Gastbeitrag von Martin Hornung – Mannheim. Ein Viertel der rund 400 im „Ländle“ von Berufsverbot Betroffenen kam aus dem Rhein-Neckar-Raum. Abendakademie Mannheim zeigt Ausstellung.
Noch bis zum 7. Mai wird die Berufsverbote-Wanderausstellung „Vergessene Geschichte“ in Zusammenarbeit mit dem DGB Nordbaden und der IG Metall Mannheim an der Abendakademie in U1 gezeigt. Rund 90 Interessierte kamen zur Eröffnung am 20. März, unter ihnen der Mannheimer SPD-Landtagsabgeordnete Boris Weirauch und zwei Vertreterinnen eines Forschungsteams an der Uni Heidelberg zum Radikalenerlass.
Nach der Akademie-Abteilungsleiterin und dem DGB-Regionsgeschäftsführer Lars Treusch sprach Rechtsanwalt Klaus Dammann aus Hamburg als Hauptreferent. Er war 1987 am Überprüfungsverfahren der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) und 1995 am Prozess vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßbourg beteiligt.
Unzulässige Diskriminierung
Nach dessen Urteil stellten die Berufsverbote eine unzulässige Diskriminierung in Beruf und Beschäftigung dar und verstießen gegen die Meinungs- und Vereinigungsfreiheit. Die Lehrerin Dorothea Vogt musste damals wiedereingestellt und ihr eine Entschädigung von 223 000 Mark gezahlt werden. In der Folgezeit hat das Bundesverfassungsgericht die Entscheidung einfach ignoriert und keine weiteren Verfahren angenommen. Dammann hat dies 1999 in der Zeitschrift „Ossietzky“ mit „taube, stumme Verfassungsrichter“ kommentiert.
Für die baden-württembergische „Initiativgruppe 40 Radikalenerlass“ berichtete Martin Hornung aus Eppelheim über die Betroffenen im Rhein-Neckar-Raum anhand von 12 namentlichen Beispielen. Michael Csaszkóczy erläuterte die Ausstellung. Bernd Köhler trug ein Lied vor, das er vor 40 Jahren einem Betroffenen gewidmet hatte. In der Region wurden in den siebziger Jahren rund 100 Berufsverbote verhängt. Hinzu kam 2004 die vier Jahre dauernde Nichteinstellung des antifaschistischen Lehrers Csaszkóczy.
Die PH Heidelberg war Berufsverbots-Hochburg
Eine der ersten Entlassungen war 1973 die eines Religionslehrers am Weinheimer Gymnasium. Er hatte Zustände angeprangert wie in einer 11. Klasse in Frankfurt: Schüler hatten sich auf Befehl des Lehrers ans Fenster stellen müssen, weil die Sonnenjalousie klemmte, er aber im Schatten sitzen wollte. In Heidelberg demonstrierten 850 Menschen gegen die Entlassung eines Gymnasiallehrers, der gemaßregelte Schüler unterstützt hatte. 1976 organisierte ein Aktionskomitee einen Sonderzug, mit dem aus Mannheim, Heidelberg und Umgebung 1000 Berufsverbot-GegnerInnen zur landesweiten Demonstration in Stuttgart fuhren.
„Berufsverbote-Hochburg“ war die Pädagogische Hochschule (PH) Heidelberg. Bei den meisten der dort rund 50 abgelehnten Lehrerinnen und Lehrer erfolgte dies mit der Begründung „Kandidatur für linke Hochschulgruppen“; aber auch Teilnahme an einer Demonstration gegen Fahrpreiserhöhungen oder wie bei Hornung die bloße Unterschrift unter eine Protesterklärung gegen den „Schieß-Erlass“ – der baden-württembergischen Variante des Ministerpräsidentenerlasses von 1972, benannt nach dem damaligen CDU-Innenminister Karl Schieß, unter den Nazis als „Hakenkreuz-Karle“ bekannt.
Manche wanderten aus
2012, anlässlich 40 Jahren Radikalenerlass, haben 269 Betroffene eine Erklärung veröffentlicht: „Endlich Aufarbeitung, Rehabilitierung, Beendigung der Bespitzelung und Entschädigung.“ Knapp ein Zehntel war aus dem Rhein-Neckar-Raum, drei von ihnen sind bereits verstorben. Bundesweit waren die Betroffenen überwiegend gezwungen, die Berufs- und Lebensperspektive zu wechseln. Vielen wurde die Existenz vernichtet. Einige wanderten aus oder begingen Suizid.
Die Ausstellung wurde seit 2015 in fast 50 Städten gezeigt, 2017 in Heidelberg zum ersten Mal an einer PH. Studentinnen führten dort im Rahmen eines Seminars Interviews mit Zeitzeugen durch (zu sehen auf YouTube), Das Material fand Eingang in Examensarbeiten und wurde 2018 in einer PH-Schriftenreihe in 60 Seiten aufgearbeitet. Das Studierendenparlament unterstützte die Betroffenen und ihre Forderungen in einer Resolution an den Landtag. Im November 2018 war die Ausstellung in Kassel auch erstmals an einer Schule zu sehen.
Weder Entschädigung noch Rehabilitierung
In Bremen und Niedersachsen (130 Betroffene) konnten 2014 und 2016 Beschlüsse der Landesparlamente für die Rehabilitierung erreicht werden. In Hamburg hat der Senat 2018 zumindest „Bedauern“ ausgesprochen und „Aufarbeitung“ zugesagt. In Baden-Württemberg wird die Initiativgruppe seit sechs Jahren ausgebremst, hauptsächlich durch den Grünen-Ministerpräsidenten Kretschmann (1975 als KBW-Mitglied zeitweilig selbst von Berufsverbot betroffen). 2016 hat er vor der Landtagswahl einen „Runden Tisch“ von zwei Grünen- und einer SPD-Abgeordneten mit Betroffenen vor einem Antrag im Landtag platzen lassen, obwohl er bereits 2012 schriftlich „wissenschaftliche Aufarbeitung“ zugesagt hatte.
Am „Tag der Menschenrechte“ im Dezember hat die Initiativgruppe auf dem Stuttgarter Schlossplatz ihre dritte Kundgebung durchgeführt. Zwei Wochen zuvor hatte sie über eine Anfrage der SPD-Landtagsfraktion zufällig erfahren, dass seit August 2018 an der Uni Heidelberg ein dreijähriges Forschungsprojekt läuft: „Verfassungsfeinde im Land? Baden-Württemberg, ’68 und der Radikalenerlass, 1968 bis 2018.“
Betroffene als Zeitzeugen
Die Betroffenen waren darüber nicht informiert. Staatsministerin Theresa Schopper (Grüne) legte in einer Stellungnahme auch Wert auf die Feststellung: „Das Projekt wurde weder vom Ministerpräsidenten noch von der Landesregierung in Auftrag gegeben.“ Man begrüße das Vorhaben jedoch, das Wissenschaftsministerium habe 248 000 Euro Fördermittel zur Verfügung gestellt.
Die Initiativgruppe hat sich selbst an das Forschungs-Team gewandt und erhielt die Mitteilung, auch Betroffene würden als Zeitzeugen gehört. Unabhängig davon bleibt die Gruppe bei der Ablehnung des offensichtlichen Plans der Landesregierung, wenn überhaupt erst nach der Landtagswahl (Frühjahr 2021) und dem Monate später endenden Projekt möglicherweise über ihre Forderungen zu sprechen.
Viele Betroffene beziehen nur Armutsrenten
Schon vor drei Jahren hat die Initiative der Landesregierung 27 Fälle von Betroffenen mit Armutsrenten oder drastischen Rentenkürzungen übergeben. Die meisten Betroffenen sind 70 Jahre oder älter. Die Vermutung liegt nahe, dass die Landesregierung auf die „biologische Lösung“ setzt.
Ein Beispiel ist Reinhard Gebhardt aus Mannheim. Er hat nach dem PH-Examen und Berufsverbot ab 1979 bei ARB-Kraftanlagen Heidelberg als Schweißer gearbeitet, bis die Firma nach 17 Jahren geschlossen wurde. Danach musste er sich zwei Jahrzehnte mit prekären Jobs, Arbeitslosigkeit und zuletzt Hartz IV durchschlagen. 2012 erhielt er den Rentenbescheid: 583 Euro brutto, etwa die Hälfte der „Standardrente“ (45 Versicherungsjahre bei Durchschnittsverdienst). Bei einer Lebenserwartung von im Schnitt 78 Jahren entspricht dies einem Rentenverlust von über 150 000 Euro.
Verfassungsschutz bespitzelt weiter
Bespitzelungen linker Oppositioneller wie Michael Csaszkóczy durch den sich „Verfassungsschutz“ nennenden Inlandsgeheimdienst laufen bis heute weiter. Im Herbst 2018 wurde der Lehrer nach einer Anzeige der AfD in einem bizarren Prozess wegen angeblichen „Hausfriedensbruchs“ in erster Instanz zu 1600 Euro Geldstrafe verurteilt. Nachdem das Oberschulamt „disziplinarische Maßnahmen“ ankündigte, haben die Heidelberger Vorsitzenden von DGB, GEW, Verdi und IG Metall öffentlich Csaszkóczys Freispruch gefordert und erklärt: „Wir fordern die Landesregierung vorsorglich auf, keine erneuten Maßnahmen oder gar ein zweites Berufsverbot gegen den Lehrer zu erlassen.“
Fast ausschließlich Linke betroffen
Im Zuge sich verschärfender staatlicher Repressionsmaßnahmen hat Innenminister Horst Seehofer Mitte Februar auch eine Neuauflage des Radikalenerlasses ins Spiel gebracht. Wenn die Presse berichtete, dann überwiegend blauäugig oder bewusst irreführend: In erster Linie sei dies gegen rechts, insbesondere die AfD gerichtet.
Tatsächlich waren extrem Rechte und Nazis von Berufsverbot nur in 0,4 Prozent der Fälle betroffen. Wollte man sie aus dem Öffentlichen Dienst fernhalten, müssten nur das Strafrecht und der antifaschistische Auftrag in Artikel 139 Grundgesetz angewendet werden.
Gewerkschaften stellen sich hinter Betroffene
Nachdem in den 70er Jahren noch Gewerkschafts-Ausschlüsse vollzogen worden waren, haben sich die Gewerkschaftstage von GEW, Verdi und IG Metall seit 2012 in Beschlüssen den Forderungen nach Entschuldigung, Rehabilitierung und Entschädigung angeschlossen. Diese für die Betroffenen wichtige Unterstützung hat der IG Metall-Vorstand vor kurzem bekräftigt und in der Vorbereitung des Gewerkschaftstages im Oktober im Umsetzungsvermerk zum Beschluss von 2015 erklärt: „Das öffentliche Interesse an dem Thema Berufsverbote wird durch die große Resonanz der Ausstellung unterstrichen, die in vielen Gewerkschaftshäusern gezeigt wurde. Baden-Württemberg ist konkrete Fortschritte in der Aufarbeitung schuldig geblieben. In Anbetracht der Aktualität und der nur langsamen Aufarbeitung in Deutschland werden die DGB-Gewerkschaften ihr Engagement aufrecht erhalten.“
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