Von Lotta Thalmann – Landau. Ein Antifaschist aus Stuttgart wurde am Freitag, 12. Juli, in Landau zu einer Geldstrafe von 4500 Euro (180 Tagessätzen zu je 25 Euro) plus Verfahrenskosten verurteilt. Laut Anklage hatte er bei der Demonstration „Gegen Rechts“ in der Kleinstadt Kandel am 24. März 2018 (wir berichteten) Böller geworfen. Weitere Anklagepunkte waren schwerer Landfriedensbruch wegen eines Verstoßes gegen das Sprengstoffgesetz, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, Körperverletzung gegen Vollstreckungsbeamte und Verstoß gegen das Versammlungsgesetz durch Vermummung.
Der Oberstaatsanwalt hatte eine Freiheitsstrafe von 16 Monaten ohne Bewährung gefordert. Das Gericht folgte ihm jedoch nicht allen Punkten. Vor der Verhandlung gab es vor dem Amtsgericht eine Kundgebung. 30 Menschen, die das überregionale Kampagnen Bündnis „Niemand bleibt im Regen steh’n!“ unterstützen, hatten sich aus Solidarität bereits um 8 Uhr vor dem Gebäude versammelt.
In Redebeiträgen wurde über die Entwicklung in Kandel und Landau informiert. Seit anderthalb Jahren marschieren dort Rechte bis hin zu Hardcore-Nazis auf. Der Anführer des faschistischen „FrauenBündnis Kandel“ Marco Kurz ist mittlerweile gezwungenermaßen mit seinen Versammlungen von Kandel nach Landau ausgewichen. Mit vielfältigen Aktionen wurde gegen das „Frauenbündnis“ protestiert. Es wurde versucht, Neonaziaufmärsche zu stören und zu verhindern. Es wurde auch angekündigt, dass das so bleibt.
Der Staats- und Polizeiapparat versuchte zum Teil gewaltsam, antifaschistischen Widerstand zu verhindern, und verfolgte ihn repressiv. „Stellvertretend für uns alle werden nun einzelne angeklagt und verurteilt. Wichtig ist, dass wir uns von diesen Einschüchterungsversuchen nicht abschrecken lassen“, hieß es bei der Kundgebung vor dem Gerichtsgebäude.
„Unverhältnismäßige Schikane“
Beim Betreten des Gerichtsgebäudes wurden die KundgebungsteilnehmerInnen während der nächsten Stunden mehrmals der Durchleuchtung mit einem Ganzkörperscanner, einem Handscanner, Metalldetektoren, Leibesvisitationen, der manuellen Durchsuchung und Durchleuchtung von Taschen und Ausweiskontrollen unterzogen.
Zudem wurden Getränke, Handys, Medikamente oder sonstige belanglose Dinge konfisziert.
Diese Prozedur dauerte jedes mal etwa eine dreiviertel Stunde. Von Betroffenen wurde diese „Akribie“ als Willkür und reine Schikane gegen alles Linke“ interpretiert. Ein Schlusssatz des Richters bekräftigte den Eindruck der Vorverurteilung alles Linken: „Ich habe es mir schlimmer mit ihnen vorgestellt.“
Es gab nur 14 freie Plätze im Gerichtssaal, da drei Stühle für die komplette Verhandlungsdauer von Polizeibeamten besetzt waren.
Diese machten während der Verhandlung – wenn auch leise – Bemerkungen oder lachten auf.
Solidarisch tauschten die ProzessbeobachterInnen in Abständen die Plätze mit den draußen Wartenden. Da bedeutete jedoch jedes Mal erneute Untersuchungen.
Aussagen wirken abgesprochen
Der Angeklagte machte nur Angaben zu seinen persönlichen Verhältnissen und las eine politische Erklärung vor (siehe unten). Insgesamt wurden sieben PolizistInnen als Zeugen vernommen, fast alle von der BFE (Beweissicherungs- und Festnahme-Einheit) Bruchsal. Zuhörern drängte sich der Eindruck auf, dass sich wohl alle Beamte im Vorfeld über die Abfolge des Geschehens am 24. März 2018 abgesprochen hatten. Zu offensichtlich schloss sich eine Zeugenaussage an die nächste nahtlos an.
Nicht ganz nach vollziehbar waren die Aussagen über verschiedene Taschen, Rucksack, Jutebeutel und/oder Plastiktüten, die bei der Demonstration auf der Straße gefunden wurden. Einmal hieß es, das Beweismaterial habe auf der Straße gelegen, ein anderes Mal, es habe sich direkt neben dem Angeklagten befunden.
Polizist klagt über anhaltende Schmerzen
Die sicher gestellten Böller und drei Rauchfackeln wurden zur Klassifizierung ans LKA geschickt. Zum Beispiel sind so genannte Polenböller verboten, sie gelten aber nur als Ordnungswidrigkeit. Böller, die nicht zuzuordnen sind, fallen automatisch unter das Sprengstoffgesetz.
Ein Polizist, der sich beim unvermittelten Zugriff auf den Angeklagten an den Fingern wehgetan hatte, beklagte Schmerzen über zwei Tage hinweg, konsultierte aber nicht den medizinischen Dienst. Gleichzeitig gab ein Kollege an, dass der Angeklagte zwar „Widerstand“ bei der Festnahme leistete, aber nicht körperlich gegen die Beamten agiert habe. Der Angeklagte war nach dem Zugriff verletzt. Er blutete am Knie und im Mund.
Oberstaatsanwalt will Exempel statuieren
Zur Beweislage wurde ein Polizeivideo gezeigt, welches aber auch deutlich die Gewalt der BFE gegen den Gegenprotest zeigte – unter anderem den direkten Faustschlag ins Gesicht einer friedlich demonstrierenden Person.
Der Oberstaatsanwalt erklärte, er wolle mit der Haftstrafe ein Exempel statuieren um vor weiteren Aktionen abzuschrecken. Das Gericht stellte jedoch in seiner Urteilsbegründung heraus, dass es keine Verletzung des Polizisten gab, keine Körperverletzung durch Böller, da sie nicht in eine Menge geworfen wurden, und auch keine Verurteilung nach dem Sprengstoffgesetz. Es sei nicht bekannt, welche Böller der Angeklagte geworfen habe. Auch habe es keinen Nachweis gegeben, ob Böller unter das Sprengstoffgesetz fielen.
Richter belehrt die Versammelten
Bewiesen sei indes der Landfriedensbruch, da er einen Böller geworfen habe, und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte. Wenn die Polizei kommt, müsse man sich sofort festnehmen lassen, erklärte der Richter, und dürfe keinerlei Widerstand leisten. Wenn man aber gepackt werde, sei eine gewisse Abwehr eine normale Reaktion. Erwiesen sei auch ein Verstoß gegen das Versammlungsgesetz, da Vermummung verboten sei.
Der Richter appellierte zudem an die Versammelten, ohne Gewalt zu demonstrieren. Er führte ein Beispiel aus Stuttgart an, wo ein Neonazi verfolgt und geschlagen worden sei. In Kandel müsse man die Kirche im Dorf lassen. Der Richter vergaß auch nicht, die Ausschreitungen beim G20-Gipfel in Hamburg zu erwähnen.
Nach der Urteilsverkündung wurde noch im Gerichtssaal ein Transparent hochgehalten mit der Botschaft: „Auf der Straße und vor Gericht. Niemand bleibt im Regen stehen. Gegen Nazis und Repression!“
Ausschnitt aus unserem Video vom 24. März 2018:
Die Prozesserklärung des angeklagten Antifaschisten im Wortlaut:
„Auf den Straßen organisieren sich faschistische Gruppen „Die Rechte“, „Dritter Weg“ oder auch die „Identitäre Bewegung“ und versuchen, den öffentlichen Raum für sich einzunehmen. Auch die bürgerlichen Parteien tragen das Ihre zum Rechtsruck bei und liefern die geforderten Verschärfungen – zum Beispiel in der Asylfrage oder in Form verschärfter Polizeigesetze in den Bundesländern. Es würde den Rahmen sprengen, hier tiefer auf die Hintergründe dieser Entwicklungen einzugehen, dennoch ist es wichtig eines zu erwähnen: Es ist nicht so, dass immer mehr Menschen sich aus reiner Experimentierfreudigkeit oder der überzeugenden Argumente wegen den Rechten anschließen – vielmehr zeigt sich aktuell zum wiederholten Mal, wie wirtschaftliche Krisenzeiten im Kapitalismus ihre eigenen autoritären, rückschrittlichen und chauvinistischen Antworten erzeugen. Diese Antworten in Form von politischen Bewegungen und ihre gut situierten Unterstützerkreisen sind vor allem zweierlei: staatstragend und systemerhaltend.
Wohin eine von Faschisten und Rechten getragene Dynamik führen kann, wenn sie nicht von Anfang an konsequent bekämpft wird, hat sich in Chemnitz gezeigt. Am 26. August 2018 gab es in Chemnitz progromartige Ausschreitungen. Ausgehend von einem Mord an einem 35-jährigen Mann auf einem Stadtfest, mobilisieren AfD und Nazihools zu Kundgebungen und Demonstrationen. Worin diese Demonstrationen endeten, dürfte wohl jedem hier bekannt sein. Es kam zu Hetzjagden auf Geflüchtete und nicht-weiße Menschen. In den folgenden Tagen mobilisierten die Rechten und Faschisten zu weiteren Demonstrationen, immer begleitet von Gewalt gegen Geflüchtete, JournalistInnen oder Linke.
Eine solche Dynamik sollte sich, wenn es nach den Rechten gegangen wäre, auch in Kandel entfalten. Und die Gefahr war real! Angeführt von der AfD-Landtagsabgeordneten Christina Baum zogen mehrere tausend Rechte – von NPD und Identitären, über Nazihools und Reichsbürger bis hin zu AfD – durch Kandel. Die Rechten sahen sich in einer Position der Stärke, Kandel sollte an die rassistischen Mobilisierungen in Bautzen und in Heidenau anknüpfen und auch im Westen ein Zeichen der Stärke setzen. Aus ganz Baden-Württemberg sind die Faschisten und andere Rechte nach Kandel gereist, die AfD hatte sogar eigens Busse organisiert, um ihre Anhängerschaft zu mobilisieren. Wohin dieses Gefühl der Stärke führt, zeigte sich prompt. Bei den ersten Demonstrationen kam es zu Angriffen auf den zahlenmäßigen schwach aufgestellten Gegenprotest.
Die Demos in Kandel haben wieder einmal gezeigt, dass es keinen Grund gibt, sich im Kampf gegen Rechte und Faschisten auf den Staat und seine Institutionen zu verlassen. Es gibt weder den politischen Willen, faschistische Strukturen zu zerschlagen, noch wäre dies überhaupt von einer Polizei zu erwarten, die nicht zufällig Rekrutierungsort für diverse rechte Netzwerke ist.
Eine bewaffnete staatliche Einrichtung, in der Gewaltausübung und Einschüchterungen gegen fortschrittliche Bewegungen regelmäßige Praxis sind, in der Korpsgeist und Befehlsketten das kollektive Handeln bestimmen, ist nun einmal ein fruchtbarer Schoß für den braunen Sumpf. Nordkreuz, Hannibal, NSU 2.0 – Schlagworte für das Zusammenspiel von sogenannten „Sicherheitsorganen“ und Rechtsterrorismus. Und das sind nur die zufällig bekannt gewordenen Beispiele aus jüngerer Vergangenheit.
Zurück nach Kandel: Wenn der Polizeiapparat auf hochgefährliche rechte Mobilisierungen mit militärisch organisiertem Schutz und der Abschottung der notwendigen Proteste antwortet, dann ist es richtig, diese Übermacht zu durchbrechen – wenn auch nur punktuell und für kurze Momente. Das Ziel ist eine starke gesellschaftliche Front, die die Rechten selbstbestimmt zurückdrängt. Jeder Ansatz, der die Ohnmacht durchbricht und aufzeigt, dass wir nicht dazu verdammt sind, politischen Rechtstrends und staatlicher Übermacht tatenlos zu begegnen, ist ein legitimer Beitrag dazu. Das gesellschaftliche Problem ist nicht Gewalt gegen Rechts, sondern rechte Gewalt! Während hier über einen Böller diskutiert wird, hallt der tödliche Schuss auf Walter Lübcke noch nach.
In diesem Prozess werde ich als Teil der antifaschistischen Bewegungen auf die Anklagebank gezwungen. Doch eigentlich sind es ganz andere, die zur Verantwortung gezogen werden sollten – für die Aufhetzung der Bevölkerung gegen Minderheiten und sozial Schwache, für das Schüren von Ängsten und Unsicherheiten in den weniger privilegierten Teilen der Bevölkerung, um zu spalten und die eigentlichen sozialen Probleme zu verschleiern.
Den Kampf gegen Rechts begreife ich als einen Teil der Bemühungen um eine solidarische Welt, eine Welt, in der der Großteil der Menschen nicht mehr in die Abhängigkeit von wenigen Besitzenden in die Zwänge von Profit- und Verwertungslogik gepresst werden. Egal was in diesem Prozess heute auch entschieden wird – diese Bemühungen sind mehr wert als jedes Amtsgerichts-Urteil und vor allem sind sie es wert, mit einem optimistischen Blick in die Zukunft weiter zu machen!
Weitere Bilder vom 12. Juli
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