Von Simon Lange – Karlsruhe. 120 AntifaschistInnen folgten am Freitag, 4. Dezember, dem Aufruf des Offenen Antifaschistischen Treffen (OAT) Karlsruhe zu einer Kundgebung vor dem Polizeirevier am Karlsruher Marktplatz. Anlass war das Auffliegen einer Polizeichatgruppe der Bereitschaftspolizei Bruchsal Anfang der Woche. Von den 17 beschuldigten PolizistInnen arbeiten einige mittlerweile im Streifendienst in Revieren in Pforzheim, Mannheim und Karlsruhe. Die in Karlsruhe eingesetzten BeamtInnen arbeiten zur Zeit im Polizeirevier Marktplatz.
Am späten Nachmittag versammelten sich die AntifaschistInnen unter den kritischen Augen der PolizeibeamtInnen direkt gegenüber vom Marktplatzrevier. Viele PassantInnen blieben interessiert stehen. Nach kurzer Zeit war die Kundgebung auf 120 Menschen angewachsen.
Neben dem Offenen Antifaschistische Treffen (OAT) Karlsruhe sprachen auch VertreterInnen der Gemeinderatsfraktion der Partei Die Linke und der Roten Hilfe Karlsruhe. Das OAT Karlsruhe thematisierte die vielen rechtsextremen Vorfälle und Verstrickungen bei staatlichen Behörden und der Bundeswehr. Lukas Bimmerle, Stadtrat der Linken, sprach in seiner Rede davon, dass die Karlsruher Polizei noch kurz vor Bekanntwerden der rechten Chatgruppe auf eine Anfrage, ob es denn bei der Karlsruher Polizei solche Chatgruppen gebe, antwortete, dass ihr so etwas nicht bekannt sei. Auch Racial Profiling verneinte die Polizei mit dem Hinweis darauf, dass diese Praxis illegal sei.
Die Rote Hilfe erklärte, dass der Verfolgungseifer staatlicher Behörden bei linken AktivistInnen höher sei als bei rechtsextremen PolizistInnen. Sie verwies auf die bevorstehenden Verfahren gegen fünf junge AktivistInnen in Hamburg im Zusammenhang mit dem sogenannten „Rondenbarg-Komplex“ und dem Vorgehen gegen den „Roten Aufbau Hamburg“ (siehe auch Rote Hilfe kritisiert „massive Kriminalisierung“).
Nach den Reden formierten sich die AntifaschistInnen zu einer Demonstration. Sie zog über den belebten Weihnachtsmarkt auf dem Marktplatz durch die Innenstadt und wieder zurück zum Marktplatz. Mit lauten Parolen und regelmäßigen Megaphon-Durchsagen machten die DemonstrantInnen auf sich und das Motto der Kundgebung „Rechte Strukturen aufdecken und zerschlagen! #Polizeiproblem“ aufmerksam und informierten die PassantInnen über die rechtsextremen Vorfälle bei der Bruchsaler Bereitschaftspolizei.
Am Ende der Demonstration gab es einen Zwischenfall. Ein offenbar rechtsgerichteter Radfahrer versuchte, den Demonstrationszug zu stören und die DemonstrantInnen zu beleidigten. Es blieb jedoch bei dem Versuch, denn er wurde sehr schnell von den anwesenden PolizeibeamtInnen vom Fahrrad gezogen und von der Demonstration entfernt.
Ein Vertreter des OAT Karlsruhe wertete die Kundgebung und insbesondere die Demonstration als großen Erfolg, „da es nach langer Zeit wieder möglich war eine Demonstration durchzuführen“.
Die Rede des OAT Karlsruhe im Wortlaut:
„Liebe GenossIinnen,
Eigentlich brauche ich zu diesem Thema garnicht viel zu sagen: Ob jetzt Nazis bei den Bullen sind, oder ob die Bullen Nazis sind; wie man es auch dreht und wendet – es leuchtet allen sofort ein, dass es sich hier um ein gewaltiges gesellschaftliches Problem handelt. Was mich dagegen verwundert ist, dass der große Aufschrei bisher ausgeblieben ist und das Thema in den Medien auch eher eine Randnotiz.
Umso mehr freut es mich, dass ihr heute hier zu unserer Kundgebung gekommen seid!
In den letzten Monaten und Wochen häufen sich die Meldungen. Erst letzte Woche wurde in Nordrhein-Westfalen wieder eine Nazichatgruppe mit 15 Mitgliedern bei den Bullen entdeckt. Insgesamt sind es nun knapp 200 Angehörige von Sicherheitsbehörden in NRW, die in rechten Chatgruppen aktiv waren und dort ihre Gesinnung mit Bildern, die den Faschismus verherrlichen, die aufs übelste rassistisch und antisemitisch sind zum Ausdruck bringen.
Dass jetzt sowas auch hier bei der Bereitschaftspolizei in Bruchsal zu Tage kommt, ist nun wirklich nicht verwunderlich sondern war vermutlich nur eine Frage der Zeit.
Denn dass sich Rechte in Sicherheitsbehörden tummeln ist nun wirklich kein neues Phänomen:
Nordkreuz, das Hannibal-Netzwerk, Nazis beim Kommando Spezialkräfte der Bundeswehr in Calw, KuKluxKlan-Mitglieder bei der Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit in Göppingen, NSU 2.0, der rechte Verein Uniter, in dem nahezu ausschließlich Angehörige von Sicherheitsbehörden organisiert sind – das sind nur einige Schlaglichter, die in letzter Zeit durch die Medienlandschaft geisterten und schnell wieder in den Hintergrund gerückt sind.
Nach dem 2. Weltkrieg wurden Militär, Geheimdienste, Polizei und der Justizapparat ganz wesentlich von und mit ehemaligen NSDAP-Mitgliedern und Nazioffizieren aufgebaut, und allem Anschein nach finden Nazis die Kombination aus Waffen, Uniformen, autoritären Befugnissen und der Möglichkeit Gewalt gegen Menschen auszuüben auch im Jahr 2020 immer noch spannend. Wer hätte das nur gedacht?!
Das Erschreckende hierbei ist, dass all diese Fälle nur zufällig bekannt geworden sind, da eine systematische Aufklärung seit Jahren politisch von den Regierungsparteien – egal ob CDU, SPD oder Grüne – blockiert und verhindert wird. Ein bisschen ist es so wie mit Corona: Wenn man nicht testet, hat man wenig Fälle, und die Dunkelziffer ist verdammt hoch!
Jetzt sind ein Haufen Rechter bei der Polizei. Was heißt das konkret? Könnte das nicht eine plausible Erklärung für rassistische Polizeigewalt sein? Ist das vielleicht ein Grund dafür, dass die Wahrscheinlichkeit, in eine ganz „zufällige“ Personenkontrolle zu geraten, dadurch deutlich erhöht wird, wenn man eine dunkle Hautfarbe oder schwarze Haare hat? Und lässt sich vielleicht auch die ein oder andere Prügelorgie der Bullen bei linken Demos so erklären?
Wenn man diesen Problemen ernsthaft begegnen will, sollte man halt an dieser Stelle ansetzen. Was es dringend braucht ist eine gründliche Entnazifizierung der deutschen Sicherheitsbehörden, denn das wurde in den letzten 70 Jahren offensichtlich versäumt! … “
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