Von unserer Redaktion – Karlsruhe-Durlach. Vor fast zehn Monaten zogen mehrere hundert Neonazis zum sogenannten „Tag der Deutschen Zukunft“ durch Durlach. Die deutschlandweite Mobilisierung von AntifaschistInnen sorgte für enormen Protest gegen die Versammlung. Er wurde jedoch vom rabiaten Vorgehen der Polizei überschattet. Am Dienstag, 27. März, stand nun ein junger Gegendemonstrant in Durlach vor Gericht. Der Vorwurf: Angriff und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte. Er wurde zu einer Geldstrafe von 600 Euro verurteilt.
Mit leichter Verspätung begann um kurz nach 10 Uhr die Verhandlung im Sitzungsaal des Amtsgerichts. Etwa 20 Unterstützer füllten die Zuschauerbänke im hinteren Teil des Raumes, darunter der Bundestagsabgeordnete Michel Brandt (Die Linke).
Aus der Anklageschrift ging hervor, dass der Antifaschist angeblich einem Polizisten auf die Hände geschlagen und sich gegen die Einsatzkräfte gewehrt haben soll. In einer Erklärung machte der Angeklagte deutlich, wie wichtig antifaschistisches Engagement sei. Anschließend schilderte er, wie der Vorfall, der ihm zum Vorwurf gemacht wurde, aus seiner Sicht ablief. Bis heute leide er unter den psychischen Folgen seiner brutalen Festnahme. Er hatte bei ihr mehrere Prellungen und offene Wunden davongetragen und musste mit Verdacht auf eine Rippenfraktur ins Krankhaus.
Die Beweisaufnahme startete mit der Sichtung der Polizeifotos und einiger Videos von der besagten Situation, die dem Anwalt des Angeklagten zugespielt worden waren. Hierbei monierte der Richter, dass man wegen der Verpixelung der Videos kaum etwas erkennen könne.
Die drei geladenen Zeugen – allesamt Polizeibeamte der Bereitschaftspolizei Erfurt – gaben sich zum großen Teil unwissend. Zwar konnten alle die Lage an jenem Tage recht genau schildern, aber auf konkrete und detailorientierte Fragen kaum Antworten geben. Die Aussagen waren eine Mischung aus verschwommener Erinnerung und gelesener Berichte, was die Beamten auch so zugaben.
Der erste Zeuge O. – der angeblich angegriffene Polizeibeamte – meinte zudem, er dürfe bestimmte Dinge „aus taktischen Gründen“ nicht sagen. Während der folgende Zeuge nur wenig zur Sache beitragen konnte, wunderte sich der dritte, warum kein Polizeivideo vorhanden sei. Er habe an jenem Tage die Videokamera bedient. In einer kurzen Unterbrechung versuchte der Beamte herauszufinden, wo das Video gelandet war. Erfolglos: Das Video blieb verschollen.
Auffällig waren die Fragen des Richters zur Sinnhaftigkeit und Rechtmäßigkeit des Polizeieinsatzes in der behandelten Situation. Die Lage an jenem 3. Juni eskalierte nämlich erst, als die Polizei eine Spontandemonstration zu einer angemeldeten Kundgebung kurz vor dem Eintreffen am Kundgebungsort mit Pfefferspray und Schlagstöcken stoppte. Die Folge waren viele Verletzte, darunter auch der Angeklagte.
Alle vorgelegten Beweismittel und die Aussagen der Zeugen hinterließen ein zweifelhaftes Bild von der vorgeworfenen Tat. Allenfalls Indizien und Vermutungen waren geblieben. Dennoch antwortete der Richter auf die Frage des Verteidigers nach Einstellung des Verfahrens: „Ich kann da nix machen.“
Die Staatsanwältin sah sich in ihrem Plädoyer gezwungen, den Vorwurf des Angriffs fallen zu lassen, und forderte für Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte eine Geldstrafe in Höhe von 900 Euro. Die Verteidigung bewertete das entstandene Bild hingegen so: Alle gezeigten Bilder und alle Schilderungen zeigten Gewalt am Angeklagten. Der als Geschädigter geladene Zeuge berichtete hingegen, er habe keinen Angriff gespürt.
Die Forderung des Verteidigers: Freispruch. Ohne weitere Sitzungspause verkündete der Richter seine Entscheidung. Er verurteilte den Angeklagten wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte zu einer Geldstrafe in Höhe von 600 Euro. Zuletzt zeigte er sich doch vom Polizeieinsatz überzeugt und nannte die Strafe eine „Belehrung“. Zugleich betonte er jedoch auch, dass er persönlich den Protest „gegen Rechts“ für wichtig halte.
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