Von unseren ReporterInnen – Stuttgart. Nach Polizeiangaben waren es bis zu 75 AfD-Anhänger, die am Samstagnachmittag, 8. Dezember, auf dem Stuttgarter Kronprinzplatz versammelt waren. Dabei dürften Schaulustige und JournalistInnen mitgerechnet sein. Nach unserer Zählung verloren sich bei der mehrstündigen Kundgebung höchstens 50 Anhänger der völkisch-nationalen und neoliberalen Partei – darunter einige mit gelben Westen. Weit über 400, nach manchen Schätzungen bis zu 600 GegendemonstrantInnen protestierten an den Zugängen mit Parolen, Tröten und Trillerpfeifen gegen den rechten Aufmarsch.
Die Polizei setzte nach eigenen Angaben einmal Pfefferspray ein. Dabei seien vier Personen, darunter zwei Polizeibeamte, leicht verletzt worden. Eine Polizeibeamtin habe ein Knalltrauma durch einen Böller erlitten.
Die Polizei meldete, das Fahrzeug des Versammlungsleiters sei nach der rechten Kundgebung auf der Theodor-Heuss-Straße/Friedrichstraße von Protestierenden gestoppt und durch eine auf die Vorderseite geworfene Sitzbank beschädigt worden. Räpple erstattete nach eigenen Angaben Anzeige wegen versuchten Totschlags und sprach von einem „linksterroristischen Anschlag“. Die Polizei nahm einen Tatverdächtigen fest. Ein weiterer Tatverdächtiger sei wegen Beleidigung und Widerstand festgenommen worden.
Räpple stellte sich bei seiner Kundgebung gegenüber der Presse als Versammlungsleiter vor. Bei der Angabe, das Fahrzeug des Versammlungsleiters sei beschädigt worden, handelt es sich vermutlich um eine Falschbehauptung. Das besagte Fahrzeug ist wohl nicht Räpples Fahrzeug. Nach unseren Recherchen handelt es sich um einen Transporter, der bereits seit Jahren bei vielen Versammlungen von Neonazis als Lautsprecherwagen eingesetzt wurde. Das Fahrzeug wurde zum Zeitpunkt der Beschädigung und bei früheren rechtsradikalen Versammlungen von Alois Röbosch, alias Alois „von Schlesien“, ehemaliger Landesvorsitzender der Republikaner in Rheinland-Pfalz und Stadtrat in Speyer, gesteuert. Somit ist davon auszugehen, dass es sich um Röboschs Fahrzeug handelt, sofern es nicht kurzfristig den Eigentümer gewechselt hat.
Wasserwerfer zur Absicherung des AfD-Aufmarschs
Der Demo-Sanitätsdienst Südwest berichtet von drei während der Kundgebung versorgten PatientInnen – zweimal wegen Pfefferspray, einmal internistisch. Nach unseren Beobachtungen verhielten sich einige BeamtInnen unverhältnismäßig grob. So wurde ein Mann, der sich vor eine Polizei-Kamera gestellt hatte, von fünf oder sechs PolizistInnen zu Boden gebracht, mit Handschellen gefesselt und mit dem Gesicht auf den nassen Asphalt gedrückt. Auch ein Pressevertreter wurde angegangen.
Die Polizei schirmte die AfD-Kundgebung, von der so gut wie nichts nach außen drang, mit großem Aufwand ab. Zwei Wasserwerfer standen bereit, zwei Drohnen waren im Einsatz, dazu die Reiterstaffel und mehrere Hundert weitere Polizeibeamte mit Schlagstock und Pfefferspray. Busse der SSB warteten auf dem Kronprinzplatz darauf, die Versammlungsteilnehmer später abzutransportieren. Die Zugänge waren mit doppelten Reihen von Hamburger Gittern abgesperrt, um die herum die Polizei AfD-Anhänger zu ihrer Kundgebung schleuste.
Rechte Gruppierung „Kandel ist überall“ taucht in Stuttgart auf
Der Landtagsabgeordnete und AfD-Rechtsaußen Stefan Räpple hatte erst vier Tage zuvor zu dem Aufmarsch unter dem Motto „Migrationspakt stoppen – Gegen die Abschaffung Deutschlands“ am Rand des Stuttgarter Weihnachtsmarkts aufgerufen. Da das Bündnis Stuttgart gegen Rechts (SgR) und das Antifaschistische Aktionsbündnis Stuttgart und Region (AABS) Proteste ankündigten, wurde die zunächst geplante Demonstration schon vorab abgeblasen.
Dem AfD-Aufruf folgten auch Gleichgesinnte aus Karlsruhe und Kandel. Unter anderem sprach der Landtagsabgeordnete Wolfgang Gedeon, dessen antisemitische Schriften zeitweise zur Spaltung der AfD-Fraktion führten. Für die Organisation „Kandel ist überall“ sprach Linda Amon aus München.
Sie legte sich vor Kundgebungsbeginn mit Medienvertretern an und rief den Versammlungsleiter zu Hilfe, als einige von ihnen ihr keine ihren Vorstellungen entsprechenden Auskünfte gaben. Stefan Räpple wollte einem Fotografen der Beobachter News einen Platzverweis erteilen, merkte dann jedoch offenbar, dass er von einer öffentlichen Kundgebung keine Pressevertreter ausschließen kann, und verschwand (siehe Video unten).
Gegen Jusos und Migration
Räpples Ansprache offenbarte Erstaunliches. Er nannte eine Zahl von angeblich 200 Kundgebungsteilnehmern. Weiteren AfD-Anhängern sei es nicht gelungen, auf den Platz vorzudringen. „Es ist nicht leicht, heute Patriot zu sein“, klagte er. Dann legte er gegen die Jusos los, die angeblich beschlossen hätten, Abtreibungen noch im 9. Monat zuzulassen. Sie seien Terroristen und gehörten vom Verfassungsschutz beobachtet. Er wandte sich namentlich gegen Dominik Schmeiser, den Sprecher des Bündnisses Stuttgart gegen Rechts. Dagegen könnten die im Visier des Inlandsgeheimdienstes stehenden Jungen Alternativen, die Jugendorganisation der AfD, kein Wässerchen trüben.
Räpple warnte vor angeblich ungezügelter Einwanderung ungezählter MigrantInnen. Man wisse nicht, wie viele aktuell kämen, da die Grenzen offen seien. Die Einwanderer würden „unsere Kultur bestimmen“, raunte der Abgeordnete aus dem badischen Kehl düster – was immer er unter Kultur versteht.
In Frankreich droht sozialer Kahlschlag
Zunächst hatten sich etwa 300 GegendemonstrantInnen um die Mittagszeit auf dem Rotebühlplatz versammelt. In mehreren Reden wurden die Politik der AfD und die Rolle Stefan Räpples thematisiert, dem die Partei nicht rechts genug stehe. Es ging auch um die Bewegung der Gelbwesten in Frankreich. Sie richteten sich gegen die Politik Emmanuel Macrons, der einen „massiven sozialen Kahlschlag“ betreibe. Er schneide die Arbeitsgesetzgebung auf die Interessen der Wirtschaft zu und schwäche Sozialsysteme ähnlich wie in Deutschland Hartz IV.
„Die Menschen haben in Frankreich erkannt, was es heißt, wenn Macron Deutschland als Vorbild nehmen will“, sagte ein Redner. Die Gelbwesten seien „eine klassische soziale Bewegung“ von Menschen, „denen es reicht, für die die Steuererhöhung vielleicht der Tropfen war, der das Fass zum Überlaufen bringt“. Von einigen seien sie vorschnell als von rechts beeinflusst bewertet worden, obwohl ihr Protest nicht rassistisch oder nationalistisch unterlegt sei.
Das Parteiprogramm der AfD sei hingegen „maßgeschneidert für die Interessen der oberen Zehntausend“. In einigen Jahren könne sie womöglich wie die FPÖ in Österreich in Deutschland Regierungspartei sein. „Wer rechts wählt, schaufelt sich letztendlich sein eigenes Grab“, sagte der Redner. Bei der Demonstration zum Kronprinzplatz gehörte dann auch „Rassistisch, sexistisch, neoliberal – AfD, Partei fürs Kapital“ zu den am häufigsten gehörten Parolen – neben „Ganz Stuttgart hasst die AfD“ und „Es gibt kein Recht auf Nazi-Propaganda“.
Kritik von links an UN-Migrationspakt
Eine weitere Rednerin wies auf eine für kommenden Samstag, 15. Dezember, geplante Seebrücke-Demonstration „Für eine Welt, in der niemand fliehen muss“ hin (Beginn: 13 Uhr in der Lautenschlagerstraße). Sie beschäftigte sich mit dem UN-Migrationspakt, gegen den sich die AfD-Kundgebung richtete. „Egal was drinsteht: Für Neonazis und Rassisten geht es nur darum, gegen Menschen zu hetzen“, stellte sie klar. Das Problem seien Kriege, Freihandelsabkommen und aufgerüstete Grenzen, dazu eine Politik, „die Menschen im Mittelmeer ertrinken lässt“. Daher sei auch der Migrationspakt zu kritisieren, in dem etwa von „Grenzmanagement“ die Rede sei.
Die Rednerin kritisierte, dass Schiffe von NGOs in europäischen Häfen festgehalten würden und Seenotrettung als Beihilfe zu illegaler Migration kriminalisiert werde. Es könne nicht sein, dass nur verwertbare Arbeitskräfte kommen dürfen. „Für uns ist Beides nicht die Lösung“, stellte die Rednerin klar. Man wolle eine Gesellschaft, in der alle gleichberechtigt leben können.
Polizei hält Flugblattverteilerin fest
Weitere RednerInnen beschäftigten sich mit dem Frauenbild der AfD und der Rolle des sogenannten „Frauenbündnis Kandel“, außerdem mit der Geschichte der Gestapo-Zentrale „Hotel Silber“, die vor dem Abriss bewahrt und jetzt als Gedenkstätte eröffnet wurde. Trotz aller Anfeindungen gegen die angeblich linksextremistische VVN (Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes): „Den Schwur von Buchenwald wird es so lange geben, wie es Nazis gibt“, erklärte deren Landesgeschäftsführerin Janka Kluge.
Während der Kundgebung wurde bekannt, dass die Polizei eine Gegendemonstrantin eine halbe Stunde am Schlossplatz festgehalten, durchsucht und ihre Personalien aufgenommen hatte, weil sie dort Flugblätter verteilte, was sie angeblich nur bei der Kundgebung dürfe. „Aber nein, auch das neue Polizeigesetz schränkt die Versammlungsfreiheit nicht so weit ein. Wir dürfen Flugblätter verteilen, wo wir es für richtig halten“, stellte Kluge klar.
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