Von unseren ReporterInnen – Backnang. BürgerInnen der Kreisstadt Backnang nordöstlich von Stuttgart riefen für Samstag, 11. August, zu einer Solidaritätskundgebung mit Seenotrettern in Mittelmeer auf (siehe „Protest in Orange gegen das Sterben„). Etwa 70 Personen sind dem Aufruf am spätem Vormittag gefolgt. Mehrere RednerInnen aus zivilgesellschaftlichen Organisationen forderten ein Umdenken in der deutschen und europäischen Politik. Angesichts steigender Zahlen von Toten im Mittelmeer forderten sie, Seenotretter nicht zu kriminalisieren.
Mit Transparenten, Plakaten, Warn- und Schutzwesten in Orange zeigten BürgerInnen in Backnang ihre Solidarität. Die Kundgebung war zunächst am Obstmarkt geplant, wurde aber von der zuständigen Behörde kurzfristig auf den Platz vor dem Bürgeramt/Stadtbibliothek verlegt, der praktisch über keinen Publikumsverkehr verfügt. Das hatte nach Angaben des Versammlungsleiters „Sicherheitsgründe“. Anhänger und Mitglieder der AfD sowie weitere Vertreter des rechten Spektrums hielten sich in unmittelbarer Nähe zu der Kundgebung auf. Die Polizei kontrollierte aber nicht etwa die Rechten, sondern nahm die Personalien von einigen Teilnehmern der Solidaritätskundgebung auf.
Die Rechten versuchten unter dem Schutz der Polizei, durch Ausrufe am Rand die Reden bei der Solidaritätskundgebung für Seenotretter zu stören. Eine Person aus dem AfD-Umfeld ging einen Ordner der Kundgebung an. Er wurde von Polizeibeamten zu seiner „Truppe“ zurückgeführt.
Europa macht sich schuldig
Mehrere RednerInnen forderten eine Kehrtwende der deutschen und europäischen Politik. Einige zitierten hierzu Auszüge aus den Menschen- und Völkerrechtsbestimmungen, die Deutschland und die EU unterzeichnet haben. „Das Ziel eines jeden Politikers müsste sein, sich an die Menschen- und Völkerrechte zu halten. Es kann und darf kein weiteres Sterben im Mittelmeer geben.“ Die EU mache sich mit ihrer Außenpolitik mitschuldig daran, dass flüchtende Menschen den todbringenden Weg über das Mittelmeer suchen, um ein Leben in Sicherheit vor Krieg, Verfolgung und Folter führen zu können, so ein Redner.
Seenotter brauchen frei Fahrt
Die Zahl der Toten im Mittelmeer sei im Vergleich zum Vorjahr in den Monaten Juni und Juli drastisch gestiegen. „Dies ist dem Rechtsruck einzelner EU-Staaten geschuldet.“ In Deutschland verdienten CDU und CSU das C im Namen, das für „christlich“ steht, nicht mehr. Ein deutscher Innenminister freue sich an seinem Geburtstag an Abschiebungen von Menschen. Ein rechter Innenminister von Italien nenne Flüchtlinge „Menschenfleisch“, versuche Seenotretter zu kriminalisieren und lege ihre Schiffe an die Kette.
„Wir müssen gemeinsam entgegenstehen und dürfen nicht weiter schweigend dabei zuschauen“, forderte ein weiterer Redner: „Keine Kriminalisierung von Seenotrettern, die mit ihren Missionen auf See Menschen vor dem sicheren Tod retten. Die Abschottung Europas muss beendet werden zu einem Europa, das die Würde von Menschen respektiert. Wir fordern freie Fahrt für die Seenotretter hin zu einer humanistischen Politik für Menschen.“
Ausbeutung muss gestoppt werden
Ein Sprecher des OTKM Stuttgart (Offenes Treffen gegen Krieg und Militarisierung), das für eine solidarische Welt ohne Krieg einsteht, richtete sich eingangs seiner Rede an die Störer. Er bezeichnete die AfD als rassistische und rechtsorientierte Partei, die die solidarische Gemeinschaft in Deutschland gezielt mit rechten Ideologien zu stören versuche. Eine Bürgerin kritisierte den Sprecher dafür. Aus ihrer Sicht müsse eine demokratisch gewählte Partei, die auch rechtes Gedankengut verbreite, ausgehalten werden. Für diese Anmerkung erhielt die Rednerin wenig Verständnis.
„Einer der Hauptgründe, weshalb sich Menschen auf die Flucht begeben, ist Krieg, Ausbeutung und einer gezielten Politik der Unterwerfung geschuldet“, fuhr der Redner unbeirrt fort. Solange sich Deutschland an dieser Politik beteilige, werde es Menschen auf der Flucht gegeben: „Wir müssen hin zu einer Politik ohne Waffen und Krieg, nur so hat eine solidarische Weltengemeinschaft eine Chance, in Frieden leben zu können.“ Die Zahl der gestorbenen Menschen, die dieses Jahr im Mittelmeer ertrunken sind, sei alarmierend, doch ein Kalkül der Politik.
Nur eine Person von 19 habe im ersten Halbjahr das Mittelmeer überwinden können. Solange die EU und Deutschland mit der Organisation „Frontex“ weiter an der Abschottung Europas festhalte, die libysche Küstenwache unterstütze und autorisiere, werde es Tote im Mittelmeer geben, so der Redner weiter: „Um die Zustände verändern zu können, müssen wir uns erheben und uns solidarisch gegen eine solche Politik stellen. Die Ausbeutung der Länder, aus denen die Menschen sich auf ein besseres Leben begeben, muss gestoppt werden.“
Drohungen und Farbanschlag gegen den Chefredakteur der Beobachter News
Die Beobachter News brachten am 10. August eine Ankündigung zur Solidaritätskundgebung in Backnang. In den frühen Morgenstunden des 11. August verübten Unbekannte einen Farbanschlag auf das Wohnhaus und das Auto von BN-Chefredakteur Alfred Denzinger. In der Nähe seines Hauses sprühten sie mehrere Drohparolen, unter anderem „Denzinger versenken“ und brachten nazistische Symbole wie zum Beispiel Hakenkreuze an. Ein ausführlicher Bericht zu diesem Ereignis folgt.
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