Von Sahra Barkini – Stuttgart. Auf dem Stuttgarter Marktplatz gab es am 3. Mai, dem Internationalen Tag der Pressefreiheit, eine von den AnStiftern, Amnesty International, Jusos, Linksjugend Solid, Didf Jugend, der deutschen Journalisten und Journalistinnen Union dju in Verdi, Arbeit Zukunft und der Stuttgarter Mahnwache „Freiheit für Julian Assange“ initiierte Kundgebung. Sie haben sich als Aktionsbündnis „Freiheit für Assange“ zusammengeschlossen. In der Internationalen Rangliste der Pressefreiheit hat sich Deutschland erneut verschlechtert und belegt nun Platz 16 (im Vorjahr Platz 13).
Auf Platz 1 ist Norwegen gefolgt von Dänemark und Schweden. Reporter ohne Grenzen (ROG) zufolge sind drei Faktoren für diese Verschlechterung verantwortlich: Gewalt gegen JournalistInnen bei Demonstrationen, überwiegend bei Kundgebungen und Demonstrationen aus dem „Querdenker“ Spektrum; eine Gesetzgebung, die JournalistInnen und deren Quellen gefährde; und als dritter Faktor die abnehmende Medienvielfalt.
Auf Plakaten wurde bei der Kundgebung vielfach „Freiheit für Assange“ gefordert. Aber auch „Pressefreiheit ist auch meine Freiheit“ und „Pressefreiheit ist auch unsere Freiheit“ war zu lesen. Einen Seitenhieb auf die angebliche Hofberichterstattung der Stuttgarter Medien brachte ein Kundgebungsteilnehmer zum Ausdruck: „Ob Assange, S21, Eucom… Immer kungeln mit den Mächtigen. Stuttgarter Zeitung/Stuttgarter Nachrichten – lies mal wieder Zeitung! Statt Hofberichterstattung“. Auf einem an der Bühne angebrachten Transparent war zu lesen: „Wissend du bist da draußen und kämpfst für mich hält mich lebendig in dieser tiefen Isolation – Free Julian Assange now“.
Deutschland ist abgesackt
Unter den KundgebungsteilnehmerInnen waren auch Bernd Riexinger, Bundestagsabgeordneter und früherer Vorsitzender der Linken, die frühere Bundestagsabgeordnete Heike Hänsel und die beiden Stuttgarter Stadträte von „die FrAktion“ Hannes Rockenbauch und Luigi Pantisano.
Der Veröffentlichung der Reporter ohne Grenzen (ROG) zur Rangliste der Pressefreiheit ist zu entnehmen, dass im vergangenen Jahr 80 gewaltsame Angriffe gezählt wurden. Das waren so viele wie nie seit Beginn der Dokumentation im Jahr 2013. Bereits im Jahr 2020 war mit 65 Fällen ein Negativrekord erreicht worden. Die meisten dieser Angriffe (52 von 80) wurden bei Protesten des „Querdenker“ Spektrums verübt. 12 Angriffe der Polizei auf PressevertreterInnen wurden ebenfalls dokumentiert. Außerdem geht ROG von einer hohen Dunkelziffer an Fällen von Gewalt gegen Medienschaffende aus.
Angebliches Verbrechen: Geheimnisverrat
Die verschiedenen Redebeiträge gingen auf den Fall von Julian Assange ein. Aber auch die internationale Pressefreiheit war Thema. Die „Stuttgarter Mahnwache für Julian Assange“ trug eine kritische Performance zur Kundgebung bei, und die Sängerin Anja unterstützte sie musikalisch. Auch der Redner der Linksjugend Solid ging auf den Fall von Julian Assange ein. Seit nunmehr zehn Jahren sei er auf der Flucht, aber nicht etwa weil seine Heimat bombardiert wird oder ihm eine Erschießung drohe. Er fliehe auch nicht vor einem Despoten oder einem menschenverachtendem Militärregime. Nein, Assange fliehe vor einer Justiz, die demokratisch legitimiert ist, die ihn aber lebenslang einsperren will oder gleich mit der Todesstrafe droht. Ihm drohen 175 Jahre Haft, was deutlich mehr als lebenslänglich ist.
Das Verbrechen, dessen er beschuldigt wird, ist Geheimnisverrat. Er veröffentlichte Kriegsverbrechen des US-Militärs. Er brachte ans Licht, was die USA verheimlichen wollte, so der Redner. Pressefreiheit sei wichtig, um Fehlverhalten unter anderem von Regierungen und Institutionen aufzudecken. Unangenehme Wahrheiten zu enthüllen, damit dieses Unrecht gesehen wird.
Für das Aktionsbündnis sei klar, dass sich ein Land nicht mit Pressefreiheit rühmen kann, solange Whistleblower und investigative JournalistInnen keinen Schutz erhalten. Auch müsse Pressefreiheit international gelten. Zum Schluss forderte der Redner: „Freiheit für alle JournalistInnen, Freiheit für Julian Assange.“ Auch die Parole „Free, Free Julian Assange“ wurde von den KundgebungsteilnehmerInnen immer wieder angestimmt.
Angriff auf die Demokratie
Siegfried Heim, Landesfachbereichsleiter Medien von Verdi und Vertreter der dju (Deutsche Journalisten- und Journalistinnen Union), betonte in seiner Rede, dass Assange tat, was Journalisten und Journalistinnen tun sollten, sofern sie ihren Beruf ernst nehmen: Er hat Staatsgeheimnisse veröffentlicht, die er von der Whistleblowerin Chelsea Manning zugespielt bekam. Ein Staatsgeheimnis, das Kriegsverbrechen geheim halten sollte. Assange sorgte dafür, dass in einer demokratischen Gesellschaft darüber gesprochen werden kann ob es richtig ist Kriegsverbrechen mit dem Mantel der Geheimhaltung zuzudecken.
Jegliche Angriffe auf JournalistInnen sind auch Angriffe auf die Demokratie. Deshalb sei es am Tag der Pressefreiheit besonders wichtig, die Freilassung von Julian Assange zu fordern, so Heim. Überall auf der Welt berichten und kommentieren Journalisten und JournalistInnen, und das Ergebnis gefällt vielen nicht: „Es gefällt uns manchmal als Leser und Zuseher nicht, und es gefällt den Mächtigen in dieser Welt nicht.“ In vielen Diktaturen der Welt würden JournalistInnen schon wegen ihrer bloßen Existenz verhaftet, inhaftiert und gefoltert. Aber auch in Europa erlebten wir, dass JournalistInnen Gefahr laufen, ihr Leben zu verlieren – beispielsweise in Zypern oder der Slowakei. Und nur, weil sie machen, was sie eben tun müssten: Dinge veröffentlichen – öffentlich machen, damit die Gesellschaft über sie diskutieren kann.
Bedroht und angerempelt
Heim betonte, in Deutschland sei man zum Glück weit davon entfernt, dass JournalistInnen aufgrund ihrer Arbeit inhaftiert oder umgebracht werden. Dennoch habe ROG Deutschland nicht grundlos im Ranking herabgestuft. In diesem Zusammenhang erwähnte er die Angriffe gegenüber JournalistInnen bei „Querdenker“-Demonstrationen. „Wer bedroht, angerempelt, geschlagen oder bespuckt wird, dem wird signalisiert, mach Deine Arbeit nicht.“ Eine Demokratie brauche die Arbeit der MedienvertreterInnen, und deshalb machten sie ihre Arbeit weiter.
Zeki Capci von Didf sprach über die Lage der Presse- und Meinungsfreiheit International. Die aktuell verschärfte Lage und die zunehmenden Angriffe auf die Pressefreiheit seien kein Zufall. Das demokratische Recht auf Meinungs- und Pressefreiheit sei zunehmend ein Dorn im Auge der Herrschenden. Angriffe gingen auch von Staaten aus, um Medien und kritische JournalistInnen zum Schweigen zu bringen.
In Saudi Arabien in Lebensgefahr
Unabhängige und regierungskritische Medien würden vielerorts verboten und mit Geldstrafen überschüttet, oder sie werden zum Ziel staatlicher Repressalien. Unliebsame JournalistInnen würden inhaftiert, entführt oder getötet. Im Jahr 2021 betrug die Zahl der Inhaftierten JournalistInnen 488, das waren 20 Prozent mehr als im Vorjahr. Davon alleine 211 in China, Myanmar und Saudi-Arabien.
Bereits 2018 geriet Saudi-Arabien in die Schlagzeilen mit dem Mord am Journalisten Jamal Ahmad Khashoggi im saudi-arabischen Generalkonsulat in Istanbul. Dieser Mord ist bis heute nicht aufgeklärt. Wenn JournalistInnen über die Themen Korruption oder organisierte Kriminalität und die Verstrickungen staatlicher Behörden berichten, laufen sie Gefahr, ermordet zu werden. Noch vor Jahren galt der Internet-Journalismus als Chance für unabhängigen Journalismus, aber auch hier gerate man schnell ins Visier der Behörden, so der Redner.
Auch die Türkei verhindert kritischen Journalismus
Die Türkei hat 2021 den Zugang zu 54 Internetseiten und zu 1355 Nachrichteninhalten gesperrt. So werde kritischer Journalismus verhindert und die Informationsfreiheit eingeschränkt. Der Druck auf die Presse diene dazu, Fakten zu verschleiern und die Öffentlichkeit mit Falschinformationen zu manipulieren. Unabhängiger und kritischer Journalismus müsse unterstützt werden, sagte der Redner. JournalistInnen, die ins Fadenkreuz antidemokratischer Praktiken geraten, brauchten Solidarität. Wichtig sei es, sich für die demokratischen Rechte stark zu machen und dafür einzustehen. Angriffe auf sie könne man nur gemeinsam abwehren.
Weitere Redebeiträge kamen von den AnStiftern und Amnesty International. Sie forderten unter anderem einen konsequenten Einsatz für die sofortige Freilassung von Assange und den weltweiten Schutz für Whistleblower. Bereits im Dezember 2020 gab es in Stuttgart eine Kundgebung für die Freilassung von Assange statt. (Hier nachzulesen: https://beobachternews.de/2020/12/16/journalismus-ist-kein-verbrechen-2/)
Zum Abschluss der Kundgebung spielte nochmals die Musikerin Anja.
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