Von Sandy Uhl – Ulm. Rund 35 Personen kamen am Freitag, 24. Juli, auf Einladung der Linken zu einem Vortrag von Gökay Akbulat und der anschließenden Diskussion über Rassismus, Migration und Integration. Akbulut ist Bundestagsabgeordnete der Linken und migrationspolitische Sprecherin ihrer Fraktion. Sie hatte am Dienstag, 21. Juli, eine Morddrohung per E-Mail erhalten – unterzeichnet mit „NSU 2.0“. Einschüchtern lassen will sie sich nicht, doch die Anspannung war ihr anzumerken.
Zu dem Abend mit Gökay Akbulut im Gleis 44 in Ulm hatte die Linke Ulm/Alb-Donau geladen. „Wie schaffen wir eine solidarische Gesellschaft, die niemanden ausgrenzt und in der alle friedlich leben können? Wie begegnen wir neofaschistischen Kräften?“ Diesen Fragen ging Akbulut in einem knapp 45-minütigen Vortrag nach. Hintergrund des themenreichen Abends war die rechte Gewalt, die in Deutschland immer mehr zunimmt. Angriffe auf Geflüchtete und ihre Wohnheime, jüngst der Anschlag in Hanau – all diese Angriffe geschehen aus rassistischen und faschistischen Motiven, so der Einladungstext der Linken. Gleichzeitig mehrten sich rechte Vorfälle in der Bundeswehr. Der Verfassungsschutz finanziere sogar rechte Strukturen. Deshalb dürfe man nicht wegsehen, wenn Menschen inzwischen Angst hätten, hier zu leben. Doch es gibt auch KommunalpolitikerInnen, die sich klar gegen Rechts positionieren.
Deutschland – Einwanderungsland
„Wie deutsch muss man sein, um als deutsch zu gelten?“, fragte Akbulut. 23 Prozent der Bevölkerung in Deutschland haben einen Migrationshintergrund, 9,4 Millionen hätten keine deutsche Staatsangehörigkeit. Durchschnittlich dauere es 17,5 Jahre, bis ein Einbürgerungstest gemacht werden könne. Dies sei viel zu lang. Deutschland ist und war schon immer ein Einwanderungsland, sagte die Abgeordnete. Sie fordere daher, die Kommunen durch Antidiskriminierungsstellen zu stärken. Rassismus sei in Deutschland strukturell und institutionell geprägt, wodurch es Kinder aus Arbeiter-, Migrations- und alleinerziehenden Familien in der Gesellschaft schwerer hätten.
Hetze durch die AfD
Auch die AfD trage mit ihrer permanenten Hetze in den Ausschüssen und Parlamenten zum schlechten Klima bei. Für die AfD seien Flüchtlinge an allem schuld. Akbulut spricht an dieser Stelle bewusst nicht von einer Flüchtlingskrise, sondern von der Flüchtlingspolitik, die eine Krise des kapitalistischen Systems sei. Man dürfe keine Abschottungspolitik betreiben, da Menschenrechte nicht an den europäischen Grenzen aufhören. Es müsse weiterhin Druck gegen Rassismus und die Abschottungspolitik aufgebaut werden. Erschreckend in diesem Zusammenhang sei auch, dass laut einer Studie 30 Prozent der PolizeibeamtInnen der Meinung seien, dass Deutschland islamisiert werde.
Benachteiligung bei Migrationshintergrund
Auch die Ausschreitungen von Stuttgart und Frankfurt wurden aufgegriffen. Eine Zerstörung von Geschäften sei aufs Schärfste zu verurteilen. Eine pauschale Verurteilung von MigrantInnen wäre jedoch nicht richtig, da an den Krawallen Menschen unterschiedlicher Nationalitäten mitgewirkt hätten. Man müsse vielmehr genauer hinsehen, wo diese Eskalationen ihren Ursprung haben. Oftmals würden Menschen, die bereits in dritter Generation in Deutschland leben, nur aufgrund ihres Namens benachteiligt. Sei es bei der Arbeits- oder Wohnungssuche.
Gökay Akbulut, die in der Türkei geboren ist und einen kurdisch-alevitischen Hintergrund hat, lebte selbst sechs Monate in einer Asylunterkunft. Ihre Eltern mussten die Türkei aus politischen Gründen verlassen. Noch während ihres Studiums trat Akbulut in die Linke ein. 2014 wurde sie in den Mannheimer Gemeinderat gewählt. Im September 2017 zog sie zum ersten Mal als eine von sechs Abgeordneten der Linken aus Baden-Württemberg in den Bundestag ein.
Morddrohung per E-Mail
Am Abend des 21. Juli fand Akbulut auf ihrem Rechner eine E-Mail mit Morddrohungen, die mit „NSU 2.0 und Heil Hitler“ unterschrieben war. „Ich dachte schon, die hätten mich vergessen“, sagt Akbulut, was zu kleinen verschluckten Lachern bei den ZuhörerInnen führte. Die Anspannung war ihr jedoch anzumerken, auch wenn sie sich, wie sie selbst sagt, dadurch nicht einschüchtern lässt. Sie gehört zu weiteren PolitikerInnen, JournalistInnen und auch KünstlerInnen, die solche Drohmails erhalten haben, und zieht eine Parallele zum besonders gegen Frauen gerichteten Rassismus.
Für Akbulut ist es wichtig, an die Öffentlichkeit zu gehen. Sie verstehe jedoch auch die Betroffenen, die nicht darüber sprechen möchten. In die Aufarbeitungen des NSU-Prozesses war sie nicht involviert. Sie führt es deshalb rein auf ihren Migrationshintergrund und ihre politische Arbeit zurück, dass sie ausgewählt wurde. Bereits im Februar erhielt Akbulut eine Morddrohung des türkischen Geheimdiensts. Wegen ihrer Aktivitäten in kurdisch-alevitischen Vereinen und Teilnahme an Demonstrationen stand Akbulut auch unter Beobachtung des Verfassungsschutzes, wie sie berichtet.
Mehr Protest gegen Rechts
In der anschließenden Diskussion wies Akbulut darauf hin, dass die richtig große Arbeit gegen Rechts nicht von den Behörden, sondern von antifaschistischen Gruppen geleistet werde. Sie deckten auf und gingen mit ihren Recherchen an die Öffentlichkeit. Leider seien sowohl die Politik als auch die Sicherheitsbehörden beim Thema Rechtsextremismus immer noch auf dem rechten Auge blind, so Akbulut. Die Zahl der türkisch Rechten in Deutschland, wie zum Beispiel der Grauen Wölfe, beziffert Akbulut auf circa zehntausend. Die Entwicklungen in Deutschland zum Thema Rechtsextremismus müsse man genau beobachten. Eine Zuhörerin wünschte sich von der Zivilgesellschaft mehr Protest auf der Straße gegen Rechts.
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