Von Sahra Barkini – Stuttgart. Die rassistischen Morde von Hanau jährten sich am 19. Februar bereits zum dritten Mal. Um der Opfer zu gedenken, an sie zu erinnern und zu mahnen gab es in Stuttgart zwei Kundgebungen und eine Demonstration. Überschattet wurde das Gedenken von einem riesigen Polizeiaufgebot, das bereits während der ersten Kundgebung überall in der Innenstadt präsent war. Die anschließende Demonstration wurde von BeamtInnen der BFE (Beweissicherung- und Festnahmeeinheit), Motorrad- und Reiterstaffel begleitet. Die BFE-Beamten führten Teleobjektive mit sich. Wahrscheinlich wurde der Demozug von Anfang bis Ende gefilmt.
Ankommende KundgebungsteilnehmerInnen wurden im Vorfeld Kontrollen unterzogen, Fahnenstangen und Schilder aufs penibelste vermessen. Einige Transparente durften nicht entrollt werden. Im Versammlungsbescheid der Stadt Stuttgart sind neuerdings nur noch Transparente mit 1,50 Meter Länge zulässig. Dies wird regelmäßig von Gerichten für unzulässig erklärt. Aber da Versammlungsbescheide so spät zugestellt werden, ist ein Einspruch den Veranstaltern zufolge nicht möglich.
Polizeieinheiten verhinderten, dass auf der Paulinenbrücke ein Banner entrollt wurde. Das Transparent mit einem Zitat des Vaters von Mercedes Kierpacz wurde beschlagnahmt, und die AktivistInnen erhielten einen Platzverweis. Zum Abschluss der Kundgebung auf dem Marienplatz untersagten BeamtInnen das Abspielen von Musik und drohten mit Beschlagnahme der Technik. Außerdem gab es noch Personenkontrollen wegen einer Aktion mit Sprühkreide.
„Tot sind wir erst, wenn man uns vergisst.“ Das sind Worte, die Ferhat Unvar 2015 auf seiner Facebookseite gepostet hatte. Er und Gökhan Gültekin, Sedat Gürbüz, Said Nesar Hashemi, Mercedes Kierpacz, Hamza Kurtovic, Vili Viorel Paun, Fatih Saraçoglu, Kaloyan Velkov wurden vor drei Jahren ermordet. Die Initiative 19. Februar sorgt dafür, dass diese Namen nicht vergessen werden. Sie fordert Aufklärung und Gerechtigkeit. Hanau ist überall, weil Rassismus leider noch immer allgegenwärtig ist – so ihre Parole.
Kontinuität des rechten Terrors
An den beiden Kundgebungen und der Demonstration in Stuttgart nahmen insgesamt circa 700 Leute teil. In Schweigeminuten wurde der Opfer gedacht und Aufklärung gefordert. Die erste Kundgebung des Tages wurde veranstaltet von didf, der DIDF-Jugend, Gewerkschaftsjugenden und Parteijugendorganisationen sowie der VVN-BdA. Die Musiker Alexander Bokolishvili und Mazen Mohsen schufen einen stimmigen und würdevollen Rahmen. In den Redebeiträgen wurde immer wieder der Opfer gedacht und an das Leid erinnert, das Angehörige und FreundInnen aushalten müssen.
Die Rednerinnen und Redner betonten, dass die Angehörigen mit ihren Initiativen auf die Versäumnisse der Ermittlungsbehörden und Polizei hinwiesen. Sie seien es, die nicht müde würden, Aufklärung und eine Veränderung in den Sicherheitsbehörden zu verlangen. Hanau müsse eine Zäsur darstellen. Zivilgesellschaftliches Engagement versuche, das Versagen des Staates auszugleichen. Während PolitikerInnen oftmals höchstens am Jahrestag der Morde von Hanau mit Lippenbekenntnissen von sich Reden machten, schlügen sie den restlichen Teil des Jahres oftmals selbst rassistische Töne an. Das habe die Berliner Silvesterdiskussion gezeigt.
Auch wurden die Kontinuität rechtsterroristischer Anschläge sowie die Verstrickungen der Polizeibehörden und des Verfassungsschutzes in die rechte Szene angeprangert. Der Journalist Joe Bauer betonte in seiner Rede, man müsse die Gemeinsamkeit aller AntifaschistInnen im Auge behalten. „Wir müssen auch hin und wieder über unseren Schatten springen, denn nur wenn sich unterschiedliche, fortschrittliche Initiativen, linke Aktionsbündnisse und Organisationen zusammen tun, sind wir stark. Vielfalt bedeutet auch, Zäune und Mauern im Kopf abzubauen. Wir müssen bereit sein, im Unterschiedlichen das Gemeinsame zu erkennen. Das ist die Basis solidarischen Handelns.“
Polizei stoppt Demonstration
Er schloss seine Rede mit: „Kein Vergeben, kein Vergessen“. Dieser Satz war auch auf Schildern und Transparenten der zweiten Kundgebung präsent. Veranstaltet wurde sie und die anschließende Demonstration von „0711 united against racism“, dem Antifaschistischen Aktionsbündnis Stuttgart und Region (aabs), der Linksjugend Solid, dem OAT (Offenen Antifa Treffen) Rems-Murr, YDG Stuttgart (Yeni Demokratik Gençlik) und anderen.
Nach einer Auftaktkundgebung mit Grußworten von Angehörigen der Opfer und anderen Redebeiträgen formierte sich eine Demonstration Richtung Eberhardstraße, vorbei an der Ausländerbehörde. Dort gab es eine kurze Zwischenkundgebung. Weiter ging es über die Tübinger Straße in Richtung Marienplatz. Schon kurz nach Start der Demonstration wurde der Zug kurz vor dem Marktplatz aus unerfindlichen Gründen von der Polizei gestoppt. Ein weiteres Mal wurde er auf dem Weg zum Marienplatz angehalten. Dieses Mal war der Grund ein gezündeter Rauchtopf.
Mit lauten Parolen machten die DemonstrantInnen auf ihr Anliegen aufmerksam: „Halle, Hanau, rassistischer Mord – Widerstand an jedem Ort“, „Hanau war kein Einzelfall – Widerstand überall“, „Nazis morden, der Staat macht mit – der NSU war nicht zu dritt“ und auch „Wo, wo wart ihr in Hanau?“ schallte es durch die Straßen.
Viel zu früh für einen Schlussstrich
Manche PassantInnen befanden, es sei nun genug. Nach drei Jahren brauche es keinen solchen „Zirkus mehr“. Doch aus Sicht der Veranstalter braucht es genau diesen, solang in Deutschland der Rassismus bis in die angebliche Mitte der Gesellschaft reicht. Die Parole der DemonstrantInnen: „Wo, wo wart ihr in Hanau?“ könnte treffender nicht sein, wenn man das Stuttgarter Polizeiaufgebot betrachtet und gleichzeitig weiß, dass Notrufe in der Mordnacht nicht durchkamen und der erste Tatort nur einen Kilometer von der Polizeiwache entfernt lag.
In Stuttgart beschlagnahmte die Polizei dann zur „Gefahrenabwehr“ ein Transparent. Im weiteren Verlauf der Demonstration wurden in der Tübinger Straße Schilder mit der Aufschrift: „Erinnern heißt kämpfen“ in die Luft gehalten. Bei der Abschlusskundgebung auf dem Marienplatz wurden gemeinsam die Namen der Opfer genannt und neun schwarze Luftballons steigen gelassen. Danach folgte eine Schweigeminute. Es gab eine Kranzniederlegung, und es wurden Kerzen angezündet. Nach einer weiteren Rede wurde die Demonstration beendet.
An diesem Sonntag erinnerten deutschlandweit auf über 100 Kundgebungen die Menschen an die Ermordeten. Gemeinsam mit den Angehörigen sorgten sie dafür, dass deren Namen nicht vergessen werden. Wie in Stuttgart waren die DemonstrantInnen auch in anderen Städten mit einem riesen Aufgebot an Polizeikräften konfrontiert.
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