Von Alfred Denzinger – Stuttgart. Nach den Räumungen der besetzten Wohnungen in Stuttgart-Heslach (wir berichteten) nimmt die Auseinandersetzung zwischen den beteiligten Parteien weiter Fahrt auf. Die Eigentümer hatten den Dachboden geräumt, auf dem sich Gegenstände der regulären MieterInnen befanden und diese auf die Straße gestellt. Die MieterInnen klagten mit der Begründung „verbotene Eigenmacht“ dagegen. Richter Andreas Gerber signalisierte seine Rechtsauffassung zugunsten der Mieterseite. Die Verhandlung am Dienstag, 11. September, endete schließlich mit einem Vergleich, der die MieterInnen in ihrer Rechtsauffassung bestärkte.
Auf Anregung von Thomas Jung, dem Rechtsbeistand der Mieter, wurde vereinbart: Die Beklagten verpflichten sich, die Gegenstände wieder auf den Dachboden zu verbringen. Die Kläger verpflichten sich sich, den Dachboden zum 1. November zu räumen. Die Gerichtskosten übernehmen die Beklagten.
Räumungsklage gegen das junge Paar mit Kleinkind
Am Ende der Verhandlung kündigte Rechtsanwalt Erik Silcher an, dass die juristische Auseinandersetzung zwischen den Mietern und den Hauseigentümern weitergehen wird. „Die Räumungsklage ist schon anhängig“, sagte Silcher, der die Vermieter vertritt.
Die MieterInnen hatten im Juni eine fristlose Kündigung mit der Begründung erhalten, sie hätten den BesetzerInnen, die im April in zwei leerstehende Wohnungen eingezogen waren, geholfen. Die MieterInnen legten Einspruch dagegen ein. Seither habe sich die Vermieterseite nicht mehr in dieser Sache gemeldet.
Die Mieterin wollte vor Gericht noch eine Erklärung verlesen. Richter Gerber unterbrach dies umgehend und erklärte die Verhandlung für geschlossen. Wir dokumentieren die Erklärung am Ende des Beitrags.
Realsatirische Sicherheitsmaßnahmen
Die Hauseigentümerin kam in Begleitung eines Sicherheitsunternehmens ins Gericht. Richter Gerber erließ im Vorfeld eine „sitzungspolizeiliche Verfügung“. Dies löste eine überdimensionale Einlasskontrolle einschließlich der Durchsuchung der ZuschauerInnen aus. Im Zuschauerraum des Gerichtssaals befanden sich bis zu zehn uniformierte und bewaffnete Polizei- und Justizbeamte. Rechtsbeistand Jung hielt diese Maßnahme für übertrieben und kommentierte das Szenario mit den Worten: „Wir sind doch nicht in einem Terrorismus-Prozess“.
Am Ende der Verhandlung verließ die Beklagtenseite eilig den Gerichtssaal. Die Polizei versperrte einige Minuten allen anderen Menschen im Saal den Ausgang. Auch PressevertreterInnen durften den Saal nicht verlassen.
Kundgebung vor dem Gericht
Vor dem Amtsgericht hielten MieterInnen, interessierte ZuhörerInnen und rund 50 UnterstützerInnen vor der Verhandlung eine Kundgebung zur Wohnraumproblematik ab. Sie forderten Maßnahmen gegen den Leerstand und für bezahlbaren Wohnraum. Es sprachen unter anderen der Stadtrat Tom Adler (SÖS-Linke-Plus) und ein Gewerkschaftsvertreter (siehe Video unten).
(Versuchte) Erklärung der MieterInnen vor Gericht
Liebe Anwesende,
wir sind heute hier, da wir gegen die Familie P******* (von der Redaktion geändert) geklagt haben. Sie sind Eigentümer des Hauses in dem Ende April zwei leerstehende Wohnungen von zwei Familien besetzt wurden. Heute ist unser 3. Kontakt mit ihnen.
Wir halten es für nötig, hier diesen kurzen Abriss zu den vergangenen Ereignissen zu machen, da das worum es heute geht, nicht losgelöst davon bewertet werden kann und im Kontext zu der Besetzung steht.
Der erste Kontakt mit den Eigentümern fand statt, als Frau P******* zwei Tage nach der Besetzung der beiden leerstehenden Wohnungen kam, um die Besetzerinnen und Besetzer sowie alle anderen aufzufordern, das Haus zu verlassen.
Da ich es gut nachvollziehen kann, dass junge Familien eine passende Wohnung für ihre Kinder brauchen, schlug ich Frau P******* vor, die Situation doch einfach zu lösen, indem sie den beiden Familien einfach Mietverträge gibt. – Das wurde später verwendet um mich wegen versuchter Erpressung anzuzeigen.
Der zweite Kontakt war am Tag der Räumung, am 29.Mai. Dies obwohl nur wenige Stunden davor Gesprächsbereitschaft von der Familie P******* und ihrer Anwaltskanzlei signalisiert wurde und die Besetzerinnen und Besetzer aufgefordert wurden, ihre Forderungen zu nennen. Dem kamen sie auch nach, es ging um Mietverträge! Sie nannten sogar eine Höhe der Mietzahlung die der unseren entspricht und die Bereitschaft mehr zu zahlen. Dennoch entschieden die P*******s sich, die beiden Familien aus dem Haus zu werfen. Die Wohnungen sind seither leer und mit Brettern verrammelt, wie lange das noch so bleiben wird ist unklar. Sicher ist nur, dass es keine sichtbaren Zeichen gibt, die darauf hinweisen könnten, dass die Wohnungen wieder mit Leben gefüllt werden würden.
Dass es Ihnen nicht darum geht, in dem Haus Menschen wohnen zu lassen, wurde am Tag der Räumung aber auch den Wochen danach bis jetzt mehr als deutlich:
Sie trennten noch am Tag der Räumung den Hof mit einem massiven Bretterverschlag zu den Nachbarn – eine Aktion, die keinen anderen Zweck hat als den Hof dunkler zu machen, Lebensqualität von uns einzuschränken und den Kontakt zu unseren Nachbarn die sich der Besetzung gegenüber solidarisch gezeigt haben einzudämmen. Jedoch erfolglos, denn auch das hindert uns nicht daran weiter mit unseren Nachbarn in Kontakt zu stehen. Nur unsere Kinder können nicht mehr ungehindert miteinander spielen.
Auch ließen die P*******s den Dachboden noch am Tag der Räumung mit Schrauben verschließen – auf unsere Emails, dass dort unsere Privatgegenstände seien, die wir brauchten, erfolgte keine Reaktion!
Und was dann passierte, ist an Absurdität kaum zu überbieten: Sie untersagten allen Bewohnern die Nutzung des Dachbodens. Begründet wurde dies damit, dass in der Hausordnung stehe, man dürfe das Dach nicht betreten. Offensichtlich kennt die Familie P******* beziehungsweise ihre rechtliche Vertretung nicht den Unterschied zwischen Dach und Dachboden! Trotz unseres Widerspruchs wiesen Sie am 6. August Arbeiter an, in Begleitung von Securitys, den Dachboden zu räumen – alle unsere Gegenstände und die der anderen Hausbewohner sollten zu einer Mülldeponie gebracht werden! Dazu wurden alle Türen auf dem Dachboden aufgebrochen. Es war nur Zufall, dass wir an diesem Tag mittags vorbei kamen und die Gegenstände auf dem Gehweg vorfanden. So konnten wir den Diebstahl und die Vernichtung unserer Sachen – unter anderem Kinderkleidung und Spielzeug gerade noch verhindern.
Im Vorfeld ließen Sie bereits alle Gegenstände des Hofes, inklusive eines Wasserspielzeuges mit dem unser Kind darauf spielte, wegräumen. Können Sie erklären wieso? Was stört es Sie, die selbst nicht in dem Haus wohnen, wenn wir im Hof sitzen und ihn, so wie andere Nachbarn ebenfalls, ihn seinem eigentlichen Zweck nach nutzen?
Hinzu kommen die Securitys, die andauernd da sind – mindestens einmal täglich, zeitweise auch 3x täglich und teils auch zu dritt in unserem Hausflur übernachten und ihren Müll dort liegen lassen! Das ist eine massive und gewollte Einschüchterung!
Dazu kommen die kleinen Schikanen: unsere Müllcontainer wurden bereits 2x einfach verschlossen, so dass wir unseren Müll auf der Straße abstellen mussten, das Kellerlicht, das trotz mehrmaligen Anmahnungen nicht repariert wird – Sie wollen unsere Gegenstände entsorgen aber schaffen es nicht, uns Licht im Keller zu machen, wo man zumindest Stauraum schaffen könnte?! Außerdem wurde der Lichtschalter im Eingangsbereich Monate lang nicht repariert – erst nachdem mehrere Mieter Stromschläge abbekommen haben ist das jetzt geschehen – eine Sache die schnell zu machen ist und die ebenfalls mehrmals von uns angesprochen wurde.
Besonders dreist ist natürlich die fristlose Kündigung von uns – die Gründe waren an den Haaren herbeigezogen und drehten sich im Wesentlichen darum, dass wir uns – wie viele andere auch – mit den HausbesetzerInnen öffentlich solidarisiert hatten.
Dass die Familie P******* nicht daran interessiert ist, ein positives Verhältnis zu uns aufzubauen, sondern uns schikanieren möchte, ist auch daran erkennbar, dass sie bis heute kein Gespräch mit uns geführt haben. Alles was wir erhalten, sind Briefe von der Kanzlei Silcher. Die Verwalterin Frau Fiumara stritt uns gegenüber ab, für uns zuständig zu sein, obwohl sie uns schriftlich als Zuständige benannt wurde. Auf Nachrichten reagiert sie ebenfalls nicht.
Zur Perspektive
Das was in der WRS 4 aktuell passiert, ist kein Einzelfall. Es ist eine Strategie um Mieterinnen und Mieter die unliebsam sind oder die einfach nicht das an Miete zahlen können, was ein Eigentümer gerne hätte, los zu werden.
In einer Gesellschaft, in der es darum geht immer mehr Profite zugunsten einiger weniger zu schaffen, profitiert der Großteil der Bevölkerung nicht davon. Statt dessen geht es darum, aus allen Bereichen den größt-möglichen Profit zu schlagen – eben auch aus dem Grundbedürfnis Wohnraum.
Der Familie P******* geht es nicht darum, den Wohnraum selbst zu nutzen oder ihn anderen zur Verfügung zu stellen. Sie haben ihr Geld angelegt und demonstrieren ihre Macht uns Mietern gegenüber.
Es gibt unzählige Beispiele anderer Mieterinnen und Mieter denen es nicht anders ergeht als uns. Aber wir halten es für wichtig, das nicht widerstandslos über uns ergehen zu lassen. Wohnraum ist eine Notwendigkeit, die alle Menschen brauchen und wir wollen nicht aus unseren Stadtteilen vertrieben werden. Dass Protest und Widerstand von Mieterinnen und Mietern aktuell zunimmt ist ein gutes Zeichen und daran muss man anknüpfen, wenn man nicht will, dass immer mehr Menschen verarmen und Menschen aus ihren Stadtteilen wegziehen, weil sie sich die Miete einfach nicht mehr leisten können. Genau deswegen klagen wir heute, da wir die Schikanen mit denen unzählige Mieterinnen und Mieter konfrontiert sind, thematisieren wollen und andere auffordern, dass ebenfalls nicht still schweigend über sich ergehen zu lassen.
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