Meßstetten. Die NPD plant auf der Schwäbischen Alb eine Geschäftsstelle für Baden-Württemberg – ausgerechnet in Meßstetten, wo es eine Landeserstaufnahmestelle für Flüchtlinge gibt. Die Partei will das frühere Gasthaus „Waldhorn“ kaufen. Rund 300 Männer und Frauen protestierten am Samstag, 15. August, gegen die geplante NPD-Zentrale und forderten von den Behörden, sie zu verhindern. Aufgerufen hatte ein ungewöhnlich breites Bündnis von Antifa-Gruppen über die VVN/BdA bis zur örtlichen SPD.
Auffallend war auch das breite Altersspektrum der NPD-GegnerInnen, die sich vor dem Rathaus versammelten – ebenso wie die Sympathie fast aller AnwohnerInnen und PassantInnen für das Anliegen. Sie wurde deutlich, als etwa 200 Nazi-GegnerInnen spontan einen Demonstrationszug durch die Gemeinde bildeten, bei dem sie auch Flugblätter verteilten. Auch einige Flüchtlinge aus der örtlichen Landeserstaufnahmestelle (LEA) beobachteten das Geschehen. Sie wirkten trotz eindeutiger Transparente und Plakate wie „Refugees welcome“ jedoch eher verunsichert und blieben auf Abstand.
Die Polizei, mit nur wenigen Beamten teils aus Meßstetten, teils von außerhalb vor Ort, verhielt sich kooperativ und hielt sich zurück. Sie begleitete die Kundgebung und die Spontandemonstration, ohne Protestierende oder JournalistInnen zu behindern – leider keine Selbstverständlichkeit (sie hierzu auch „NPD bleibt ohne Außenwirkung – Polizei schützt Flüchtlingsgegner und greift BN-Fotografen an„). Die BeamtInnen verzichteten auch darauf, Demo-TeilnehmerInnen zu filmen.
Schon heute gibt es in der Region starke rechte Strukturen
Bei der Kundgebung sprachen Bernhard Strasdeit, Landesgeschäftsführer der Linken aus Tübingen, und Jessica Tatti, Reutlinger Stadträtin und Landtagskandidatin der Partei. Weitere Redebeiträge kamen von Vertreterinnen und Vertretern der SPD, der VVN-BdA, von Joachim Böck für das Bündnis Keine Basis der NPD – Kampagne für Vielfalt und Toleranz in Meßstetten und der antifaschistischen Alboffensive (siehe unten).
Die Alboffensive machte deutlich, dass es schon heute in der Region stärkere rechte Strukturen gibt, als man zunächst annehmen könnte: „Die NPD kommt mit einem möglichen Immobilien-Erwerb nicht erst in die Region, sie ist schon da.“ Allerdings herrschten im Zollernalbkreis noch lange keine „ostdeutschen Zustände“. Eine Verlagerung der NPD-Landesgeschäftsstelle nach Meßstetten würde neonazistischen Kräften jedoch eine feste Basis und damit Auftrieb geben.
Es ist schon ein Notartermin angesetzt
Bisher zeigten sich weder die Gemeinde noch der Zollernalbkreis oder das Land Baden-Württemberg gewillt, den Verkauf der Gaststätte „Waldhorn“ an die NPD zu verhindern. Das fordern jedoch SPD und Linke. Denn es verdichten sich die Hinweise, dass es nicht nur um ein Scheingeschäft mit dem Ziel geht, den Kaufpreis für das wenig einladende Gebäude in die Höhe zu treiben. Für den 21. August ist ein Notartermin angesetzt, und ein NPD-Mittelsmann soll bereits im Netz zur Eröffnungsfeier der vermutlich geplanten Landesgeschäftsstelle mit Schulungszentrum am 20. September eingeladen haben.
Dennoch ist ein Scheingeschäft nicht komplett auszuschließen. Aus Sicht der Tübinger Bundestagsabgeordneten der Linken Heike Hänsel ist das Risiko, es darauf ankommen zu lassen, allerdings zu hoch. „Eine Landesgeschäftsstelle der NPD in Meßstetten wäre eine Katastrophe für die Flüchtlinge, aber auch für Stadt, Land und Bund“, schrieb sie in einer Pressemitteilung.
Der Ministerpräsident soll sich einschalten
Sie habe sich deshalb nicht nur schon vor einiger Zeit an die örtlichen Behörden gewandt, sondern auch zusammen mit ihren Bundestagskolleginnen Annette Groth und Karin Binder an den baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann (Grüne). Die Landesregierung müsse handeln und der Ministerpräsident sich persönlich vor Ort informieren, um gemeinsam mit der Gemeinde eine Lösung zu suchen.
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Die Rede der antifaschistischen Alboffensive im Wortlaut:
Rechte Strukturen im Zollernalbkreis
Vielleicht ist es ja kein Zufall das die NPD mit dem Gedanken spielt, ihre Landesgeschäftsstelle im Zollernalbkreis anzusiedeln. Denn dieser bietet für die extrem rechte Partei gute Bedingungen. Hier auf dem Land sind die Bewohnerinnen und Bewohner im Allgemeinen konservativer, es gibt weniger antifaschistischen Widerstand und hier haben viele weniger täglichen Kontakt mit Minderheiten. Natürlich leben auch in diesem Landkreis Menschen mit Migrationshintergrund. Doch mangelt es häufig an Kontakten im Alltag. Andere Minderheiten sind weit weniger sichtbar als in den Großstädten. Nicht-Kennen führt schnell zu Vorurteilen und die wiederum zum Nicht-Kennen-Wollen.
Daran können bürgerliche Rassistinnen und Rassisten ebenso anknüpfen wie die organisierte extreme Rechte. Zwar wurde die Facebook-Kampagne gegen den Moscheeneubau in Balingen-Engstlatt von einem NPD-Sympathisanten initiiert, aber die Likes dafür kamen nicht nur aus der Neonazi-Szene. Ähnliches lässt sich von der Facebook-Gruppe gegen eine Flüchtlings-Unterbringung in Balingen oder die gegen Landeserstaufnahmestelle in Meßstetten sagen.
Dass aus Sätzen voller Ablehnung und Feindschaft irgendwann Brandsätze werden, ist nicht ausgeschlossen. Erinnert sei daran, dass in der Nacht vom 29. auf den 30. Juli 2015 Unbekannte an einem Kellerabgang im Eingangsbereich einer Balinger Flüchtlingsunterkunft eine brennbare Flüssigkeit ausgeschüttet haben. Am Donnerstagmorgen gegen 7.20 Uhr wurde vom Hausmeister eine große Pfütze Benzin entdeckt. Deswegen musste die Flüchtlingsunterkunft kurzzeitig evakuiert werden, da die Entwicklung gesundheitsgefährdender Dämpfe nicht gänzlich ausgeschlossen werden konnte.
Die NPD kommt mit einem möglichen Immobilien-Erwerb nicht erst in die Region, sie ist schon da. Zwar umfasst der NPD-Kreisverband Zollernalb-Reutlingen auch den Kreis Reutlingen, doch der Schwerpunkt liegt eindeutig im Zollernalbkreis. Nicht ohne Grund befindet sich das Postfach des Kreisverbandes in Bisingen. Hier wohnt das Ehepaar Edda und Hans Schmidt. Edda Schmidt ist eine wichtige NPD-Funktionärin, sie ist unter anderem Mitglied im NPD-Landesvorstand und Landesvorsitzende der NPD-Frauenorganisation „Ring Nationaler Frauen“. Edda ist bundesweit und international bestens vernetzt ist. Dieses Jahr musste sie sogar in München im NSU-Prozess aussagen, weil sie Kontakte zu dem Unterstützungs-Umfeld der drei untergetauchten Rechtsterroristen gehabt haben soll.
Hans Schmidt steht ein wenig im Schatten seiner Frau, aber auch er ist ein wichtiger NPD-Aktivist im Kreis. Bei den kommenden Wahlen im März 2016 kandidiert er im Wahlkreis Balingen für die NPD. Das Ehepaar Schmidt betrieb überdies bis vor ein paar Jahren jahrzehntelang von Bisingen aus ein Versandantiquariat für braune Literatur.
Bis vor zwei Jahren gab es mit den „Freien Kräften Zollernalb“ auch eine eigene Nazi-Kameradschaft im Zollernalbkreis. Von diesen ist aber seit etwa drei Jahren nichts mehr zu hören gewesen. Was es aber weiterhin im Kreis gibt, ist eine Neonazi-Subkultur. Es handelt sich um Jugendliche und junge Männer, die Thor-Steinar-Klamotten tragen, an der Wand Reichkriegsflaggen hängen haben und in ihrer Freizeit Nazi-Musik hören. Bis vor ein paar Jahren gab es mit den Rechtsrock-Bands „Propaganda“ und „Zollernwut“ auch entsprechende Musik-Combos aus dem Kreis.
Für den subkulturellen Neonazismus scheint Burladingen ein Schwerpunktort zu sein. Bilder auf Facebook weisen auf die Existenz einer Nazi-Clique von 10 bis 15 Männern im Raum Burladingen hin. Einige Namen von Angehörigen dieser Clique tauchten bereits in den Jahren 2005 bis 2007 in Zusammenhang mit rassistischen Übergriffen in Burladingen und Umgebung auf.
Nicht vergessen werden dürfen in der Beschreibung rechter Strukturen die „Reichsbürger“. Eine besonders skurril anmutende Strömung der extremen Rechten. Diese glauben sich weiterhin im Deutschen Reich zu befinden und sehen die Bundesregierung als ‚illegal‘ an. Gruppen und Grüppchen dieser Strömung sind in Hechingen, Bisingen und Albstadt anzutreffen. In Albstadt-Truchtelfingen scheint sich sogar eine Art Siedlungsschwerpunkt von ihnen zu befinden. Treffen der Gruppe in Albstadt werden nach unserer Beobachtung von bis zu 20 Personen besucht.
Gegenüber kritischen Nachbarinnen und Nachbarn wird aus diesem Kreis durchaus aggressiv aufgetreten.
War früher die Republikaner-Partei im Südwesten als Partei rechts von der Union stark, so spielt jetzt die „Alternative für Deutschland“ die deutschnationale Karte. Der hiesige Kreisverband ist dabei voll auf PEGIDA-Linie. So nahmen Mitglieder des AfD-Kreisverbandes Zollernalb am 19. April 2015 an der PEGIDA-Demonstration in Villingen teil. Dort ließen sie sich mit dem Islam-Hasser Michael Stürzenberger aus München fotografieren.
Trotzdem herrschen im Zollernalbkreis keine ostdeutschen Zustände. Bisher war die NPD bei den vergangenen Wahlen in Baden-Württemberg nicht besonders stark, auch nicht im Zollernalbkreis. Es bleibt abzuwarten, wie die rechtspopulistische Konkurrenz von der AfD zukünftig abschneidet.
Eine Verlagerung der NPD-Landesgeschäftsstelle nach Meßstetten würde jedenfalls den neonazistischen Kräften im Kreis Auftrieb geben, weil sie damit eine feste Basis hätten. Dem gilt es entgegen zu treten und zu verhindern, dass eine Immobilie in Hand der NPD gerät. Deswegen unterstützt die Alboffensive voll und ganz die Kampagne „Keine Basis der NPD- in Meßstetten und anderswo!“. Es gilt die alte antifaschistische Parole: „No Paseran!“ – „Sie kommen nicht durch!“
Die Rede von Joachim Böck für das Bündnis „Keine Basis der NPD – Kampagne für Vielfalt und Toleranz in Meßstetten“ im Wortlaut:
Liebe Antifaschistinnen und Antifaschisten,
wir von „Keine Basis der NPD – Kampagne für Vielfalt und Toleranz in Meßstetten“ freuen uns, dass Ihr heute hier erscheinen seid.
Die „Nationaldemokratische Partei Deutschlands“ (NPD) versucht seit einiger Zeit die Gaststätte „Waldhorn“ in Meßstetten-Bueloch zu kaufen, um dort eine Landesgeschäftsstelle einzurichten. Als Verantwortlicher für den Kauf dieser Immobilie stellt sich der Kreisvorsitzende der NPD- Breisgau Jan Zimmermann dar. Dieser ist schon seit Jahren als aktiver Nazi-Kader und Immobilienbeauftragter der NPD bekannt.
Die NPD erhofft sich in der Region Zollern-Alb auf ideologisch fruchtbaren Boden zu stoßen. Fragmente faschistischer Ideologie sind längst im Denken und Handeln der bürgerlichen Gesellschaft verankert. Anzeichen dafür gibt es auch hier: Laut eines Leserbriefs im Zollern-Alb-Kurier vom 3. August 2015, haben drei Mitglieder der hiesigen Feuerwehr, ihr Wohlwollen über die Bestrebungen der NPD sich in Meßstetten niederzulassen im Internet öffentlich gemacht.
Wie ernst es den Faschisten mit der Umsetzung der Übernahme des „Waldhorns“ ist, wird vor allem an den jüngsten Entwicklungen deutlich:
So wurde unlängst der Notartermin, welcher den Verkauf vertraglich regeln soll, von Jan Zimmermann auf den 21. August 2015 terminiert.
Kurz darauf folgte die Ankündigung der Eröffnungsfeier. Am 20. September 2015 will die NPD zusammen mit SympathisantInnen die Landesgeschäftsstelle in Meßstetten einweihen. Es ist ein Fest geplant zu diesem auch wichtige Funktionsträger der Partei geladen sind. Als Redner angedacht ist bis weilen unter anderen der Fraktionsvorsitzende der NPD aus Tühringen: Patrick Wieschke. Diese Einladung überrascht nicht. Im Gegenteil, sie liegt besonders nahe, da Jan Zimmermann im thüringischen Eisenach letztes Jahr ebenfalls Verantwortlicher für den Kauf eines Hauses war, welches nun zu einer Landeszentrale der NPD umgestaltet wurde.
Dass wir aber auch planerisch aktiv werden können, haben wir bereits mit der Gründung dieser Kampagne bewiesen. Es sei versichert, dass wir alles daran setzten werden, sämtliche Pläne der NPD ins leere laufen zu lassen. Geht es nach uns allen hier, wird die NPD an diesem Tag kein Grund zum Feiern haben!
Wir müssen den Protest gegen die NPD in die eigenen Hände nehmen und selbst aktiv werden.
Meßstetten gerät verstärkt in den Fokus rechter Aktivitäten. Rechtspopulisten, wie die „Identitäre Bewegung“ und weitere faschistische Parteien, wie zum Beispiel der sogenannte „III. Weg“ aus Bayern, versuchten in Meßstetten Fuß zu fassen. Im Windschatten der NPD versuchten diese durch Flyeraktionen und Kundgebungen, ihren Einflussbereich in der Region zu vergrößern. Vor nicht all zu langer Zeit, standen sie hier auf dem Marktplatz.
Überall dort, wo die Rechten auftauchen, sollen sie entlarvt, isoliert und von einem breiten Protest in die Defensive gedrängt werden. Antifaschistische Kampagnen gegen die sich ausbreitende faschistische Bewegung und andere Gefahren von Rechts sind zentrale Voraussetzungen für einen effektiven antifaschistischen Kampf. Um Ihnen nicht die öffentliche Räume zu überlassen, müssen wir auch und vor allem unseren antifaschistischen Kampf auf die Straße tragen.
Den Faschisten keinen Raum in Meßstetten und auf der Straße keinen Meter!
Es gibt kein Recht auf Nazipropaganda!
Keine Basis der NPD!
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