Von unseren ReporterInnen – Berlin. Es war auch für Berliner Maßstäbe eine beeindruckende Demonstration: An die 6000 Menschen zogen am Samstag, 3. September, durch die westlichen Teile der Stadt, um bunt, laut, gut gelaunt und kreativ gegen Rassismus und die AfD zu protestieren. Etwa 2500 von ihnen reihten sich in den „Grenzenlos“-Block von Blockupy ein, der sich als „feministisch, antikapitalistisch und solidarisch“ verstand. Vorherrschende Farben waren hier das Weiß von Einweg-Overalls und das Lila von Fahnen. Mehrfach wurden auf der Route bengalische Feuer gezündet und Rauchbomben in Gelb und Violett abgebrannt. Selbst das überzogene Polizeiaufgebot mit nach eigenen Angaben 1100 Beamten vermochte die Stimmung nicht zu trüben. Den Abschluss bildete ein Konzert.
Die Polizei begleitete die Demonstration mit starken Einsatzkräften: am Anfang und am Ende mit einem Fahrzeugcorso, dazu zum Teil mit Beamten im Spalier. Außerdem mischten sich Zivilpolizisten unter die Aktivisten, und die Polizei machte immer wieder Aufnahmen mit Videokameras.
Polizei durchsuchte selbst Geldbörsen
Schon vor Beginn der Kundgebung am frühen Nachmittag am Adenauerplatz in Charlottenburg unterzog die Polizei Anreisende gründlichen und meist schikanösen Taschen-, Rucksack-, Geldbeutel und sogar Fahnenkontrollen. „Wir sind einigermaßen irritiert über das Verhalten der Polizei, die hier massiv auftritt und Leute durchsucht“, eröffnete Thomas Eberhard-Köster von Attac für das Bündnis „Aufstehen gegen Rassismus“ die Auftaktkundgebung. Als vor kurzem die AfD mit bekannten Neonazis eine Kundgebung abhielt, habe es nichts dergleichen gegeben.
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Aus Sicht des Bündnisses der Veranstalter ist die AfD, die am Tag darauf in Mecklenburg-Vorpommern als zweitstärkste Kraft in den Landtag gewählt wurde, ein Sammelbecken für Rassisten und Neonazis. Sie bestehe nicht ausschließlich aus Faschisten und Rechtspopulisten, verkörpere aber eine Politik von Neid, Ausgrenzung und Zerstörung sozialer Errungenschaften. Sie sei ein Produkt neoliberaler Globalisierung und greife Unmut auf. Sie biete Sündenböcke und Scheinlösungen an. „Die AfD hat für Ausgegrenzte wahrlich nichts zu bieten“, stellte Eberhard-Köster klar – und sie interessiere sich auch nicht für sie.
Suche nach solidarischen Lösungen
Die Antwort müsse eine dreifache sein: in einem breiten Bündnis verhindern, dass sich die AfD als parlamentarischer Arm der neuen Rechten etabliert; mittelfristig solidarische Lösungen für soziale Probleme finden und langfristig zu einer Wirtschaftsweise kommen, für die Konkurrenz und Profit keine notwendigen Voraussetzungen sind. Nur so könne man Rassismus bekämpfen.
Co-Moderatorin der Auftaktkundgebung war Cornelia Kerth von der VVN-BdA. „Schluss mit diesen Polizeikontrollen, sie passen überhaupt nicht zu dieser Demonstration“, forderte auch sie. Es wurden „Mitmach-Tüten“ mit Infomaterial verteilt. Weitere RednerInnen waren Michelle Stark vom Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung und Hannah Eberle von Blockupy, deren Organisation die Proteste am Vortag geprägt hatte – unter anderem mit einer symbolischen Blockade des Arbeits- und Sozialministeriums (siehe „Auch Blockupy verurteilt den Erdogan-Deal„).
Blockupy : Gegen Konkurrenz und Ausbeutung
Die AfD sei ein Projekt, die Privilegien einiger weniger – meist weißer – Männer zu verteidigen. Die Rechte profitiere von einer Krise der Demokratie, erklärte Eberle. Oft seien jedoch die „Parteien der Mitte“ nicht so weit von der AfD entfernt, wie man glauben könnte. Um sie zu bekämpfen, müsse man gegen Unrecht wie die Agenda 2010 und die europaweite Austeritätspolitik vorgehen. Sie stürze ganze Länder in Armut. „Wir wollen keinen Neoliberalismus mit humanitärem Gesicht. Wir wollen eine solidarische Gesellschaft ohne Konkurrenz und Ausbeutung“, stellte Eberle klar.
Bevor die Demo loszog, schlossen sich noch ein rot-rot-grüner Parteientalk mit Susanne Kitschun (SPD), Elke Breitenbach (Linke) und Clara Herman (Grüne) vom Berliner Abgeordnetenhaus an. Es wird am 18. September neu gewählt. Auch hier stellt sich die Frage nach dem Abschneiden der AfD. Außerdem sprachen Diana Henniges von Moabit hilft! und Cornelia Kerth noch einmal für das veranstaltende Bündnis.
Rote Linie vor der AfD-Zentrale
Die Demonstration wurde vom veranstaltenden Block „Aufstehen gegen Rassismus“ ohne Parteiabzeichen angeführt. Weiter hinten im Zug waren auch Fahnen der SPD, der Grünen und vor allem der Piraten zu sehen. Zu den am häufigsten gerufenen Parolen gehörte „Say it loud, say it clear, Refugees are welcome here“, aber auch „Petry macht die Hetze, Merkel die Gesetze“. An der Veranstaltung beteiligten sich auch Politiker wie die Bundestags-Vizepräsidentin Petra Pau von der Linken, der Berliner Linken-Chef Klaus Lederer oder die Bundestagsabgeordneten Heike Hänsel und Christine Buchholz.
Die Route führte über den Kurfürstendamm, die Schlüterstraße, wo Pyrotechnik gezündet wurde, die Kantstraße, den Savignyplatz, die Knesebeckstraße, die Goethestraße, den Steinplatz mit seinem Gedenkstein für die Opfer des Nationalsozialismus, die Uhlandstraße, Kantstraße, Budapester Straße, Nürnberger Straße, Tauentzienstraße, den Wittenbergplatz, die Kleiststraße, an der Urania vorbei und durch die Schillstraße bis hin zum Lützowplatz. Auf der Rückseite der Bibliothek des Konservativismus in der Fasanenstraße waren leicht versteckt starke Polizeikräfte postiert, ebenso – weit demonstrativer – vor de AfD-Zentrale in der Schillstraße. Das Gebäude blieb unbehelligt, doch es wurde aus Kartonquadern eine symbolische „rote Linie“ aufgebaut.
Keine Toleranz für Intoleranz
Am Lützowplatz begrüßte schon von Weitem Musik des Rappers Elliver (Kater Blau) Filou mit dem Berlin Boom Orchestra die DemonstrantInnen in Sichtweite der CDU-Zentrale. Erster Redner war Heiko Glawe, Geschäftsführer der DGB-Region Berlin. Das Wahlrecht lasse befürchten, dass AfD-Vertreter in den Berliner Bezirken in wichtige Positionen gewählt werden. Schon jetzt sei die neoliberale Politik bei der öffentlichen Hand zu spüren. Das könnte sich durch die Freihandelsabkommen TTIP und CETA verstärken, rief Glawe zur Protestdemonstration am 17. September auf. Es komme nicht in Frage, dass auch die AfD mitlaufe: „Es ist eine Demo für internationale Solidarität, nicht für nationale Entwicklung.“
„Durch eine Sündenbock-Diskussion und das Schüren von Hass gegen Minderheiten wird kein einziger Arbeitsplatz gerettet“, stellte Aiman Mazyeck vom Zentralrat der Muslime klar. Er appellierte an die demokratischen Parteien, vor den Wahlen nicht den Kopf zu verlieren. Das Konzept, die AfD zu ignorieren oder zu kopieren, werde nicht aufgehen: „Die Leute wählen das Original, nicht die Kopie.“ Für Intoleranz dürfe es keine Toleranz geben: „Nein zu gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, nein zu Homophobie“, forderte Mazyeck: „Wir stehen hier, um unser Land wachzurütteln.
Rassismus ist kein Monopol der AfD
Nach Mazyecks mit viel Beifall bedachter Rede kritisierte der Rapper Filou, dem Zentralrat der Muslime gehörten auch Organisationen an, die den Grauen Wölfen nahestehen. Als nächster Redner betonte Christoph Kleine von „Welcome2stay“, dass Rassismus „leider kein Monopol der AfD“ sei. Als Beispiele führte er etwa die schäbige Behandlung de Roma oder die Gleichgültigkeit gegenüber dem Sterben im Mittelmeer an: „Die Südgrenze der EU ist die gefährlichste Grenze der Welt.“ Jeder müsse das Recht haben, zu gehen, zu kommen und zu bleiben, wo er möchte, forderte Kleine – ebenso gleiche Rechte für alle Menschen, die in Deutschland leben.
„Nein, wir haben kein Verständnis für Nationalismus“, stellte Michael Müller klar, der für die Naturfreunde sprach. Es sei verharmlosend, von Populisten zu sprechen: „Es geht nicht darum, dass sie dem Volk aufs Maul schauen – sie verführen das Volk“. Letzter Redner war Heiko Großer von „Berlin braucht uns“. Die AfD ernte jetzt, sagte er. Doch sie habe die Saat nicht in die Erde gebracht. Das hätten CDU, SPD und Grüne mit der Agenda 2010 und dem Afghanistankrieg. Nach Abschluss der Kundgebung unterhielt Tanga Elektra die Demo-TeilnehmerInnen noch mit Musik.
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