Von Paul Linker – Stuttgart. Im März wurde im Anschluss an eine Versammlung von starken Mieterhöhungen Betroffener das Haus Forststraße 140 besetzt und noch im selben Monat von der Polizei geräumt. Fünf Monate danach wurden nun vom Amtsgericht Stuttgart die ersten Strafbefehle wegen „Hausfriedensbruchs“ nach §123 StGB versandt. Ein Aktivist soll eine Geldstrafe von 1800 Euro bezahlen. Er will Einspruch einlegen.
Mehr als 150 Menschen nahmen an der vom Aktionsbündnis Recht auf Wohnen organisierten Versammlung am 9. März mit dem Thema „Mieten stoppen- gegen Modernisierungsvertreibung“ in der Forststraße im Stuttgarter Westen teil. Hintergrund war das Profitinteresse einer sogenannten „bodenständigen“ schwäbischen Immobiliengesellschaft. Sie hatte die Mieten in einem 2018 von ihr gekauften Haus in der Forststraße 168 wegen angeblich beabsichtigter Modernisierungsmaßnahmen um bis zu 136 Prozent erhöht (wir berichteten).
Für die BewohnerInnen des Hauses war diese Mietsteigerung nicht bezahlbar. Um auf die Lage der betroffenen MieterInnen und auf die mehr als angespannte Wohnungssituation im zweitteuersten Wohnungsmarkt Deutschlands hinzuweisen, hatte das Aktionsbündnis Recht auf Wohnen eine Kundgebung organisiert, auf der mehrere RednerInnen auf die zunehmenden Probleme vieler Menschen in Stuttgart hinwiesen, bezahlbaren Wohnraum zu finden.
Leerstand von Wohnraum unverantwortlich
Nach der Kundgebung entwickelte sich eine spontane Demonstration, die mit der Besetzung eines Hauses in der Forststraße 140 durch mehrere AktivistInnen endete. Das dreistöckige Backsteingebäude stand nach unterschiedlichen Angaben vermutlich schon mehrere Jahre leer. Von Anfang an machten die BesetzerInnen klar, dass die Besetzung nicht symbolisch erfolgen sollte, sondern auf Dauer, da in der mehr als angespannten Wohnungssituation ein Leerstand von Wohnraum unverantwortlich sei.
In den auf die Besetzung folgenden Wochen wurde die Forststraße 140 von einer Vielzahl von Menschen wieder mit Leben und Aktionen gefüllt. Es kam zu mehreren Hof-Festen, die auch von Nachbarn solidarisch besucht und unterstützt wurden. Erste Renovierungsarbeiten wurden ebenso wie ein Flohmarkt durchgeführt und mit mehreren Veranstaltungen auf die politischen Hintergründe der zunehmenden Wohnungsnot in Stuttgart hingewiesen.
Auf den Schreck der Besetzung hin mischte sich die Stadt Stuttgart vehement ein – vermutlich mit der Befürchtung, das solche Besetzungen sich zukünftig wiederholen könnten. Am Dienstag, 26. März, gab es im Stuttgarter Rathaus ein von Bürgermeister Martin Schairer angeregtes sogenanntes „Vermittlungsgespräch“ zwischen den Anwälten des Eigentümers und mehreren Personen, die selbst von der zunehmenden Wohnungsnot in Stuttgart und drohender Obdachlosigkeit betroffen sind.
Der „ewige Provokateur“ im Einsatz
Begleitet wurde dieses Gespräch von einer spontanen Kundgebung vor dem Rathaus. Bei ihr kam es zu erheblichen verbalen und körperlichen Provokationen damaliger Stadträte der rechten BZS23 (siehe Video).
Auf die Forderungen der AktivistInnen nach Mietverträgen für das besetzte Haus reagierten die schmallippigen Anwälte mit dem lapidaren Hinweis, dass sich der Eigentümer seine Mieter selbst „aussuchen“ wolle. Bürgermeister Schairer zeigte daraufhin schnell die wahren Absichten der Stadt Stuttgart und forderte die AktivistInnen auf, das besetzte Gebäude unverzüglich zu räumen.
Stadt ließ Gebäude räumen:
„Gefahr einer Verfestigung rechtswidriger Zustände“
Darauf ließen sich die BesetzerInnen der Forststraße 140 nicht ein, und so kam es, wie es im Kapitalismus kommen muss: Die Stadt Stuttgart erließ unverzüglich eine sogenannte „Allgemeinverfügung zur Anordnung eines Aufenthalts- und Betretungsverbots und zur Räumung des Gebäudes“ Forststraße 140. Nach Ansicht der Stadtverwaltung war dies erforderlich, um die „Gefahr einer Verfestigung rechtswidriger Zustände“ abzuwenden.
Zwei Tage nach dem angeblichen Vermittlungsgespräch, am Donnerstag, 28. März 2019, stürmte eine beachtliche Anzahl von Polizisten am frühen Morgen kurz vor 8 Uhr die Forststraße 140 (wir berichteten). Die Polizei setzte bei dieser völlig überzogenen Aktion sogar Überwachungsdrohnen ein. Vermutlich dachte sie, dass sich dort irgendwelche Terroristen verschanzt hätten. Die BesetzerInnen wurden rüde aus dem besetzten Haus entfernt und für mehrere Stunden auf dem Pragsattel in Gewahrsam gehalten.
Spekulantentum: Gebäude steht weiter leer
Das Gebäude in der Forststraße 140 fiel wieder in den Dornröschenschlaf, in dem es bereits vor der Besetzung lag. Daran hat sich bis heute nichts geändert, das wohnliche Gebäude steht aktuell weiter leer. Ungenutzter Wohnraum und das langsame Zerfallenlassen von Häusern sind systemimmanente Symbole für eine verfehlte Wohnungspolitik und das Spekulantentum privater Immobilienhaie.
Das „Versprechen“ der Eigentümer des besetzten Hauses Forststraße 140, unverzüglich mit weiteren Umbaumaßnahmen zu beginnen, scheint wohl vergessen. Dort scheint sich nicht allzuviel zu tun, neue MieterInnen sind auf jeden Fall nicht eingezogen.
Strafbefehle wegen „Hausfriedensbruchs“: 1800 Euro
Von den Repressionsbehörden nicht vergessen, wurden aber die bei der Räumung in Gewahrsam genommenen AktivistInnen. Fünf Monate nach der Räumung wurden nun die ersten Strafbefehle wegen „Hausfriedensbruchs“ nach §123 StGB vom Amtsgericht Stuttgart versandt.
Im Gespräch mit den Beobachter-News erklärte einer der nun von Kriminalisierung betroffenen Aktivisten, das von ihm für seinen Einsatz für bezahlbaren Wohnraum eine Geldstrafe in Höhe von 1800 Euro gefordert wird.
1800 Euro für drei Wochen ist ein Mietbetrag, bei dem selbst einem abgebrühtem Miethai das Wasser im Maul zusammenläuft, meint der selbst aufgrund einer Eigenbedarfskündigung von Obdachlosigkeit bedrohte Aktivist, der Einspruch gegen diesen Strafbefehl einlegen wird.
Der dann anstehende Prozess dürfte interessant werden. Man weiß ja nie, wann die nächste Besetzung ins Haus steht.
Video: Demo nach der Räumung
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