Kommentar von Sahra Barkini – Stuttgart. Am Ostersamstag riefen mehrere Querdenkergruppen und sonstige Corona-Leugner nach Stuttgart. Es sollte ein großes Fest werden, denn immerhin befinden sich die Querdenker ja nun bereits ein Jahr im Widerstand, zumindest ihrer Auffassung nach. Auf diversen Telegramkanälen war schon vorab zu lesen, dass sie sich an keine Auflagen halten werden. So sahen sie natürlich das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes als unzumutbar an. Auch war klar, dass sie eine Absage oder ein Verbot der Demonstration und Kundgebungen nicht akzeptieren werden.
„Wir machen was wir wollen“ war der Tenor. War dann am Samstag auch so. Sie machten, was sie wollten. Sie nutzten die Öffentlichen Verkehrsmittel ohne die dort vorgeschriebenen FFP2- oder OP-Masken. Weder Security noch die SSB schienen ein Interesse dran zu haben, die Maskenpflicht in Bus und Bahn durchzusetzen. Über die Bandansagen, die zum Maskentragen aufforderten, machten sie sich lustig, denn sie trugen ja gelbe Maskenbefreit-Armbinden oder gelbe Maskenbefreit-Buttons. Und sie sind ja nicht obrigkeitshörig (O-Ton einer Maskenverweigerin).
Am Ausgangspunkt der Coronaleugner-Demonstration war schon im Vorfeld nichts von Masken oder Abstand zu sehen. Dicht gedrängt standen die TeilnehmerInnen am Marienplatz. Und trotzdem durften sie ihren Demozug starten. Obwohl klar war, die Auflagen werden nicht eingehalten. Jede linke Demonstration wäre sofort angehalten worden. Da reichen der Polizei ja oft verknotete Seitentransparente oder ein zu dicker Stab einer Fahne, um Demonstrationen nicht laufen zu lassen.
Gegendemonstration eingekesselt
Der Gegenprotest, eine Blockade mit Fahrrädern und eine weitere zu Fuß, wurde dann erwartungsgemäß ziemlich schnell eingekesselt. Die Gekesselten mussten bis zu drei Stunden im Kessel bleiben, danach wurden alle Personen einer ED-Behandlung (Erkennungsdienstliche Behandlung) unterzogen und erhielten einen Platzverweis für die gesamte Stuttgarter Innenstadt bis zum Wasen und zwar bis Ostersonntag um 6 Uhr früh.
Währenddessen liefen QuerdenkerInnen, AntisemitInnen, EsoterikerInnen, Nazis und andere durch Stuttgarts Straßen. Ihr Treiben glich einem Faschingsumzug oder einer Art „Love Parade“, wobei „Hate Parade“ wohl treffender wäre. Denn aus dem Demonstrationszug wurden immer wieder PassantInnen beleidigt, nur weil sie Masken trugen. Oft bedrängten TeilnehmerInnen dieser Demonstration auch an der Straße Stehende. Und brüllten sie durch ihr Megafon an.
Gegen PassantInnen, aber vor allem gegenüber JournalistInnen gab es vermehrt Drohungen. Jörg Reichel von der dju (Deutsche Journalistinnen und Journalisten Union) spricht von 18 Übergriffen, rechnet aber mit weiteren, die bisher noch nicht gemeldet wurden. Ein Fernsehteam der ARD-Tagesschau wurde während einer Liveübertragung mit Steinen beworfen und musste abbrechen, ein Journalist der Waiblinger Kreiszeitung wurde bedroht, und einem weiteren wurde ins Gesicht geschlagen. Die Polizei fühlte sich kaum zuständig. Sie begleitete den Zug nicht mal. Die Beamten mussten ja die GegendemonstrantInnen in Schach halten, schließlich begingen sie eine „gefährliche Störung“, wie einer Lautsprecher-Durchsage zu entnehmen war. Der Stuttgarter Ordungsbürgermeister Dr. Clemens Maier machte sich dann auch noch ein Bild der Arbeit der Polizei und inspizierte die Lage an einem der Kessel.
Auflagenverstöße mit Ankündigung
Vor knapp drei Wochen, am 20. März, glich die Stuttgarter Innenstadt noch einer Polizeifestung. An diesem Tag gab es eine antifaschistische Demonstration, und zwar, wie später auch die Stadt bestätigte, unter Einhaltung der Hygieneregeln. Dennoch waren überall Polizeikräfte zu sehn. Auch hier machte sich im Vergleich zur Coronaleugner-Demo wieder sehr deutlich bemerkbar wo in diesem Land der Feind steht: nämlich links. Querdenker, die gemeinsam mit AntisemitInnen und Neonazis demonstrieren, scheinen kein Problem darzustellen. Dass haufenweise Auflagen missachtet wurden und dies bereits im Vorfeld angekündigt wurde – geschenkt. In einer Pressemitteilung der Demosanitäter Südwest ist zu lesen: „Trotz der inzwischen durch Studien belegten Gesundheitsgefahr durch solche Aufzüge schritt die Polizei kaum ein und begründete dies mit einem angeblich dadurch entstehenden Infektionsrisiko durch Aerosole. Aus den Erfahrungen von nunmehr einem Jahr waren massive Verstöße gegen Infektionsschutzregeln bereits im Vorfeld absehbar. Trotzdem entschloss sich die Stadt Stuttgart nicht dazu, ein Verbot dieser Versammlungen auszusprechen.“
Und der Querdenken711 Gründer Michael Ballweg wird nicht müde, immer wieder zu betonen, es gäbe keine Neonazis, Rassisten und Rechtsextreme bei seinen Demonstrationen. Dennoch gab er dem vom Verfassungsschutz beobachteten Compact Magazin im Vorfeld ein Interview. Die rechtsextreme Szene, unter anderem NPD und Identitäre Bewegung, mobilisierte fleißig für Karsamstag nach Stuttgart und war auch im Demonstrationszug präsent. Der ehemalige Pressesprecher von Querdenken711 und vermeintliche Reichsbürger Stephan Bergmann war ebenso anwesend wie Heinrich Fiechtner (Ex-AfD), der sich auch im vertrauten Gespräch mit Ballweg befand. Auch jede Menge JournalistInnen vom rechten Rand waren nach Stuttgart geeilt, um an diesem Happening teilzunehmen – unter anderem Boris Reitschuster, Martin Lejeune und Stefan Bauer.
Fiechtner beleidigt Landtagsdirektor
Auch der Pressesprecher der Stuttgarter Polizei gab dem Compact Magazin ein Interview. Der Pressemitteilung seiner Behörde ist zu entnehmen, dass eine Gruppe von etwa 20 Personen aus dem „Rockermilieu“ kontrolliert wurde. Ihre Mitglieder hatten Quarzhandschuhe, Sturmhauben und pyrotechnische Gegenstände bei sich. Hat man ja dabei, wenn man ganz friedlich und voller Liebe demonstrieren will. Und statt Herzchen für die Querdenker wie in Kassel hat die Polizei in Stuttgart geduldet, dass ein Plakat mit dem Konterfei von Olaf Scholz in Sträflingskleidung an einen Streifenwagen befestigt wurde.
Am Wasen bei der Abschlusskundgebung sah man dann Heinrich Fiechtner im vertrauten Plausch mit zwei Polizisten. Fiechtner beleidigte den Landtagsdirektor von Baden-Württemberg Berthold Frieß als „antidemokratische Ratte“. Darüber lachten die Beamten herzlich, so wie mehrmals im Gespräch zuvor. Dann tauschte man sich über die Osterpläne aus und wünschte sich zum Abschied frohe Ostern. Wie unter guten Freunden. Frieß erwägt nun dem SWR zufolge gegen Fiechtner eine Anzeige wegen Beleidigung.
Außerdem kursiert ein Video, das einen Demonstrationsteilnehmer beim freundschaftlichen Handschlag mit einem Polizisten zeigt. Darauf reagierte die Stuttgarter Polizei auf Twitter und merkte an, dass der Demonstrationsteilnehmer die Hand des Polizisten ergriff. Wie auch immer: Die Atmosphäre zwischen CoronaleugnerInnen und PolizistInnen schien sehr entspannt trotz zahlreicher Auflagenverstöße. So durfte eigentlich kein Traktor mitfahren, fuhr aber trotzdem im Aufzug. In der Pressemitteilung spricht die Polizei dann auch sehr verharmlosend von Pandemie-Kritikern. Sie sieht es aber bestimmt als tolle Leistung an 266 Platzverweise gegen AntifaschistInnen ausgestellt zu haben.
Stadt der Superspreader-Party
Ich finde es sehr bedenklich, dass die Auflagen für Versammlungen einfach allesamt missachtet werden und die Polizei lässt die DemonstrationsteilnehmerInnen gewähren. Konsequentes Einschreiten von Ordnungsbehörden oder der Polizei gab es nicht. Da kontrollieren die BeamtInnen lieber abends ein paar Jugendliche auf dem Schlossplatz. Argumentiert wird wieder mit Verhältnismäßigkeit. Doch offenbar war es verhältnismäßig, AntifaschistInnen einzukesseln. Nunja, einen Kessel mit Menschen aufzulösen, die FFP2 oder OP-Masken tragen, ist eben auch ungefährlicher, als sich gegen eine maskenlose Meute zu stellen.
Nach Kassel und Stuttgart können sich Covidioten wohl sicher fühlen, dass ihnen nichts passiert. Es heißt nur wieder „das konnte keiner vorhersehen“. Doch, das konnte man, es war angekündigt. Aber Stadt und Polizei wollten wohl nicht hinschauen. Und nun schieben sie sich die Schuld gegenseitig zu.
Für Oberbürgermeister Dr. Frank Nopper scheint es zu genügen, wenn die nächsten Demonstrationen einfach jemand anderes anmeldet. Immerhin hat er schon eins seiner Wahlkampfversprechen verwirklicht: Stuttgart wird momentan nicht mehr mit der „Krawallnacht“ in Verbindung gebracht, sondern ist nun die Stadt der „Superspreader Corona Party“. Chapeau und Applaus für das Versagen auf ganzer Linie und danke an die GegendemonstrantInnen, die sich der Horde von Rechtsextremen und Corona-Leugnern entgegen gestellt haben.
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