Singen. Vor dem Amtsgericht Singen sollte am Donnerstag, 5. Mai, der Prozess gegen zwei der vier Singener Polizisten, die am 6. Februar 2021 ein elfjähriges Kind in Handschellen auf die Polizeiwache gebracht hatten (wir berichteten) beginnen. Die Beamten werden der Freiheitsberaubung und Nötigung beschuldigt. Bereits im Oktober letzten Jahres hatte die Staatsanwaltschaft Konstanz Strafbefehle ausgestellt (wir berichteten). Gegen die Strafbefehle wurde Berufung eingelegt. Der Prozess gegen die beiden Polizisten wird allerdings nicht stattfinden. Einen Tag vor der anberaumten Hauptverhandlung bekamen die Polizisten offenbar kalte Füße und akzeptierten nun doch noch den gegen sie im Oktober wegen Freiheitsberaubung und Nötigung ergangenen Strafbefehl. Die Frage, warum ein Kind in Handschellen abgeführt wurde, bleibt somit unbeantwortet. Gegen zwei weitere tatverdächtige Beamte ist das Verfahren gegen Auflagen eingestellt worden.
Der Verband Deutscher Sinti und Roma, Landesverband Baden-Württemberg (VDSR-BW) unterstützt die betroffene Familie. Sie wäre in der Nebenklage durch den Rechtsanwalt Engin Şanlı vertreten worden.
Engin Şanlı, Rechtsanwalt:
„Kinder dürfen von polizeilicher Gewalt nicht berührt werden. Der Prozess spielt eine wichtige Rolle in der Aufarbeitung von polizeilicher Behandlung von Kindern – insbesondere von Kindern, die einer Minderheit angehören. Es ist zu bedauern, dass bis heute keine Entschuldigung bezüglich der Tat erfolgt ist. Daher blicken wir mit großem Interesse auf die Hauptverhandlung.“
Daniel Strauß, Vorsitzender des VDSR-BW:
„Mit Innenminister Thomas Strobl habe ich eine systematische Beteiligung des VDSR-BW an der Polizei Aus- und Fortbildung in Baden-Württemberg vereinbart, um ein dauerhaftes Vertrauensverhältnis zwischen der Polizei und der deutschen nationalen Minderheit der Sinti und Roma sowie zugewanderten Roma zu etablieren. Der VDSR-BW und die Landespolizei haben einen Lehrplan erarbeitet, der seit April umgesetzt wird und Themen wie Antiziganismus oder Geschichte und Gegenwart der Sinti und Roma behandelt. Wir hoffen auf eine nachhaltige Verbesserung.“
Hintergrundinformationen
In einem Hochhaus in Singen hatten Anfang Februar zwei Kinder auf einem Balkon im Treppenhaus gespielt. Als zwei Polizeibeamte Auskunft über die Personalien verlangten, wurde eines der Kinder gefragt, ob es von „der Zigeunerfamilie“ sei. Zwei weitere Kinder wurden
währenddessen von zwei Beamten vor dem Haus befragt. Als die zwei Beamten das Hochhaus verließen, nahmen sie erneut die Personalien der Kinder auf, die unten vor dem Haus gespielt hatten. Hierbei wurde eines der Kinder sinngemäß mit den Worten „Einer von den Zigeunern, die kennen wir ja“, „Du kommst eine Nacht hinter Gitter“ und „Der Tod kommt dich holen“ bedroht.
Ohne ersichtlichen Anlass führten die Beamten daraufhin einen elfjährigen Jungen in Handschellen ab. Das Kind wurde im Verhörzimmer festgehalten und später alleine nach Hause geschickt. Die Mutter hatte vergeblich auf der Polizeiwache angerufen und keine Auskunft erhalten. Auch im Nachgang hat die Mutter keine Auskunft erhalten, warum ihr Kind auf der Wache festgehalten wurde.
Siehe auch „Kind in Handschellen abgeführt“ und „Strafbefehle gegen Polizisten„
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