Von Sahra Barkini und Alfred Denzinger – Stuttgart/Welzheim. Das faschistische Hitler-Regime ging am 9. November 1938 zum offenen Terror gegen JüdInnen über. Um daran zu erinnern und zu mahnen, veranstaltete ein breites Bündnis in Cannstatt zum Jahrestag eine Gedenkkundgebung mit Kranzniederlegung am neu gestalteten Platz der ehemaligen Synagoge in der König-Karl-Straße. Auch in Welzheim wurde der Pogromnacht gedacht.
„Es ist geschehen, und folglich kann es wieder geschehen: Darin liegt der Kern dessen, was wir zu sagen haben.“ Dieses Zitat stammt von Primo Levi und macht deutlich, warum ein Gedenken zugleich ein Mahnen ist. Es soll verhindert werden, dass ein vergleichbares Regime wieder an die Macht kommt. Was geschieht, wenn Rechtspopulisten, wie sie oft verharmlosend genannt werden, die Regierung übernehmen, sah man bei Donald Trump, Jair Bolsonaro und wird man in Italien sehen. Dort stellt die Neofaschistin Giorgia Meloni seit kurzem die Regierung.
Der Tag der Pogromnacht muss Anlass und Auftrag sein, sich der historischen Verantwortung bewusst zu werden, betonten die RednerInnen der Veranstaltungen. Das Gedenken konzentriere sich auf den 9. November, aber antifaschistisch Handeln müsse man an 365 Tagen. Dessen waren sich die etwa 300 Menschen, die an dem regnerischen Novemberabend auf dem Marktplatz in Cannstatt standen, bewusst. Eingeladen hatte die „Initiative zum Gedenken an die Opfer der Pogromnacht in Cannstatt“.
Heinz Hummler, Zeitzeuge und Mitglied in der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der AntifaschistInnen (VVN-BdA), hielt eine Rede. Der inzwischen 90-Jährige erlebte als Kind und Jugendlicher den Faschismus. Sein Vater Anton Hummler wurde im September 1944 als Widerstandskämpfer hingerichtet. Dessen Vergehen bestand unter anderem darin, einem jüdischen Zahnarzt zur Flucht verhelfen zu wollen.
Ein weiterer Redner war der evangelische Pfarrer i. R. Günther Baltz. Er sprach über die Nazi Vergangenheit seiner Familie und appellierte daran wachsam zu bleiben. Ein Vertreter der ver.di Jugend Stuttgart betonte, wie wichtig Gewerkschaften und Jugend auch und gerade im Kampf gegen die wiederaufkeimenden rechten Kräfte seien.
Eine Vertreterin des AABS (Antifaschistisches Aktionsbündnis Stuttgart und Region) sprach darüber, dass aktuell die Rechten in der Umgebung – anders als im Osten Deutschlands – nicht laut und sichtbar seien. Aber alle, sei es im Familienkreis, in der Schule und im Beruf, sollten klar Stellung gegen Rechts beziehen. Die Aufgabe von AntifaschistInnen sei es, den Rechten Straßen und Plätze streitig zu machen, betonte die Rednerin. Von Rechten könne und werde es keine Krisenlösungen geben.
Für alle RednerInnen gilt der Schwur von Buchenwald noch heute: „Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel.“ Im Anschluss an die Kundgebung formierte sich ein Trauerzug zum Platz der ehemaligen Synagoge in der König-Karl-Straße. Nach einer Schweigeminute wurden ein Kranz und rote Nelken am Gedenkstein niedergelegt. Die musikalische Umrahmung der Kundgebung auf dem Marktplatz gestaltete der Freie Chor Stuttgart mit antifaschistischen Liedern.
Gedenken auch in Welzheim
In Welzheim veranstaltete das Offene Antifaschistische Treffen Rems-Murr (OAT R-M) zum fünften Mal in Folge eine Gedenkkundgebung vor dem ehemaligen KZ Welzheim. Trotz starkem Regen beteiligten sich 60 Personen an der Versammlung.
Die erste Rede wurde von Reinhard Neudorfer von der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der AntifaschistInnen (VVN-BdA) gehalten. Neudorfer betonte in seiner Rede die Notwendigkeit antifaschistischer Organisierung.
- Siggi Hubele
- Reinhard Neudorfer
Der zweite Redebeitrag hielt Siggi Hubele von der KZ Gedenkstätte Schwäbisch Hall – Hessental. Hubele lieferte einen historischen Einblick, welchem unter Bezugnahme auf die heutige Situation der Aufruf folgte, sich zu engagieren und aktiv zu werden.
Eine weitere Rede wurde von der Antifaschistischen Aktion Rems-Murr gehalten, in der die Bedeutung des 9. Novembers als einschneidendes Ereignis in der Politik der deutschen Faschisten herausgestellt und auf die spezielle Funktion von Antisemitismus – vor allem in Krisenzeiten – eingegangen wurde. Das OAT hat in der Moderation auf die faschistische Kontinuität nach dem zweiten Weltkrieg aufmerksam gemacht und die nötige Vielfältigkeit von Antifaschismus betont.
Die Kundgebung in Welzheim wurde musikalisch mit einer Gitarre durch einen antifaschistischen Kollegen begleitet.
Nach den Redebeiträgen formierten sich die TeilnehmerInnen zu einer Spontandemonstration zur Friedhofsgedenkstätte, an der mit Blumen und einer Kerzenniederlegung der Opfer gedacht wurde. Mit Kerzen und einer Schweigeminute fand das Gedenken einen würdevollen Abschluss.
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