Von Sahra Barkini – Stuttgart. Aus Solidarität mit von Repression betroffenen AntifaschistInnen mobilisierte am 20. März ein Antifaschistisches Bündnis zu einer überregionalen Demonstration nach Stuttgart. Unter dem Motto: „Konsequent. Antifaschistisch. Solidarität bleibt notwendig – ob auf der Straße oder im Knast“ zogen bis zu 1000 AntifaschistInnen durch die Stuttgarter Innenstadt. Sie glich an diesem Samstag beinahe einer Polizeifestung.
Sowohl vor dem Oberlandesgericht, wo es eine Zwischenkundgebung gab, als auch vor dem Landtag waren Wasserwerfer positioniert. Ein Helikopter kreiste oder stand zeitweise über der Stadt, berittene PolizistInnen prägten ebenso wie weitere Polizeieinheiten das Bild. Die Königstraße war teilweise mit Polizeifahrzeugen gesperrt, und das Neue Schloss war mit Hamburger Gittern gesichert (siehe auch „Die Polizei misst mit zweierlei Maß„).
Die Kundgebung begann um 14 Uhr in der Lautenschlagerstraße mit Reden der VeranstalterInnen, von Janka Kluge (VVN-BdA) und vom Bundessprecher der Roten Hilfe e.V zu hören. Ein Redner der VeranstalterInnen sprach über zwei derzeit Inhaftierte: „Dy“ in Stuttgart und „Lina“ in Leipzig. Er kritisierte Repression gegen antifaschistische Strukturen und den Paragraph 129 (Bildung einer kriminellen oder terroristischen Vereinigung). Er werde inflationär benutzt, um linke Strukturen auszuleuchten.
Auslöser für die Demonstration sei neben einer „generell repressiven Tendenz“ die Tatsache gewesen, dass der Stuttgarter Antifaschist „Dy“ in Stammheim hinter Gittern sitze und bis vor einigen Wochen auch „Jo“ noch inhaftiert gewesen sei. Beiden werde vorgeworfen, an einem Übergriff auf Mitglieder der Pseudogewerkschaft „Zentrum Automobil“ am Rand einer Querdenker-Demonstration im vergangenen Jahr beteiligt gewesen zu sein.
„Zentrum Automobil“ ist eine Scheingewerkschaft, der auch ehemalige Mitglieder von „Blood & Honour“ angehören. Aktiv ist sie unter anderem im Daimler-Werk in Untertürkheim. Der Gründer Oliver Hilburger soll jahrzentelang fester Bestandteil des rechtsterroristischen Netzwerks gewesen sein, außerdem Mitglied der Rechtsrock Band „Noie Werte“. Deren Musik untermalte auch das NSU-Bekennervideo.
Unter der Führung von Hilburger suchte „Zentrum Automobil“ die Nähe zur AfD, zum rechten Compact Magazin und zur Identitären Bewegung. Im Betrieb hetzt der Verein gegen gewerkschaftlich organisierte KollegInnen und ergreift Partei für rassistische Angestellte. Aber nicht nur Hilburger hat eine eindeutig rechte Vergangenheit, auch andere „Zentrum“ Mitglieder sind aus rechten bis rechtsextremen Strukturen. Bei den sogenannten Querdenker-Protesten in Stuttgart war von Anfang an eine rege Beteiligung rechter Kräfte zu beobachten: militante Neonazis, Reichsbürger und mittendrin „Zentrum Automobil“.
Die älteste Antifa-Struktur
Einleitend zur Rede von Janka Kluge sagte die Moderatorin, auch die VVN-BdA sei von Repression betroffen. Die 1947 von WiderstandskämpferInnen und Verfolgten des deutschen Faschismus gegründete Organisation ist die älteste Antifa-Struktur. 2019 sollte dem Verein die Gemeinnützigkeit entzogen werden, die endgültige Entscheidung steht bis heute aus. Der Entzug der Gemeinnützigkeit würde den finanziellen Ruin der Organisation bedeuten und damit die bitter notwendige antifaschistische Arbeit unmöglich machen. Die VVN ist bundesweit aktiv und leiste in Bündnissen wichtige Arbeit im Kampf gegen Nazis und Faschisten. Und weiter sagte sie: „Die Repression, der sie ausgesetzt ist, ist etwas anderes, als die Repression, der wir ausgesetzt sind. Aber auch diese Art der Kriminalisierung ist Teil des Angriffs auf die gesamte Linke Bewegung.“
Kluge betonte in ihre Rede: „Antifaschismus bleibt notwendig in einem Staat, der die Nazis hofiert, in einem Staat, wo Polizisten massenweise Munition zur Seite schaffen können, wo Bundeswehrmitglieder für den Bürgerkrieg trainieren, in einem Staat, in dem immer deutlicher wird, dass wir in einem Klassenstaat leben, und das heißt auch: Wir haben eine Klassenjustiz.“ Kluge berichtete von einer Demonstration 2018 aus Anlass der rechten Ausschreitungen von Chemnitz. Diese Demonstration wurde mehrfach von der Polizei gewaltsam aufgehalten. Die Polizei setzte Schlagstöcke gegen die Demonstrierenden ein und zog Pfefferspray. PolizistInnen traten unter den Transparenten gegen die DemonstrantInnen.
Anwalt riet von Anzeige ab
Kluge selbst war an diesem Tag entsetzt über die Gewalteskalation der Polizei, „entsetzt und wütend“, weil die Demonstrierenden aus wichtigem Grund auf der Straße gewesen seien. Diese Demonstration habe Solidarität mit den Chemnitzer AntifaschistInnen ausgedrückt. Kluge weiter: „Antifaschismus muss nicht nur stark sein, Antifaschismus muss klug sein, ich war nicht klug in diesem Moment. Ich bin zu einem Polizisten hin und hab ihn angetippt und hab gedacht, ich will diese Gewalt der Polizei verhindern. Es war dumm, aber es war meine Wut, meine Wut hat mich geleitet in diesem Moment. Meine Wut auf den Staat, meine Wut auf die Polizei, meine Wut auf die Nazis und mein Hass auf die Nazis.“ In der Presse war später zu lesen, der Polizist griff Kluge an, zog an ihren Haaren und drückte mit der Hand ihren Hals zu (siehe Polizei stoppt Spontandemo).
Polizeiübergriff auf Janka Kluge – Archivvideo
Kluge ging zum Anwalt, der ihr riet, keine Anzeige zu erstatten, da sonst gegen sie ermittelt werde. In ihrer Rede fügte sie hinzu: „Die Polizei in Deutschland hat kein Interesse daran, dass Polizeigewalt aufgeklärt wird. Die Polizei in Deutschland hat ein Interesse daran, dass sie sich gegenseitig schützt. Die Polizei in Deutschland ist nach wie vor mit diesem alten Korpsgeist behaftet.“ Antifaschismus müsse stark und klug sein – dazu gehöre, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen. Alfred Hausser, der Stuttgarter Widerstandskämpfer, sagte einmal: „Macht bitte nicht den Fehler, den wir damals gemacht haben. Bleibt einig, es ist unser gemeinsamer Feind, es ist unser gemeinsamer Kampf – egal welche Mittel die einzelnen anwenden, vergesst nie, dass es der gemeinsame Feind ist.“
Ein Vertreter des Bundesvorstands der Roten Hilfe sagte: „Wir spüren keinen Lockdown der Repression, der Hunger des Staates nach Feinden ist ungebrochen.“ Er sprach über eine Kriminalisierung verschiedener Antifa Strukturen und migrantischer AktivistInnen. Er forderte die Einstellung aller G20-Verfahren. Und er verurteilte die Kriminalisierung von UmweltaktivistInnen beispielsweise im Dannroeder Forst. „Wir als Rote Hilfe stehen seit Jahrzehnten an der Seite der politisch Verfolgten. Aber wir Antirepressionsgruppen schaffen das nicht allein. Antirepressionsarbeit muss Aufgabe der gesamten linken Bewegung sein, der wachsenden Kriminalisierung und Bedrohung von außen müssen wir gemeinsam etwas entgegen setzen.“ Die Solidarität bleibe die einzige Waffe – ob auf der Straße oder im Gerichtssaal.
Bengalos gezündet
Nach den Ansprachen setze sich ein lautstarker Demonstrationszug durch die Lautenschlagerstraße, die Bolzstraße, vorbei am neuen Schloss Richtung Olgastraße bis vor das Oberlandesgericht in Bewegung. Die TeilnehmerInnen trugen FFP2- Masken und manche darüber ein rotes Schlauchtuch, um Geschlossenheit zu symbolisieren. Das Bild der Demonstration war durch eine große Antifa-Schwenkfahne, Plakate, Fahnen und Transparente geprägt. Auf diesen war unter anderem zu lesen: „Wir sind geboren am 17. November – Solidarität mit Dimitris K.“, „Freiheit für alle politischen Gefangenen“, „Konsequent Antifaschistisch“,“ Stronger together – no one is free until everyone is free“, „Nie wieder schwedische Gardinen, macht die Knäste zu Ruinen.“
Bengalos wurden gezündet und lautstarke Parolen gerufen. Während des Demonstrationszuges waren Grußworte zu hören, unter anderem von dem seit 1996 inhaftierten Thomas Mayer-Falk und von „Dy“, dem kurdischen Antifaschisten, der in Stammheim inhaftiert ist. Gegen ihn wird im April das sogenannte „Wasen-Verfahren“ eröffnet. Während der Zwischenkundgebung vor dem OLG gab es Farbanschlägen auf die Fassade. Auf dem Weg zur Abschlusskundgebung auf dem Rotebühlplatz gab es eine Transparentaktion in Solidarität mit „Lina & Dy“.
Polizeikräfte hatten die verschiedenen Zugänge zum Rotebühlplatz blockiert. Das verhinderte weitestgehend, dass PassantInnen von der Demonstration etwas mitbekamen. Diejenigen, die sich vom großen Polizeiaufgebot nicht abschrecken ließen, waren wie schon am Schlossplatz positiv gegenüber der Demonstration gestimmt. Immer wieder schlossen sich einige an.
Zwei Festnahmen
Eigentlich hätte der Aufzug durch die Stadt hier enden sollen. Allerdings entschieden sich die Demonstrierenden anders und zogen in einer Spontandemonstration bis zum Bahnhof und dem Ausgangspunkt des Tages weiter. Auf Höhe des Innenstadtreviers wurden Parolen wie: „Nazis morden, der Staat macht mit, der NSU war nicht zu dritt“ oder „Freiheit für alle politischen Gefangenen“ gerufen. Dies schien die Polizeieinheiten etwas nervös zu machen. Sehr hektisch fuhren sie dem Zug hinterher und stellten sich schützend vors Revier. Trotz des massiven Polizeiaufgebots zog die Demonstration bis zur Lautenschlagerstraße weiter. Dort wurde sie dann mit einer kurzen Abschlusskundgebung und dem Dank der VeranstalterInnen für die rege Teilnahme beendet.
Nach der Demonstration gab es zwei Festnahmen. Gründe sind der Redaktion nicht bekannt. In der Pressemitteilung der Polizei ist von Platzverweisen die Rede.
Der Bündnissprecher Marius Brenner zog ein positives Resümee. Die Demonstration habe ein starkes Zeichen für konsequenten Antifaschismus gesetzt. Man lasse sich nicht einschüchtern von Repression, sondern zeige sich solidarisch mit von Repression Betroffenen. Er wies auch auf den anstehenden Prozess gegen „Jo und Dy“ hin, der am 19. April im Hochsicherheitstrakt der JVA Stammheim beginnt.
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