Von Sahra Barkini – Stuttgart. Unter dem Motto: „Linke Politik verteidigen – Freiheit für alle Antifas“ zogen am Samstag, 23. Oktober, über 600 Menschen durch Stuttgart. Sie solidarisierten sich mit ihren inhaftierten Stuttgarter Genossen Findus und Dy, aber auch mit der Leipzigerin Lina und allen anderen AntifaschistInnen die momentan in Haft sind oder denen Haft droht.
Die beiden Antifaschisten Dy und Jo waren im sogenannten „Wasen-Verfahren“, einem Indizienprozess, angeklagt und wurden zu hohen Haftstrafen verurteilt (siehe „Fünfeinhalb und viereinhalb Jahre Gefängnis ohne handfeste Beweise„). In seiner Urteilsbegründung warf ihnen der Vorsitzende Richter vor, „ideologisch verblendet“ zu sein. Laut einem Bericht der „Stuttgarter Zeitung“ vom 23. Oktober haben sowohl die Anwälte der Angeklagten als auch der Nebenklage-Anwalt Revision angekündigt.
Bei der Auftaktkundgebung in der Lautenschlagerstraße versuchte der bekannte rechte Blogger Klaus N. (Name von der Redaktion geändert), die KundgebungsteilnehmerInnen zu provozieren. Dies unterband die Polizei und schickte ihn weg. Ein weiterer rechter Youtuber, der ebenfalls mehrfach linke Kundgebungen und Demonstrationen filmte, tat dies auch dieses Mal die gesamte Demonstration über. Vereinzelt gab es Provokationen gegenüber Journalisten von Personen aus dem „Querdenker“-Spektrum.
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Während der Demonstration wurde zeitweise Pyrotechnik gezündet und vereinzelt Farbbeutel auf Gebäude geworfen. Auch die Polizei war im Visier der AntifaschistInnen. Zu weiteren Zwischenfällen kam es nicht. Allerdings kontrollierten die BeamtInnen nach Ende der Abschlusskundgebung Personengruppen in der Innenstadt – unter ihnen einen Journalisten, der die Personalienfeststellungen dokumentierte.
Im Aufruf zu der Demonstration hieß es: „Unser Kampf lebt von der Solidarität mit allen Einzelnen, die stellvertretend für unsere Bewegung vor Gericht gezerrt und in den Knast gesperrt werden. Deshalb gehen wir mit dieser Demonstration in die Offensive und durchbrechen die Ohnmacht, in Solidarität mit Jo, Dy, Lina, Findus, Adel, Kevin und allen Linken, die wegen ihrer Überzeugung & Aktivität von Repression betroffen sind!“ An den Angeklagten werden Exempel statuiert. Haftstrafen und aufwendigen Prozesse werden an Einzelnen vorgeführt, sollen aber eine ganze politische Bewegung treffen, die diesem Staat ein Dorn im Auge ist – die für linke Politik im Gesamten aber im wahrsten Sinne des Wortes lebensnotwendig ist: Antifaschismus. Den Anfängen wehren!“
Zu Beginn der Kundgebung wurden Grußworte verlesen und auch Grußbotschaften eingespielt, so zum Beispiel von dem Stuttgarter Findus. Er sitzt seit dem 19. Juli für zweieinhalb Jahre in Ravensburg in Haft (siehe Verurteilt mich, es hat keine Bedeutung). Die Demonstration zog von der Lautenschlagerstraße über die Theodor-Heuss-Straße Richtung Rotebühlplatz. Dort nutzte die Polizei die Treppe einer Baustelle, um die Demonstration zu filmen und die TeilnehmerInnen zu fotografieren.
Der Zug zog weiter über die Tübinger Straße Richtung Marienplatz. Dort endete die Demonstration. Auf der gesamten Strecke wurden in Reden über laufende oder vergangene Prozesse gegen AntifaschistInnen informiert und Parolen skandiert wie: „Freiheit für alle politischen Gefangenen“, „Ob Ost, ob West, nieder mit der Nazipest“ oder „Siamo tutti Antifascisti“, „Auf der Straße, vor Gericht – Antifa bleibt notwendig“, „Wir sind nicht alle – es fehlen die Gefangenen“ und „129, das kennen wir schon – Feuer und Flamme der Repression“.
Auf den § 129, den „Terrorparagraphen“ – Bildung einer kriminellen Vereinigung – ist die Anklage gegen Lina und drei weitere Antifaschisten gestützt. Mit diesem Paragraph werde das Engagement gegen Nazi-Umtriebe staatlicherseits zur „kriminellen Vereinigung“ erklärt und Antifaschismus pauschal diffamiert und kriminalisiert, so die Kritik. Zu Prozessbeginn in Leipzig sandte die Mutter der Angeklagten ein emotionales Statement. In diesem heißt es: „Ich bin zornig und erschüttert über die Kriminalisierung meiner Tochter und wie sie zur Terroristin stilisiert wird. Die Vorverurteilung ist auffallend, und die Unschuldsvermutung gilt für Lina von Anfang an nicht. Mit dem Verfahren gegen Lina und weitere Personen soll ein Präzedenzfall geschaffen und gleichzeitig ein Exempel statuiert werden: Wer sich in Deutschland gegen Nazis organisiert, wird mit aller Härte verfolgt und bestraft“ (siehe„Ich bin zornig und erschüttert“).
Einige PassantInnen reagierten mit Verständnis auf die Demonstration, manche schlossen sich an. Bereits im Frühjahr gab es in Stuttgart eine solche Demonstration. Damals glich die Stadt allerdings einer Polizeifestung. Das war dieses Mal nicht der Fall (siehe Die Stadt glich einer Polizeifestung).
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