Von Sahra Barkini – Waiblingen. Ihre Namen erscheinen auf Listen, sie werden eingeschüchtert und an den Pranger gestellt: Das gemeinnützige Recherchezentrum Correctiv hat in einer Kooperation mit dem Weißen Ring und elf Regionalmedien, unter anderem dem Zeitungsverlag Waiblingen, das Projekt „Menschen im Fadenkreuz des rechten Terrors“ ins Leben gerufen. In einer Wanderausstellung und einem Buch werden 57 Porträts von Menschen, die auf sogenannten „Feindeslisten“ von Neonazis und Rechtsextremen stehen, gezeigt – auch in Waiblingen. Dort gab es am Donnerstag, 26. August, auch ein „Live Talk“.
Porträtiert werden in der Ausstellung PolitikerInnen, JournalistInnen, LehrerInnen. Menschen aus allen Bereichen der Gesellschaft. In Deutschland stehen mehr als 20 000 Personen auf solchen Listen. In Waiblingen war die Ausstellung von Donnerstag 26. bis Sonntag 29. August auf dem alten Postplatz zu sehen. Begleitend dazu gab es am Donnerstag ein „Live Talk“ mit Sophia Stahl von Correctiv und den Redakteuren der Waiblinger Kreiszeitung Alexander Roth und Peter Schwarz. Auch der Waiblinger Oberbürgermeister Andreas Hesky war dabei.
Die Porträts und Texte auf den Stellwänden waren schon von weitem zu sehen. Unter anderem werden Mehmet Daimagüler (Rechtsanwalt im NSU-Prozess), Cem Özdemir von den Grünen, Kevin Kühnert von der SPD, Helin Evrim Sommer und Sevim Dağdelen von der Linken, aber auch Anetta Kahane (Amadeo Antonio Stiftung) und der Chefredakteur der Beobachter News Alfred Denzinger abgebildet. 57 Porträts sind Teil dieser Ausstellung. Nicht alle Abgebildeten sind bekannt, aber alle haben eins gemeinsam: Rechtsextreme und Neonazis betrachten sie als Feinde. Auch der ermordete CDU-Politiker Walter Lübcke befand sich auf solch einer Feindesliste. Eine Schautafel zeigt die Todesopfer durch rechte Gewalt von 1990 bis 2020: Es sind 187. Im gleichen Zeitraum starben durch linke Gewalt vier Menschen. Dies zeigt deutlich, wie groß die Bedrohung von Rechts ist.
Positive Reaktionen überwiegen
In der Diskussion gaben Sophia Stahl und Alexander Roth, der das Projekt für den Zeitungsverlag Waiblingen begleitet hat, Einblick in die Entstehung der Ausstellung und des Begleitbuchs. Roth betonte, dass die porträtierten Personen nicht immer in der Öffentlichkeit stehen. Es sind Köche, Möbelpacker und Pflegekräfte unter ihnen. Aber sie alle werden bedroht.
Auf die Ausstellung gab es bisher überwiegend positive Reaktionen. Sie war zuvor in Winnenden und Schorndorf zu sehen. Doch es gab auch rassistische Kommentare. So zeigte eine Passantin in Schorndorf Verständnis dafür, dass Menschen auf solchen Todeslisten/Feindeslisten stehen, und fand das gerechtfertigt. Stahl erklärte, dass es für Correctiv wichtig war den Blick auf die Opfer rechter Gewalt und die Drohungen zu lenken. Zu oft werde nur über Täter gesprochen, aber selten über Menschen, die aktuell bedroht werden.
Es kann jeden treffen
Roth berichtete, es gebe im Rems-Murr-Kreis mehrere Personen, die auf solchen Feindeslisten stehen. Leider würden die Menschen von Ermittlern häufig nicht informiert. Es könne jeden treffen. Die rechtsextreme deutsche Prepper-Gruppe Nordkreuz aus Mecklenburg-Vorpommern erstellte ihre Listen, nachdem die Kundenliste eines Onlineshops für Punkmusik und Merchandise gehackt wurde. Es wurde wohl die Meinung vertreten, wer dort einkauft, muss links sein.
Diese Listen verbreiten sich auch im Umfeld der CoronaleugnerInnen als „Antifa-Listen“. Für Schwarz stellte sich die Frage, wie die diversen Feindeslisten gedeutet werden müssen. Es gebe Listen mit über 20 000 Namen, aber auch welche mit nur wenigen hundert Namen. Die Frage sei, ob sie dazu dienten, die Betroffenen einzuschüchtern oder tatsächlich an den Pranger zu stellen, weil sie sich gegen Rassismus engagieren.
Laut Stahl gibt es unterschiedliche Arten von Listen, oft auch regional begrenzt. Es gab Feindeslisten, auf denen beschrieben war, wie der Alltag der Menschen aussieht oder welche Kneipen sie besuchen. Und es gibt sogenannte „Pranger-Portale“ die sehr deutlich zeigen sollten „Wir haben euch auf dem Schirm“. Diese Listen kann jeder einsehen. Für Roth ist das auch ein Zeichen, dass Rechtsextremismus eine reelle Gefahr ist.
Solidarität hilft am meisten
Eine Vertreterin der Opferberatungsstelle „Leuchtlinie“ betonte, dass es sehr gut sei, dass sich diese Ausstellung mit der Opferperspektive befasst und sie in den Vordergrund stellt. Wichtig sei für die Betroffenen rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt immer Solidarität, nicht wegzuschauen, sondern sich solidarisch zu zeigen.
Zum Ende der Veranstaltung nutzte Peter Schwarz noch die Gelegenheit, den Herausgeber der Beobachter News zu fragen, wie er damit umgeht, sich auf solch einer Liste zu befinden, und was ihm half. Alfred Denzinger erklärte, der Zuspruch und die Solidarität aus politischen Lagern, die sich gegen Rechts engagieren, habe ihm geholfen. Enttäuscht war er vom Handeln der Ermittlungsbehörden. Sie stellten die Ermittlungen wegen der Morddrohungen gegen ihn und seine Familie ebenso ein wie die wegen mehrerer Anschläge auf sein Eigentum. Er betonte, er werde sich nicht von Nazis einschüchtern lassen, und habe auch keine Angst vor ihnen. Angst mache ihm nur der Gedanke, dass sie einmal mehr Macht und Einfluss bekommen könnten.
Weitere Ausstellungen folgen in Nürnberg, München, Rostock/Greifswald und Berlin
(sie auch unter https://correctiv.org/menschen-im-fadenkreuz/).
Über Correctiv.org:
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Im Zentrum von Correctiv steht der investigative Journalismus. Die Reporterinnen und Reporter recherchieren langfristig – im Sinne des öffentlichen Interesses mit Sorgfalt und Ausdauer – und decken systematische Missstände, Korruption und unethisches Verhalten auf.
Über Leuchtlinie:
Beratung für Betroffene von rechter Gewalt in Baden-Württemberg
Betroffene von rechter Gewalt und oft auch ihr soziales Umfeld benötigen besondere Hilfe bei der Bewältigung von psychischen, physischen und materiellen Schäden. Zur passgenauen und bedarfsgerechten Unterstützung dieser Personen wurde die Beratungsstelle eingerichtet.
https://www.leuchtlinie.de/
Das Buch „Menschen im Fadenkreuz des rechten Terrors“ kann über Correctiv oder über den Zeitungsverlag Waiblingen bezogen werden:
https://shop.correctiv.org/buecher/sachbuecher/83/menschen-im-fadenkreuz-des-rechten-terrors/?c=5&mc_cid=1029987570&mc_eid=b4253f7d08
https://www.zvw-shop.de/Menschen-im-Fadenkreuz-des-rechten-Terrors/ZV10068
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