Kommentar von Angela Berger – Sontheim/Heilbronn. Nein, ich würde bei 2 Grad Celsius Außentemperatur und einer Wassertemperatur von etwa 7 Grad nicht in den Neckar springen – auch nicht, um einen „heißen“ Castortransport aufzuhalten (siehe hierzu „Störmanöver bei nächtlichem Castortransport„). Ich würde mich auch nicht an Gleise ketten, um Atommüllverschiebung per Bahn aufzuhalten, und Hase und Igel würde ich wahrscheinlich auch nicht mit der Staatsgewalt in irgendwelchen Wäldern spielen. Zumal ich dabei immer darauf gefasst sein müsste, einen Schlagstock auf den Kopf zu bekommen oder Schlimmeres. Doch wer das aus Überzeugung auf sich nimmt, hat keinen Spott verdient, sondern Respekt – auch von Polizisten.
Ich würde mich auch nicht in ein kleines Schlauchboot begeben und bei hohem Seegang um große Walfangschiffe kreisen, um darauf aufmerksam zu machen, dass die Wale vom Aussterben bedroht sind.
Auch um auf ein (für mich) viel zu kleines Boot zu gehen und wochenlang auf dem Mittelmeer herumzufahren, um Menschen vor dem Ertrinken zu retten – dazu bin ich körperlich und vermutlich vor allem auch seelisch nicht in der Lage. Allein bei dem Gedanken an die Alpträume, die einen danach verfolgen, wird es mir ganz schummerig – ganz ohne Seegang.
Zu solchen Aktionen braucht es nämlich nicht nur großen Mut, sondern auch Überzeugung, eine Haltung, ein Herz und eine gehörige Portion Wut.
Sicherheitsbedenken werden weggewischt
Nicht die Wut, die fiese Hass-Facebookkommentare hinterlässt, die ist nur feige. Nicht die Wut, die Schwächere und Minderheiten angreift und ausgrenzt, die Häuser anzündet, die Grabsteine schändet und Frauen degradiert. Nicht die Wut, die keine Religionsfreiheit kennt, wenn es nicht um die eigene Religion geht. Nicht die Wut, die manche Menschen die Geschichte vergessen lässt, die kein Mitgefühl und keine Gnade kennt mit denen, die nicht in das Weltbild von irgendwelchen selbsternannten „Führern“ passen.
Ich meine die Wut, die entsteht, wenn eine grün-schwarze Landesregierung (man beachte das Grün!) einem Atommülltransport zustimmt, wenn sie alle Sicherheitsbedenken wegwischt, nur um hochradioaktiven Atommüll auf einem Fluss zu transportieren, an dem so viele Menschen leben. Um dann in x Jahren, wenn die Genehmigung für das „Zwischenlager“ abgelaufen ist, wieder diesen immer noch hochradioaktiven Atommüll weiterzukarren, in ein weiteres Zwischenlager und so weiter und so weiter. Ohne Sinn und Plan einfach weitermachen, Laufzeiten von AKWs verlängern, obwohl die Frage nach dem Endlager noch nicht beantwortet ist.
Die Wut gilt auch dem Tiefbahnhof
Ich meine die Wut, die entsteht wenn ein mit Absicht heruntergewirtschafteter Bahnhof im Geld- und Prestigewahn einfach gegen die Talrichtung gedreht werden soll und dann auch noch in den Keller gelegt wird, nur damit sich ein paar Immobilienhaie noch die letzten Filetstücke in Stuttgart aufteilen können. Und das, obwohl die Wohnungssituation in der baden-württembergischen Landeshauptstadt schon eine Katastrophe war, als noch die CDU den Ministerpräsidenten und den Oberbürgermeister stellte.
Das Grün wurde nur gewählt, um auch damit Schluss zu machen. Aber das war ganz schnell nach den Wahlen vergessen. Überhaupt steht es um das Erinnern an Wahlversprechen schlecht in Politikerhirnen.
Protest ist ein Grundrecht
Diese Wut ist aller Ehren wert. Nein, mein lieber Herr Polizeibeamter vom Dienst, der sich am Donnerstagmorgen auch in der Kälte am Neckarufer befand: Nein, es ist kein „Blödsinn“, wenn Menschen auf Missstände aufmerksam machen. Wenn sie ihr im Grundgesetz verbrieftes Recht wahrnehmen und gegen Atommüllverschiebung protestieren, die sie für sinnlos halten. Wenn sie 2 Grad Außentemperatur und eine Wassertemperatur von etwa 7 Grad in Kauf nehmen, um in den Neckar zu springen und dem Atomtransportschiff entgegen zu schwimmen.
Es ist Aufgabe des Staates und seiner Polizei, die Bürger zu schützen – also auch Ihre. Dazu gehört es, ein Schiff mit gefährlichem Atommüll zu stoppen, wenn sich Bürgerinnen und Bürger im Fahrwasser befinden. Die Gründe hierfür sollten Sie, Herr Polizeibeamter, den Bürgern überlassen und einfach nur ihren Dienst tun, für den sie eingestellt und vereidigt wurden und für den sie bezahlt werden – und zwar von eben diesen Bürgern. Niemand möchte dabei ungefragt Ihre private Meinung wissen.
Der Schutz muss den Menschen gelten, nicht dem System
Diese private Meinung darf auch nicht dazu führen, dass sie anders handeln, als es das Gesetz von Ihnen verlangt. Dabei sollten Ihnen die Interessen des Atomkraftwerksbetreibers egal sein. Es sollte immer der Mensch, der Bürger, der Jugendliche, der Protestierende von ihnen geschützt werden und nicht das Wirtschaftssystem.
Es sollten auch nicht die Protestierenden anschließend von Ihnen bestraft werden, indem man wie im Donnerstag in Sontheim die zitternden Menschen stundenlang ohne Decken im Freien auf die erkennungsdienstliche Behandlung warten lässt.
Zu bestrafen ist allein Sache der Gerichte
Auch verletzen sollten Sie die Protestierenden nicht. Sie erinnern sich doch sicher daran, dass es Gerichte gibt, die beurteilen, was eine Straftat und wie sie gegebenenfalls zu ahnden ist – und allenfalls je nach Alter des Protestierenden auch noch Eltern. Es steht einem Polizeibeamten nicht zu zu richten, und schon gar nicht zu bestrafen. Auch wenn Sie viel lieber gerade kaffeetrinkend in Ihrem warmen Büro sitzen würden.
Die große Gefahr, in die sich mancher Protestierende begibt, sollte Ihnen doch sagen wie wichtig diesen Menschen das jeweilige Thema ist. Sie können sich denken: Niemand macht das zum Spaß. Es ist die obengenannte Überzeugung und eben auch die Wut, die den zivilen Ungehorsam entstehen lässt, auch weil es sonst viel zu wenig andere Menschen interessiert, was da so läuft.
Siehe auch „Störmanöver bei nächtlichem Castortransport„
Folge uns!