Von Franziska Stier – Basel. Der 25. November ist der internationale Tag gegen Gewalt an Frauen und Mädchen. Auch in Basel mobilisierten feministische Gruppen zu einer Demonstration, um auf sexualisierte Gewalt und Feminizide aufmerksam zu machen. Etwa 300 Menschen versammelten sich am Theaterplatz. Kurz bevor die Demonstration loslaufen wollte, intervenierte die Kantonspolizei mit einer Durchsage und informierte darüber, dass die Demonstration unbewilligt sei.
Sie forderte die Teilnehmenden auf, eine Kontaktperson zu stellen, und riegelte den Weg Richtung Innenstadt mit der Begründung des hohen Personenaufkommens durch den Weihnachtsmarkt, ab.
Der Versuch der Demonstrationsteilnehmenden, über die Innenstadt zu laufen, wurde mit Pfefferspray beantwortet. Die Polizei ließ damit keinen Zweifel aufkommen, dass sie die harte Linie der zuständigen Polizeidirektorin Stephanie Eymann, keine unbewilligten Demonstrationen mehr zuzulassen, durchsetzen wird. Die Demonstration bewegte sich schließlich via Bankverein an der Elisabethenkirche vorbei Richtung Bahnhof SBB und wurde auf Höhe des Gewerbeverbands erneut gestoppt. Schließlich kehrte der Demonstrationszug um, über die Wettsteinbrücke ins Kleinbasel, wo er vor der Adventsgasse erneut blockiert wurde.
Die Stimmung vor dem Hirscheneck war zu diesem Zeitpunkt recht ausgelassen. Eine der hier gehaltenen Reden thematisierte internationale Kämpfe um die Körper von Frauen und queeren Menschen. Anschließend wurde Halay getanzt. Doch während der Abschlussrede kippte die Stimmung vollends. Einige Zeit nachdem ein Graffito gesprayt worden war, löste die Polizei die Demonstration gewaltsam mit Gummigeschossen, Pfefferspray und Tränengas auf.
Der Mediensprecher der Kantonspolizei Brucker erklärt gegenüber „20Minuten“: „Wir haben den Einsatz von Mitteln angekündigt, sollten die Anweisungen weiter ignoriert werden. Von unserer Seite war das Vorgehen völlig verhältnismäßig und legitim.“ In der Folge der Mitteleinsätze mussten der Kantonspolizei zufolge zwei Personen medizinische Hilfe in Anspruch nehmen.
Der Einsatz von Gummigeschossen führte bei vielen Teilnehmenden zu Prellungen – auch im Kopfbereich. Das verwundert wenig, denn wie die unabhängigen ÄrztInnen bereits 2002 feststellten, besteht eine statistische Wahrscheinlichkeit von 35 Prozent, bei einer Schussdistanz von 20 Metern das Gesicht, den Hals oder den Nacken zu treffen. Insofern gibt es beim Einsatz solcher Distanzwaffen immer das Risiko schwerer Augenverletzungen und der Gefährdung von Menschenleben.
Zudem seien auf dem Heimweg drei Frauen „zur Anhaltung auf die Polizeiwache“ mitgenommen worden, teilt die Kantonspolizei mit. Eine von ihnen „wurde wegen Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte im Auftrag der Staatsanwaltschaft festgenommen“, heißt es in der Medienmitteilung der Polizei weiter. In einer kurzen Mitteilung erklären die Frauenorganisationen Zora und SKB, der die Betroffenen angehören, die Frauen seien unter Anwendung von Gewalt festgenommen und auf der Polizeiwache einer Behandlung unterzogen worden, die sie als „nackte Untersuchungsfolter“ empfanden. Am Samstagnachmittag kam auch die dritte Person frei.
Der feministische Streik Basel solidarisierte sich mit den von Polizeigewalt Betroffenen und kritisierte Stephanie Eymann für ihre Demopolitik scharf. „Sie lässt ihr Versprechen, Demonstrationen einzugrenzen, mit der Zerstörung unserer Körper durchsetzen“, schreibt das Kollektiv auf Instagram und Facebook.
Kommentar: Das Justiz- und Sicherheitsdepartement sabotiert sich selbst
Am Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen und Mädchen hat die Kantonspolizei gezeigt, dass sie durchsetzt, was sie ankündigt. Die Durchsetzung der Demo-Ordnung und des von Stephanie Eymann gewünschten Verhaltenskodex wird unter Einsatz von Zwangsmitteln sozusagen „erkämpft“. Die Interessen des politisch rechts stehenden Gewerbeverbands, der immer wieder über zu viele Demonstrationen klagt, wird mit Gummischrot und dem Risiko schwerer Verletzungen durchgesetzt.
Ein Graffito und der entschlossene Wunsch einer feministischen Demonstration, gesehen zu werden, halten her, um einen massiven Gummigeschoss- und Tränengaseinsatz zu rechtfertigen. Schließlich habe man die Mitteleinsätze angekündigt und konnte am Ende eine „Vermischung mit dem Publikum des Weihnachtsmarktes“ verhindern, heißt es von Seiten der Kantonspolizei gegenüber „20Minuten“ und in der Medienmitteilung.
Ob eine Sprayerei oder eine Vermischung dieser Demonstration mit Weihnachtsmarktbesuchenden genug Anlass geben, derartige Behördengewalt anzuwenden, ist bezweifelbar. Doch vielleicht ist der besinnliche Weihnachtsglühwein doch zu wichtig, als dass Weihnachtsmarktbesuchende mit entschlossenen Frauen und genderqueeren Menschen konfrontiert werden dürften, die zudem noch das Thema geschlechtsspezifischer Gewalt auf die Straße tragen.
Die amtierende Polizeidirektorin erklärte im September 2021 gegenüber der Basellandschaftlichen Zeitung: „Ich will zurück zu dem Zustand, als man die Polizei nicht als Feind sah.“ Doch mit Ereignissen wie am 25. November passiert genau das Gegenteil. Dass es auch in feministischen Bewegungen ein großes Misstrauen gegenüber der Zusammenarbeit mit der Kantonspolizei gibt, hat Vorgeschichten. Eine betrifft die (unbewilligte) Demonstration am Frauenstreiktag 2020, bei der rund 280 Menschen auf der Johanniterbrücke über mehrere Stunden in einem Polizeikessel gefangen waren. Viele der Teilnehmenden berichteten im Anschluss über erlebten Sexismus und Gewalt.
Der 25. November thematisiert zudem nicht nur die patriarchale Gewalt heterosexueller Beziehungen, die hinter verschlossenen Türen stattfindet. Wer die Gewalt gegen Frauen und genderqueere Menschen wirklich beenden will, muss auch die gesellschaftlichen Strukturen, die diese Gewalt miterzeugen, thematisieren. Dazu gehört die gesellschaftliche Abwertung von Arbeit, die Frauen- und nonbinäre Körper leisten – aufzuzählen wären beispielsweise Sorgearbeit oder Lohnungleichheit, die schließlich zu Armut führen. Frauen sind überproportional von Armut betroffen. Auch das ist systemische patriarchale Gewalt. Diese Form der Gewalt wird vom bürgerlich-kapitalistischen Staat mit produziert. Es besteht somit wenig Anlass zur Hoffnung, dass genau dieser Staat die systemische geschlechtsspezifische Gewalt beenden wird.
Ein weiteres Problem ist, dass People of colour im Alltag von Racial profiling und Rassismus durch die Polizei betroffen sind. Wer bereits Gewalterfahrung mit der Polizei gemacht hat, wird sich nur schwer an diese Institution wenden, wenn von anderer Seite Gewalt droht.
All diese sehr konkreten Gewalterfahrungen lassen sich nicht mit einseitigen Dialogaufforderungen wegwischen. Die Kommunikation und die brutalen Mitteleinsätze führen im Gegenteil dazu, dass sich genderqueere Menschen und Frauen, die patriarchale Gewalt erleben, nicht an Institutionen wenden, von denen ebenfalls Gewalt gegen sie ausgeht. Erlebnisse wie vergangenen Freitag kollektivieren genau diese Gewalterfahrung.
Dann hilft es auch nicht, am internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen die Social Media Kampagne „Halt Gewalt“ durchzuführen, ein gutes Interventionsteam für häusliche Gewalt zu haben oder ein Dialogteam aufzubauen, das nur mühsam die Scherben all dieser Erfahrungen auflesen kann.
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