Stuttgart. Die Hausbesetzung in der Wilhelm-Raabe-Straße 4 im Stuttgarter Süden liegt zweieinhalb Jahre zurück (wir berichteten). Die Kriminalisierung geht immer noch weiter. Nach mehreren Prozessen sind nun auch die Stadträte Thomas Adler, Hannes Rockenbauch und Luigi Pantisano angeklagt. Der Vorwurf? Ihre Solidarität mit den zwei Familien, die aus einer Notlage heraus die zwei Wohnungen in der Wilhelm-Raabe-Straße besetzt hatten. Die Stadträte hatten sich kurz nach der Besetzung vor Ort ein Bild von der Situation gemacht und die zwei Familien kennengelernt. In einer der besetzten Wohnungen wurde ein „Rockpolitik-Video“ aufgenommen, ein Live Videoformat von Hannes Rockenbauch und Luigi Pantisano. Laut Staatsanwaltschaft sollen sie damit Hausfriedensbruch begangen haben. Das Aktionsbündnis Recht auf Wohnen ruft zur Kundgebung und Prozessbeobachtung am Freitag, 30. Oktober, auf.
„Wir haben einen massiven Mangel an bezahlbaren Wohnraum. Wer in so einer Situation Wohnungen unbegründet leerstehen lässt, handelt gegen das Gemeinwohl“, so Thomas Adler, wohnungspolitischer Sprecher und Fraktionsvorsitzender der „FrAKTION LINKE SÖS Piraten und Tierschutz“. Hannes Rockenbauch, ebenfalls Fraktionsvorsitzender ergänzt: „Die Hausbesetzung war eine Reaktion auf die Untätigkeit der Stadtspitze und Mehrheit im Gemeinderat“. „Nicht diejenigen, die auf den Skandal von tausenden leerstehenden Wohnungen aufmerksam machen gehören angeklagt, sondern diejenigen, die Wohnungen leerstehen und verfallen lassen“, so Stadtrat Luigi Pantisano.
- Luigi Pantisano
- Tom Adler (links) und Hannes Rockenbauch
Wie kam es zur Hausbesetzung?
Das Gebäude in der Raabe-Straße hat fünf Wohneinheiten. Zum Zeitpunkt der Hausbesetzung standen zwei Wohnungen leer, die drei anderen waren von Familien in regulären Mietverhältnissen bewohnt. Im Anschluss an eine Kundgebung vom Aktionsbündnis Recht auf Wohnen am 28. April 2018 auf dem Erwin-Schoettle-Platz zogen hunderte Menschen zu dem Haus – zwei Familien beschlossen zu bleiben (siehe „Sie kamen, um zu bleiben„). Die Alleinerziehende Rosevita mit Sohn zog in eine der leerstehenden Wohnungen. Die junge Familie Adriana mit Partner und Kind zogen in die andere leerstehende Wohnung des Gebäudes. Rosevita hatte ihre alte Wohnung wegen Eigenbedarfs verloren und lebte vor der Besetzung mit Sohn in einem kleinen Zimmer bei ihrer Schwester. Adriana mit Partner und Kind lebten in einer viel zu kleinen Wohnung und hatten zuvor trotz langer und intensiver Suche keine größere Wohnung finden können.
Die Besetzung erfuhr viel Zuspruch in der Stadt. Die Besetzerinnen und Besetzer forderten Mietverträge zu sozialen Konditionen, worauf sich die Eigentümerfamilie Passy nicht einließ. Stattdessen erfolgte genau einen Monat nach der Besetzung die Zwangsräumung mit einem Großaufgebot der Polizei. Noch am selben Abend demonstrierten aus Protest 600 Menschen gegen die Zwangsräumung in Heslach (siehe „Protest gegen Leerstand geht weiter„).
Bündnis:
Wohnungen in der Wilhelm-Raabe-Straße 4 stehen immer noch leer – Die Entmietung läuft weiter
Mittlerweile ist das Haus nach Räumungsklagen bis auf eine Familie vollständig entmietet. Vier von fünf Wohnungen stehen also leer. Die letzte verbleibende Familie ist ebenfalls mit einer Räumungsklage konfrontiert. Monatelang patrouillierte ein privater Sicherheitsdienst mindestens einmal täglich im Gebäude. An der Hausfassade wurde eine Kamera montiert. Ein Durchgang vom Hinterhof zum Nachbarhof wurde zuerst mit einem Bretterverschlag verbarrikadiert, mittlerweile trennt eine Steinmauer die Höfe. Die Zugänge zu den anderen Wohnungen wurden mit Holzplatten verschraubt. Der Dachboden – auf dem persönliche Gegenstände der MieterInnen lagerten – wurde kurzerhand zugeschraubt und die Müllcontainer verschlossen.
- Hinterhof – Fotos: Aktionsbündnis Recht auf Wohnen
- Ehemals besetzte Wohnung
Nach Ansicht de des Aktionsbündnisses Recht auf Wohnen betreibt die Eigentümerfamilie seit zwei Jahren eine Einschüchterungs- und Entmietungsstrategie. Die damals besetzten Wohnungen stünden heute – zweieinhalb Jahre nach der Hausbesetzung – immer noch leer.
„Offensichtlich steht am kommenden Freitag die Solidarität mit Wohnungssuchenden vor Gericht, während über 1000 Wohnungen in Stuttgart leer stehen,“ sagt Thomas Adler.
Nach Mitteilung des Aktionsbündnisses soll die Stadtverwaltung seit der Einführung der Satzung gegen Zweckentfremdung von Wohnraum 2016 nur 2400 Euro an Bußgeldern verhängt haben. Zu 2200 Euro seien alleine die zwei Familien der Hausbesetzung in der Wilhelm-Raabe-Straße 4 verurteilt worden.
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Verhandlung am Freitag, 30. Oktober,
vor dem Amtsgericht Stuttgart,
Hauffstr. 5 (Haltestelle Neckartor):
8.30 Uhr Kundgebung,
9 Uhr Prozessbeginn
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