Von Sahra Barkini – Stuttgart. Der diesjährige 8. Mai wurde in Stuttgart mit einer Kundgebung und einer anschließenden Demonstration begangen. Start war vor dem Landgericht in der Urbanstraße mit Redebeiträgen von Heinz Hummler und dem Antifaschistischen Aktionsbündnis Stuttgart und Region (AABS). Eine Zwischenkundgebung folgte mit einer Rede von Elke Banabak vor der ehemaligen Gestapo-Zentrale, dem heutigen Lern-und Gedenkort Hotel Silber. Die Abschlusskundgebung fand vor dem Mahnmal gegen Faschismus auf dem Stauffenbergplatz statt. Dort sprachen der DGB-Landesvorsitzender Martin Kunzmann, Anthony Nicola Cipriana von der SDAJ, Dieter Lachenmayer von der VVN-BdA und Henning Zierock von der Gesellschaft Kultur des Friedens. Musikalische Untermalung gab es vom Theodorakis Ensemble. Die Moderation übernahm Sidar Carman (Verdi).
Zur Auftaktkundgebung vor dem Landgericht versammelten sich am Samstag etwa 350 TeilnehmerInnen. Auf der Abschlusskundgebung waren nach Angaben der Veranstalter 500.
Zu Beginn ihrer Moderation sagte Sidar Carman, das Bündnis 8. Mai habe sich bewusst für diesen Ort als Auftakt entschieden. Denn das Stuttgarter Landgericht agierte als zentrale Hinrichtungsstätte, als vollstreckender Henker des Faschismus. Doch erst seit 2019 wird am Landgericht daran erinnert. Auf drei Stelen sind die Namen der Frauen und Männer aufgeführt, die dort hingerichtet wurden. Carman: „Dieser Platz markiert die Verstrickungen zwischen Justiz und der NS-Diktatur. Er erinnert an die Verbrechen an hunderten Widerstandskämpfern, derer wir heute gedenken denn wie sonst könnten wir den Schwur von Buchenwald zum Vorbild nehmen: Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus.“
Verdrängte Justizgeschichte
Heinz Hummler, Sohn des von den Nazis ermordeten Kommunisten und Widerstandskämpfers Anton Hummler, sprach über seine Geschichte als Sohn kommunistischer Eltern und über die Geschichte seines Vaters. Er erinnerte auch an die Millionen Menschen, für die der Tag der Befreiung zu spät kam – unter ihnen Juden, Sinti und Roma, politische Gegner der Nazis, Homosexuelle, Behinderte, sowjetische und polnische Kriegsgefangene. Sie alle waren in den Vernichtungslagern der Nazis gequält und ermordet worden.
Hummler: „Ich bin mir bewusst, dass ich heute über Vorgänge aus unserer Geschichte rede, welche viele vergessen wollen, welche manche verdrängt und von denen etliche nie gehört haben.“ An diesem Ort starben über 450 Menschen durch eine eigens aufgestellte Guillotine. Über viele Jahre erinnerte lediglich eine kleine Tafel an die Verbrechen. Hummler kritisierte diese beinahe Verniedlichung der Naziverbrechen. Er berichtete, dass er einmal das Zuchthaus besuchte, in dem sein Vater in Brandenburg inhaftiert war. Es ist auch heute noch ein Gefängnis. Im Inneren des Gebäudes befindet sich eine Gedenktafel. Nach Voranmeldung kann sie besichtigt werden. Als er das Gebäude wieder verließ, fiel ihm eine weitere Gedenktafel auf, die außerhalb hängt und für jeden zugänglich ist. Auf ihr ist zu lesen: „Den Opfern der kommunistischen Gewalttaten 1945-1989.“
„Faschismus ist keine Meinung“
Hummlers Vater verband wie viele Opfer des Naziregimes seinen Tod mit der Hoffnung auf ein besseres Deutschland nach Ende der Nazidiktatur. So schrieb er in einem letzten Brief an seine Frau: „Wenn dann eine andere Zeit kommt, dann weißt du ja, wo du dich hinwenden musst, und kannst sagen, für was ich gefallen bin.“ Hummler kritisierte die fehlende Aufarbeitung der Nazizeit. Stattdessen wurden ehemalige Verfolgte durch den aus Nazis aufgebauten Verfassungsschutz beobachtet und wegen ihrer politischen Gesinnung verfolgt. Hummler: „Warum ist der Tag der Befreiung noch immer kein Feiertag? Die zwölf Jahre Naziherrschaft waren kein Betriebsunfall und erst recht kein Vogelschiss in der deutschen Geschichte.“
Und weiter: „Als Sohn eines von der Nazijustiz zum Tode verurteilten und hingerichteten Widerstandskämpfers, dem das Andenken an seinen Vater Verpflichtung ist, komme ich nicht umhin festzustellen, dass nicht nur die Rolle der deutschen Justiz bei den Verbrechen der Nazis immer ausgeblendet, sondern der politische Widerstand dagegen immer stärker kriminalisiert wird, um so rechts und links gleichsetzen zu können. Dies unter dem Begriff des Extremismus zu verstecken, wirkt bezogen auf den deutschen Faschismus und dessen Geisteshaltung nicht anders denn als Ablenkung. Faschismus war und ist keine Meinung und schon gar keine, auf die man einen Rechtsanspruch hat. Faschismus ist das organisierte Verbrechen.“
Carman sagte in einer Zwischenmoderation: Überall wo sich das menschenverachtende Weltbild und nazistische Strukturen breitmachen, müsse man sich aktiv dagegenstellen. Vor allem dann, wenn im Fall des NSU Akten vernichtet oder weggeschlossen werden: „Uns platzt der Kragen, wenn bei der Verhaftung der Verfasser der NSU2.0- Drohbriefe wieder als Einzelfall verharmlost wird, gleichzeitig aber antifaschistischer Widerstand kriminalisiert wird, und deswegen lassen wir nicht locker. Antifaschismus ist unzertrennlicher Teil des gemeinsamen Kampfes für menschenwürdige Arbeit, für ein existenzsicheres Leben, für Frieden, für Solidarität.“
„Eine konsequente Entnazifizierung gab es nie“
Die Rednerin des AABS kritisierte, dass die Zeit des deutschen Faschismus weiterhin lieber unter den Teppich gekehrt wird. So gebe es in Stuttgart weder bei Breuninger noch bei Breitling eine Gedenktafel, die an Ausbeutung, Unterdrückung oder Misshandlung von Juden in den Fabriken erinnert. Noch immer heiße der Platz vor der Staatsgalerie Kiesinger-Platz, noch immer heißt eine Veranstaltungshalle Schleyer-Halle. Eine konsequente Entnazifizierung habe nie stattgefunden. Im Gegenteil: Ranghohe NSDAP-Funktionäre waren schnell wieder im Amt und konnten ihren faschistischen Verfolgungswillen von KommunistInnen und Linken fortsetzen.
Auch heute versuche man, linke AktivistInnen als Kriminelle darzustellen. Die Presse greife nur allzu gern das Bild vom schwarzen, gewalttätigen Mob auf – während vermeintliche Verfassungsschützer rechte Netzwerke wie den NSU finanzieren und aufbauen. Auch die Polizei biete ein Nest für Nazis. Dies hätten viele Beispiele in jüngster Vergangenheit gezeigt. Das Problem seien nicht die Skandale in diesen Behörden, sondern die Behörden selbst beziehungsweise die fehlende Kontrolle und Konsequenzen.
„Hinter der Repression gegen AntifaschistInnen steckt politischer Wille.“ Weiter sagte sie: „Und ja, wir Antifas sind diejenigen, die auch mal entschieden Nazis entgegentreten und den Kopf hinhalten – aber nicht aus Spaß, sondern weil es notwendig ist! Eine Spaltung in gute und böse AntifaschistInnen ist das Ziel der Behörden und letztlich Wasser auf die Mühlen der Rechten.“ Weiter betonte sie, dass der gemeinsame Kampf nur als Bündnis gewonnen werden könne und dabei Solidarität das Fundament sei. Denn: „Antifaschismus ist legitim und bitter notwendig.“
Zwielichtige Rolle der politischen Polizei
Im Anschluss setzte sich der Demonstrationszug über die Olgastraße, den Charlottenplatz bis zur Zwischenkundgebung vor dem Hotel Silber in Bewegung. Dort ging Banabak, sie ist aktiv in der Initiative Lern – und Gedenkort Hotel Silber, auf die Rolle der politischen Polizei und die WiderstandskämpferInnen ein. WiderstandskämpferInnen wie Anton Hummler und seine Frau Frieda leisteten Widerstand unter anderem, weil sie die Kriegspläne der Nazis kommen sahen. Banabak kritisierte den Versuch der „Querdenker“ und CoronaleugnerInnen, WiderstandskämpferInnen zu vereinnahmen. Sie empfahl den KundgebungsteilnehmerInnen außerdem einen Besuch im Hotel Silber, sobald dies wieder möglich ist.
- Auszug aus dem Schwur von Buchenwald
- Elke Banabak, Hotel Silber e.V.
Die Ausstellung zeige, wie sich die Ausrichtung der Polizei entwickelte. Die Gestapo organisierte unter anderem die Deportation der Jüdinnen und Juden, half bei der Deportation von Sinti und Roma aus Württemberg, und sie verfolgte homosexuelle Menschen. Die Nazis aber mussten die politische Polizei nicht erfinden. Die Idee einer Staatsschutzpolizei gab es seit der Weimarer Republik. Sie war mit Kompetenzen ausgestattet, die sich die Nazis nur aneignen mussten. Außerdem gibt es laut Banabak Parallelen zur Gegenwart mit dem Unterschied, dass man heute aus der Geschichte lernen könne.
Die Demonstration zog weiter auf den Stauffenbergplatz. Dort spielte das Theodorakis Ensemble. Martin Kunzmann gedachte ebenso wie Cipriano der Opfer des Nationalsozialismus. Sie betonten, dass Ähnliches nie wieder geschehen dürfe. Auch unterstrichen sie die Forderung, den 8. Mai zum Feiertag zu machen. Dieter Lachenmayer sagte in seiner Rede, dass die VVN-BdA endlich wieder die vollständige Gemeinnützigkeit zurück erhalten hat.
Mit einer Kranzniederlegung und roten Nelken wurde auch in diesem Jahr zum Abschluss der Opfer des Faschismus gedacht.
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