide Demonstrationen zogen lautstark, kraftvoll und ohne Zwischenfälle durch die Innenstadt. Der Vorsitzende des DGB Stadtverbands Philipp Vollrath übte Kritik an der Stadt Stuttgart.
Nachdem der DGB im letzten Jahr die 1. Mai-Demonstration Corona bedingt ins Netz verlagert hatte, zeigte er in diesem Jahr wieder Präsenz. Start des Demonstrationszugs war um 10 Uhr im Stadtgarten. Wie Philipp Vollrath später bei der Abschlusskundgebung kritisierte, hatte die Stadt versucht, den Tag der ArbeiterInnenbewegung auf den Wasen zu verbannen. Dies sorgte für Zoff mit der Stadt Stuttgart.
Masken, Abstand und rote Fahnen
Die Demonstration stand unter dem Motto „Solidarität ist Zukunft“. Sie zog vom Stadtgarten über den Cityring wieder zurück zur Schlusskundgebung am Ausgangspunkt. Als der Kopf des Demonstrationszugs schon am Bahnhof angelangt war, setzte sich sein Ende erst in Bewegung. Rund 2000 TeilnehmerInnen mit Masken, Transparenten, Schildern und vielen roten Fahnen prägten das Bild.
Der Revolutionäre Block mit hunderten TeilnehmerInnen unter dem Motto: „Am 1. Mai auf die Straße – was sonst?“ sorgte für Aufmerksamkeit mit Bengalos und lauten Parolen wie „Make the Rich pay for Covid-19“, „A – Anti – Antikapitalista“, „Hoch die Internationale Solidarität“, „Streik in der Schule, Streik in der Fabrik – das ist unsere Antwort auf eure Politik“ und „Frauen, die kämpfen sind Frauen, die leben, lasst uns das System aus den Angeln heben“.
Angeführt wurde dieser Demoteil von AktivistInnen des Aktionsbündnisses 8. März. Thematisiert wurden Missstände, die Frauen unter anderem bei der Arbeit begegnen. Aus Solidarität mit Beschäftigten in der Pflege oder im Einzelhandel wurden Transparente am Wegrand aufgehängt. Beispielsweise am Katharinenhospital: „Profite pflegen keine Menschen – Frauen*ausbeutung & Kapitalismus überwinden“ oder an der Schillerstraße: „Sichere Jobs & Höhere Löhne – Frauen*ausbeutung & Kapitalismus überwinden“. Außerdem wurde noch über 100 lila Luftballons steigen gelassen.
Gegen die Profiteure der Krise
Am Charlottenplatz entrollten DemonstrationsteilnehmerInnen ein etwa acht Meter langes Transparent, das verdeutlichen sollte, „wie die Profiteure des Systems ihren Profit auf dem Rücken der arbeitenden Bevölkerung machen“. Mit einem kurzen Sprint zerstörten die DemonstrationsteilnehmerInnen dann symbolisch „dieses Ausbeutersystem“ (siehe Video unten). Am Rotebühlplatz spannten die AktivistInnen eine Wäscheleine, um auf die unbezahlte Reproduktionsarbeit der Frauen aufmerksam zu machen.
Immer wieder zeigten PassantInnen und AutofahrerInnen durch Winken, Hupen und Handzeichen ihre Solidarität mit der Demonstration. Auf dem Rückweg zur Abschlusskundgebung spaltete sich der revolutionäre Teil der Demonstration am Stadtgarten ab und zog spontan weiter zum Karlsplatz. Dort startete um 12 Uhr die Revolutionäre 1. Mai-Demo mit einer Auftaktkundgebung. Noch während der Abschlusskundgebung des DGB setzte sich die Revolutionäre 1. Mai-Demo mit über 1000 TeilnehmerInnen in Bewegung.
Zu Beginn der Demonstration gab es eine riesige Transparent-Choreographie mit reichlich vielen Rauchfakeln und -töpfen. Während der Demonstration filmte und fotografierte die Polizei umfangreich ohne erkennbaren Grund VersammlungsteilnehmerInnen. Zahlreiche Zivilpolizisten waren im Einsatz. Als der Kamerawagen der Polizei der Demonstrationsspitze zu nahe kam, warfen einzelne AktivistInnen Farbbeutel. Bei der Abschlusskundgebung gab es an einem leerstehenden Gebäude eine Transparent-Aktion mit einem kleinen Feuerwerk. Insgesamt hielt sich die Polizei ungewohnt stark zurück.
Rechtlich fragliche „Foto- und Filmfestspiele“ der Polizei
„Riesen Zoff“ mit der Stadt Stuttgart
Die TeilnehmerInnen der Gewerkschaftskundgebung wurden mit Musik von Cris Kosmo begrüßt. Im Anschluss folgten unter anderem Reden von Philipp Vollrath und Sylvia Bühler vom Verdi-Bundesvorstand. Vollrath lobte den „Super-Zug“, der zeige, dass man anständig und zivilisiert in Stuttgart demonstrieren könne – damit spielte er wohl auf die Karsamstagsdemonstration der Querdenkergruppierungen an. Dann ging er näher auf den Streit mit der Stadt Stuttgart ein. Da der Marktplatz wegen Renovierungsarbeiten nicht genutzt werden kann, meldete der DGB bereits frühzeitig (2020) den Schlossplatz als Versammlungsort für die Demonstration am 1. Mai 2021 an und erhielt eine schriftliche Bestätigung. Vor ein paar Wochen wurde das Corona-Testzelt auf dem Schlossplatz aufgestellt. Dies wurde aber nicht mit dem DGB kommuniziert.
Die Gespräche mit der Stadt waren laut Vollrath „nicht gerade zielorientiert von Seiten der Stadt, sie wollten uns auf den Wasen verbannen“. Dies wollte der DGB nicht hinnehmen, denn am Karsamstag durften CoronaleugnerInnen, VerschwörungstheoretikerInnen und rechte Gruppen ohne Masken und ohne Abstand mitten durch Stuttgart laufen. Sie durften im öffentlichen Nahverkehr fahren ohne Maske. So lehnte es der DGB strikt ab, sich auf den Wasen verbannen zu lassen. Dies habe „zu einem riesen Zoff“ geführt.
Erst einige Tage vor dem Maifeiertag war dann klar, wo die Demonstration stattfinden darf und wie die Demonstrationsroute aussieht. Vollrath kündigte weitere Gespräche mit der Stadt an, denn dieses Verhalten lasse sich die Gewerkschaft nicht bieten. Weiter kritisierte er die hohen Mieten in der Stadt und nannte die Suche nach einem Kitaplatz ein Lottospiel. Auch erwähnte er den Gedenkstein für die Widerstandskämpferin Lilo Herrmann, der sich im Stadtgarten befindet.
Virus verschärft soziale Spaltung
Bühler sprach in ihrer Rede über die Beschäftigten in der Pflege, im Einzelhandel und über die von der Coronakrise betroffenen ArbeitnehmerInnen, die in Kurzarbeit sind oder gar mit Jobverlust konfrontiert werden. Sie schilderte den Spagat zwischen Homeoffice und Homeschooling. Solidarität sei momentan bitter nötig. Sie kritisierte die christlichen Arbeitgeber wie Caritas und die Diakonie, weil an ihnen das Beseitigen der „Armutslöhne in der Pflege“ gescheitert sei. Dies verurteilte sie als „extrem unchristlich“.
Weiter sagte Bühler: „Die Beschwernisse und Kümmernisse dieser Pandemie sind vielfältig, während tausende Menschen in Kurzarbeit sind oder ihre Arbeit verloren haben, während Pflegekräfte, ÄrztInnen, ErzieherInnen oder Beschäftigte im Einzelhandel am Limit sind“, gebe es konservative Politiker wie die Herren „Nüßlein, Sauter und Löbel denen offensichtlich jede Moral abhanden gekommen ist. Sie bereichern sich als Politiker an dieser schlimmen Pandemie und machen Deals mit Masken, dass ist einfach nur widerlich.“ Das Virus verschärfe die soziale Spaltung in der Gesellschaft. „In dieser historischen Krise zeigt sich einmal mehr, wie wichtig die Gewerkschaften sind.“ Die Querdenkerbewegung, aus deren Mitte die Nähe zu Reichsbürgern und Rechtsextremen gesucht wird, nannte sie eine brandgefährliche Mischung. Sie sagte: „Wir Gewerkschafter und Gewerkschafterinnen werden uns auch in Zukunft den Rechten in den Weg stellen, in den Parlamenten, in den Betrieben und auch auf der Straße. Wir haben es den Alten versprochen: Nie wieder Faschismus!“ Und weiter: „Wir stehen für eine solidarische und gerechte Gesellschaft, in der Menschen gleich welcher Herkunft, gleich welchen Glaubens teilhaben können. Wir stehen für Völkerverständigung und eine aktive Friedenspolitik“.
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