Von Sahra Barkini – Stuttgart. Nach einem Eilantrag wurde am Samstag, 18. April, ein wegen der Corona-Pandemie erlassenes Versammlungsverbot der Stadt Stuttgart gekippt. Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe sah das Grundrecht der Versammlungsfreiheit des Antragstellers verletzt. Daraufhin ließ die Stadt Stuttgart die zuvor verbotene Kundgebung „Für das Grundgesetz“ zu. Der Weg für die rechtsoffene Kundgebung war frei. Mindestens 80 Menschen versammelten sich am Samstagnachmittag auf dem Stuttgarter Schlossplatz.
Zu sehen war eine krude Mischung aus Verschwörungstheoretikern, Rechten wie dem Ex-AfD Stadtrat und Landtagsabgeordneten Heinrich Fiechtner, einzelnen S-21-GegnerInnen und Impfgegnern wie Hans U. P. Tolzin. Er gilt als einer der bekanntesten Impfkritiker in Deutschland und war vergangene Woche an einer Kundgebung für die Rechtsanwältin Beate Bahner in Heidelberg beteiligt. Die Polizei schritt gegen die Ansammlung von mindestens 150 Menschen in Heidelberg, bei der die Corona-Regeln wenig Beachtung fanden, aus „Gründen des Deeskalationsprinzips“ nicht ein, ermittelt aber inzwischen auf Anweisung des Mannheimer Polizeipräsidenten gegen die Beteiligten.
Begrüßung per Handschlag
Der Versammlungsanmelder wollte auf dem zentralen Schlossplatz mit maximal 50 Leuten gegen die Einschränkung der Grundrechte in der Corona-Krise demonstrieren. Eine Auflage war die Einhaltung eines Mindestabstands von 1,5 Metern der TeilnehmerInnen untereinander und von 2 Metern zu PassantInnen. Unsere FotografInnen zählten allerdings mindestens 80 Versammelte, und auch der Mindestabstand wurde nicht eingehalten. So ließ es sich Ex-AfD Stadtrat Fiechtner nicht nehmen, eine Person per Handschlag zu begrüßen (siehe Video unten).
Die anwesenden PolizistInnen wurden auf diese Missachtung der Auflagen aufmerksam gemacht, sahen aber keinen Grund zu handeln, da nach ihrer Ansicht die Ordner das Einhalten der Auflagen überwachen müssten. Auch schien kein Problem zu sein, dass es der Versammlungsleiter im Vorfeld der Kundgebung wohl nicht für erforderlich hielt, OrdnerInnenbinden zu beschaffen. Die BeamtInnen halfen mit Flatterband aus. Sie bastelten daraus in Fetzen gerissene OrdnerInnenbinden, die der Versammlungsleiter an die Handgelenke der auserwählten OrdnerInnen band. Auch hier war von Mindestabstand keine Spur (siehe Video unten).
Im Gegensatz zum Mindestabstand zwischen den KundgebungsteilnehmerInnen schien es der Polizei aber wichtig zu sein, dass PassantInnen, die auf den Treppen saßen, den Abstand einhalten. Zumindest wurden sie dazu ermahnt.
Aluhut trifft Antisemitismus
Bei einigen der Anwesenden schien der Aluhut ziemlich zu glühen. So war auf den wenigen Plakaten von der Angst einer Zwangsimpfung oder vor der Abschaffung des Bargelds zu lesen. Auch wurde die Meinung vertreten, George Sorros und Bill Gates seien für das Corona-Virus verantwortlich. Wieder einmal traf Aluhut-Theorie auf Antisemitismus. Einzelne TeilnehmerInnen schien es auf Nachfrage auch nicht zu stören, dass Personen des rechten Spektrums an der Kundgebung beteiligt waren (siehe Video unten).
Vorbeigehende PassantInnen schüttelnden häufig den Kopf über diese seltsam anmutende Ansammlung von Menschen. Für Außenstehende war es sehr schwer zu verstehen, worum es den TeilnehmerInnen eigentlich ging, da keinerlei Reden gehalten wurden.
Am Ende der Kundgebung tauchte eine Handvoll MLPD-AktivistInnen und/oder -SympathisantInnen auf, die mit Schildern und einem Transparent auf die Situation der Geflüchteten hinwiesen.
Urheber des Aufrufs unbekannt
Dies war bereits die zweite Kundgebung in Folge. Eine Woche zuvor wurde eine ähnliche Versammlung noch von der Polizei Stuttgart unterbunden, und es wurden Platzverweise erteilt. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts mussten die TeilnehmerInnen am Samstag keine Repression fürchten. Wer genau hinter dem Aufruf steckt, ist fraglich. Angemeldet wurde die Versammlung von einer Privatperson. Es kann aber davon ausgegangen werden, dass die Gruppe „Nicht ohne uns“ dahinter steckt.
Sie hat ihren Hauptsitz in Berlin, aber inzwischen auch mehrere Ortsgruppen – unter anderem in Stuttgart. Auf deren Website ist von „Kommunikationsstelle Demokratischer Widerstand“ die Rede. Hauptsächlich beworben werden die Demonstrationen von Plattformen aus dem rechten beziehungsweise Querfront-Spektrum.
Weitere Kundgebungen angekündigt
Bei einer Kundgebung in Berlin waren 500 TeilnehmerInnen anwesend, erlaubt sind dort aber nur 20. Somit war die Kundgebung illegal. Unter den dort Demonstrierenden waren sowohl der ehemalige Journalist und Erdoğan-Unterstützer Martin Lejeune als auch der „Volkslehrer“ Nikolai Nerling. Gefilmt wurde vom rechtsoffenen Portal „KenFM“ von Ken Jebsen.
Mit Blick nach Berlin bleibt wohl abzuwarten, wer sich an den nächsten Wochenenden in Stuttgart tummelt. Denn für die nächsten Samstage sind weitere Kundgebungen auf dem Stuttgarter Schlossplatz angekündigt.
Fun-Fact am Rande: Laut eines Ohrenzeugen sagte ein Teilnehmer zu einem anwesenden Stadtrat, er solle bitte Abstand halten, da er Angst habe, sich anzustecken. Allerdings nicht mit Corona, sondern mit der politischen Richtung des Stadtrats.
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