Von unserer Redaktion – Stuttgart. Die baden-württembergische Linke geht mit Zuversicht und einem stark verjüngten Team in den Bundestagswahlkampf. Die Partei stehe auf zwei Beinen, betonte ihr Vorsitzender Bernd Riexinger beim Listenparteitag am Samstag, 28. Januar, im Bürgerhaus von Stuttgart-Möhringen. Das eine sei der Kampf um soziale Gerechtigkeit, das andere die Friedenspolitik. Diese beiden Schwerpunkte verkörpern im Spitzenduo Riexinger selbst als früherer Verdi-Funktionär auf Platz eins und die Tübinger Entwicklungspolitikerin Heike Hänsel auf Platz zwei.
Die stellvertretende Vorsitzende der Linksfraktion Heike Hänsel, seit 2005 im Bundestag, wird als einzige der aktuell fünf Abgeordneten des Landesverbands dem Parlament wohl auch weiterhin angehören. Bei der Wahl am 24. September strebt die Linke ein zweistelliges Ergebnis bundesweit und in Baden-Württemberg mindestens fünf Prozent und sechs Mandate an.
Am Samstag hatten die zirka 180 Delegierten 16 Listenplätze zu vergeben. Vor allem die aussichtsreichen vorderen Ränge waren in einem bemerkenswert starken Feld von Kandidatinnen und Kandidaten hart umkämpft. Unter den Bewerberinnen und Bewerbern waren auch viele jüngere, von denen sich mehrere durchsetzen konnten. Auf die Plätze drei bis acht kamen Tobias Pflüger (51, Wahlkreis Freiburg), Gökay Akbulut (34, Mannheim), Jessica Tatti (35, Reutlingen), Michel Brandt (26, Karlsruhe), Claudia Haydt (50, Bodensee) und Alexander Relea-Linder (23, Backnang-Schwäbisch Gmünd).
Langjährige Abgeordnete treten nicht mehr an
Landessprecherin Heidi Scharf hatte den Parteitag mit einem Grundsatzreferat eröffnet. „Wir sind bereit, uns mit den Reichen und Mächtigen anzulegen. Wir wollen über unser Leben selbst bestimmen“, erklärte sie und kündigte den Kampf um einen „grundlegenden Politikwechsel“ an. Ein eigentlich vorgesehenes Grußwort der befreundeten HDP musste wegen der Lage in der Türkei entfallen, viele Abgeordnete – so auch der Co-Vorsitzende Selahattin Demirtaş – sind in Haft.
Die Abgeordneten Michael Schlecht, Karin Binder und Annette Groth treten bei der Bundestagswahl nicht mehr an. Sie wurden am Samstag mit Blumen und Dankesworten verabschiedet.
Starken Applaus als Dank für seine Arbeit erhielt auch der Böblinger Jurist Richard Pitterle. Er kam weder auf Listenplatz vier noch auf Platz sechs und scheidet nun nach acht Jahren ebenfalls als Abgeordneter aus dem Bundestag aus.
Heike Hänsel erzielt Spitzenergebnis
Bernd Riexinger, 61, und Heike Hänsel, 51, hatten auf den ersten beiden Plätzen keine Gegenkandidaten. Der Linken-Chef erhielt mit nur 77,5 Prozent der Stimmen jedoch einen deutlichen Dämpfer. Dabei könnten Ressentiments gegen angeblich besitzstandswahrende Gewerkschaftspolitik eine Rolle gespielt haben. Möglicherweise schlugen sich aber auch Konflikte in der Parteiführung nieder. Riexinger hatte vor kurzem die Fraktionsvorsitzende Sahra Wagenknecht zur Ordnung gerufen, als sie der Bundeskanzlerin „unkontrollierte Grenzöffnung“ vorwarf.
„Wir haben eine klare Programmatik – wir kritisieren Frau Merkel nicht dafür, dass sie die Grenzen nicht geschlossen hat oder gar Auffanglager oder ähnliche Dinge eingeführt hat“, wurde Riexinger damals in den Medien zitiert. Heike Hänsel erhielt dagegen ein Spitzenergebnis von 87 Prozent und immer wieder begeisterten Szenenapplaus für ihre Vorstellungsrede.
Ohne Umverteilung keine Koalition
Auch die Rede des Parteivorsitzenden kam durchaus gut an. Die Linke habe im vergangenen Jahr bundesweit 5400 neue Mitglieder gewonnen, von denen die Hälfte jünger als dreißig Jahre alt sei, sagte Riexinger. Landesgeschäftsführer Bernhard Strasdeit konnte ebenfalls von einer positiven Mitgliederentwicklung berichten. Der baden-württembergischen Linken gehören jetzt 3100 Menschen an.
Riexinger prangerte vor allem die Armut und Kinderarmut und das ungleich verteilte Vermögen an. „Die Linke darf in keine Regierung gehen, die nicht bereit ist, den gesellschaftlichen Reichtum umzuverteilen“, erklärte er. Sie müsse auch ein klares Bollwerk gegen Flüchtlingsfeindlichkeit und Nationalismus sein: „Unsere Gegner sind nicht die, die in Not sind, sondern die, die diese Not verursacht haben.“
Über Regierungsbeteiligung entscheiden die Mitglieder
Riexinger forderte einen „grundsätzlichen Bruch mit der neoliberalen Politik“. „Wir werden in keine Regierung gehen, die Kampf- und Auslandseinsätze beschließt. Das ist für Linke unumstößlich“, stellte er außerdem klar. Ohnehin werde es keine Regierungsbeteiligung ohne vorherige Mitgliederbefragung geben.
Auch Heike Hänsel forderte „eine Wiederherstellung des Sozialstaats“ und eine friedliche Außenpolitik. Sie wandte sich gegen Waffenexporte und das Säbelrasseln der Nato gegenüber Russland. Statt eines „brandgefährlichen“ Truppenaufmarschs der Nato an der Westgrenze des Landes brauche man ein neues, gemeinsames Sicherheitssystem. Die Bundeswehr müsse aus Afghanistan, der Türkei, Syrien und Mali abgezogen werden. Es sei „besonders zynisch“, dass es jetzt wieder Abschiebungen nach Afghanistan gibt.
Akbulut und Tatti auf aussichtsreichen Plätzen
Für Listenplatz drei traten sechs Kandidatinnen an. In der Stichwahl setzte sich die Mannheimerin Sozialarbeiterin Gökay Akbulut mit 94 zu 87 Stimmen gegen Jessica Tatti, ebenfalls Sozialarbeiterin, durch. Akbulut kommt aus einer Flüchtlings- und Arbeiterfamilie aus Kurdistan und war Spitzenkandidatin bei der Landtagswahl.
Aber auch die Reutlinger Stadträtin Tatti, 35, erhielt für ihre Vorstellungsrede viel Applaus. So entschied sie die Stichwahl um Platz fünf gegen Claudia Haydt, Vorstandsmitglied der Europäischen Linken, mit deutlichen 110 zu 70 Stimmen für sich. Haydt, 50, errang schließlich gleich im ersten Wahlgang gegen drei Konkurrentinnen Platz sieben.
Richard Pitterle scheidet aus dem Bundestag aus
Kaum weniger spannend verlief die Wahlen auf den gemischten Plätzen. Auf Platz vier traten zunächst vier Kandidaten an. Im zweiten Wahlgang unterlag der Böblinger Bundestagsabgeordnete Richard Pitterle gegen den früheren Europaabgeordneten und stellvertretenden Partei-Chef Tobias Pflüger, 51.
Um Platz sechs bewarben sich sogar sieben Kandidaten. Nach einem starken Auftritt machte der politisch auf vielen Feldern, etwa im Kampf gegen rechte Aufmärsche aktive Karlsruher Staatstheater-Schauspieler Michel Brandt das Rennen. Pitterle ging erneut leer aus und kündigte an, nach der Wahl wieder als Rechtsanwalt arbeiten zu wollen.
Plätze neun bis 16 per Listenwahl vergeben
Für die Vergabe von Platz acht mit zunächst acht Kandidaten wurden wieder zwei Wahlgänge nötig. In der Stichwahl behielt Alexander Relea-Linder aus Schwäbisch Gmünd nach einer kämpferischen, engagierten Rede die Oberhand über Alexander Kauz aus Südbaden.
Über die Plätze neun bis 16 wurde erst am Sonntag, dem zweiten Tag der Landesvertreterversammlung, in einem Frauen- und einem gemischten Wahlgang abestimmt. Platz neun ging an Sahra Mirow (Heidelberg). Auf die weiteren Plätze kamen Alexander Kauz (Emmendingen-Lahr), Johanna Tiarks (Stuttgart), Ecevit Emre (Rhein-Neckar), Saskia Jürgens (Aalen-Heidenheim), Peter Schimke (Wahlkreis Ludwigsburg), Ursula Beck, Stuttgart (ohne Wahlkreis) und Werner Zieger (Wahlkreis Bruchsaal-Schwetzingen).
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