Von Sahra Barkini – Stuttgart. Die AfD Baden-Württemberg versuchte am Samstag, 12. November, an die bundesweite Kampagne der Partei zu sozialen Themen anzuknüpfen. Der Landesverband mobilisierte dazu etwa 300 Menschen auf den Marktplatz in Stuttgart. Angemeldet hatte die AfD eine „Großdemo“ mit 1000 Menschen. Unter den TeilnehmerInnen fanden sich allerlei Personen aus dem rechten und rechtsextremen Umfeld. Etwa 500 Menschen protestierten gegen den Auftritt der AfD. Den AntifaschistInnen gelang es, den LKW mit der Kundgebungtechnik der AfD zu blockieren. Nach Mitteilung des Antifaschistischen Aktionsbündnisses Stuttgart und Region (AABS) soll diese Blockade nun ein juristisches Nachspiel für die beteiligten AktivistInnen haben. Der Staatsschutz soll zwischenzeitlich Post an alle geschickt haben, die in der Münzstraße von der Polizei eingekesselt und kontrolliert wurden.
In der Mitteilung des AABS heißt es weiter: „Wenn du auch Post bekommen hast, keine Panik! Den Anhörungsbogen musst du nicht ausfüllen, sondern solltest zu deinem eigenen Schutz, keine Angaben machen. Wir sammeln alle die davon betroffenen sind, um uns zu organisieren und gemeinsam dagegen vorzugehen. Bitte schreib uns eine kurze Nachricht oder Mail, wenn du auch Post bekommen hast und tausche dich mit den Leuten aus, mit denen du am 12.11. zu den Protesten gekommen bist! Wir gehen zusammen auf die Straße und stehen auch bei Repression zusammen! Antifaschismus bleibt notwendig!“
Großer Aufwand zum Schutz einer teilweise faschistischen Partei
Beschützt von mehrfachen Reihen Hamburger Gitter, Polizeihundertschaften, zwei Wasserwerfern, einer Drohne und PolizeireiterInnen hielt die AfD ihre Kundgebung unter dem Motto: „Gegen Armut, Not und Kälte“ ab. Das Bündnis „Stuttgart gegen Rechts“ (SgR) mobilisierte zu einer Gegenkundgebung und zu Protesten an den Absperrgittern. Die GegendemonstrantInnen übertönten die rechte Kundgebung zeitweise. Es beteiligten sich etwa 500 Menschen, und immer wieder schlossen sich PassantInnen an. Die Wasserwerferbesatzung erkannte in Corona-Schutzmasken eine Vermummung. Daraufhin wurde der Protest zeitweise gefilmt.
Am Ende der rechten Kundgebung wurde zeitweise der AfD-LKW blockiert. Dem Fahrer fiel erst nach etwa 20 Minuten Stillstand ein, dass sein Fahrzeug einen Rückwärtsgang besitzt. Die Beteiligten an der Blockade wurden von der Polizei eingekesselt, einzeln durchsucht und erkennungsdienstlich behandelt. Bereits am Nachmittag schaffte es eine Gruppe von AntifaschistInnen auf die Kundgebungsfläche der AfD. Dies führte zu Personalienfeststellungen und Platzverweisen.
Der Auftakt des Protestsamstags fand am Mahnmal für die Opfer des Faschismus (Stauffenbergplatz) statt. Es gab Redebeiträge von Stuttgart gegen Rechts (SgR), Verdi und dem AABS. Im Anschluss setzten sich die KundgebungsteilnehmerInnen in Richtung Marktplatz in Bewegung. Dort wurden die Rechten – wie in Stuttgart beinahe üblich – von einem übermäßigem Polizeiaufgebot geschützt.
Stadt warnt vorab vor Protest gegen rechte Kundgebung
Bereits in den Tagen zuvor wurden GeschäftsinhaberInnen um den Marktplatz mittels Brief und Presseberichten auf die „drohende Gefahr“ durch Gegenproteste aufmerksam gemacht. Die Stadt und die Polizei sah es als ihre Aufgabe, vor Ausschreitungen zu warnen. So sollten Geschäfte keine Waren vor ihre Türen stellen. Explizit erwähnt wurde, dass die Gefahr von den Gegenprotesten ausgehe, nicht von der AfD.
Was diese Stimmungsmache und dieses Framing soll, bleibt wohl das Geheimnis der Behörden. Zumal die Stadt seit Wochen kein Problem damit hat, dass Kundgebungen voller Antisemitismus und Verschwörungsmythen stundenlang auf dem Schlossplatz abgehalten werden. Erst am 9. November (dem Gedenktag der Novemberpogrome) durfte ein wegen Volksverhetzung verurteilter Rechtsradikaler dort eine Kundgebung abhalten (siehe den Bericht des Zeitungsverlags Waiblingen „Viel Verschwörung, kaum Fakten: Besuch bei Querdenker-Ausstellung in Stuttgart„).
Der Pressesprecher der Stadt Stuttgart Sven Matis twitterte am Samstagabend: „Wir sind nicht glücklich damit, dass eine Partei meint, sich an einem Samstagnachmittag mit knapp 400 Gleichgesinnten ausgerechnet auf dem Marktplatz zusammenfinden zu müssen.“ Die prognostizierten Ausschreitungen blieben freilich aus. Es gab jedoch Pöbeleien und Drohungen gegen JournalistInnen bei der AfD-Kundgebung. Als es einer kleinen Gruppe von AntifaschistInnen gelang, die AfD-Kundgebung zu stören, kommentierte das ein AfD-Anhänger wie folgt: „Ab in die Gaskammer“. Dies ist deutlich in einem über den Kurznachrichtendienst Twitter verbreiteten Video zu hören. Es hatte aber keinerlei Konsequenzen. Die Gegenproteste waren dennoch über die gesamte Zeit laut und deutlich zu hören: „Es gibt kein Recht auf Nazipropaganda“ und „Ganz Stuttgart hasst die AfD“ schallte es der Anhängerschaft der in Teilen faschistischen Partei entgegen.
Die rechte Kundgebung startete mit Verzögerung, da der Bühnen-LKW nicht rechtzeitig vor Ort war. In den Reden ging es nicht wirklich um die angekündigten sozialen Fragen, sondern beispielsweise auch um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Der Landtagsabgeordnete Rüdiger Klos nannte inklusive Sprache „Gendergeschwätz“ und sah Gendersternchen als „Angriff auf die deutsche Sprache“.
Der ultrarechte Markus Frohnmaier war ebenso in Stuttgart wie die Bundestagsabgeordnete und Höcke-Vertraute Christina Baum. Der ehemalige Sänger der rechtsextremen Band „Noie Werte“ und Gründer der rechten Pseudogewerkschaft „Zentrum Automobil“ (sie nennt sich inzwischen nur noch „Zentrum“) Oliver Hilburger war vor Ort. Ihm kam zugute, dass der Höcke-Flügel es geschafft hat, den Unvereinbarkeitsbeschluss zwischen AfD und Zentrum zu kippen.
Der Ex-Landtagsabgeordnete Heinrich Fiechtner und Mitglieder der Identitären Bewegung (IB) sowie der jungen Alternative tummelten sich ebenso wie ein paar „Querdenker“ mit „Free Ballweg“ Plakaten bei der AfD-Kundgebung. Mit dem Singen der Nationalhymne wurde der rechte Spuk beendet. Die AntifaschistInnen zogen in einer kurzen Spontandemonstration zu den Zugängen des Marktplatzes und verzögerten somit die Abfahrt des AfD-LKWs.
Nach Polizeiangaben wurden die Personalien von 89 Personen festgestellt.
Hier der Augenzeugenbericht der Versammlungsleiterin eines Infostandes (Name der Redaktion bekannt)
„Kurz nach 14 Uhr konnten wir unseren Pavillon und den Tisch mit Infomaterial zur AfD, zum Faschismus sowie zur rechten Szene aufbauen. Die Lautsprecheranlage stand einsatzbereit da. Wir waren meist zu dritt oder zu viert am Kundgebungsort vertreten. Die PassantInnen nahmen zum Teil neugierig von uns Kenntnis, andere erhöhten ihr Schritttempo um möglichst ohne Ansprache unsererseits weiter zu kommen. Durch das Verteilen von Infoblättern von Stuttgart gegen Rechts (SgR), vom AABS (Antifaschistisches Aktionsbündnis Stuttgart und Region) sowie von der VVN-BdA kam es aber auch zu sehr vielen Solidaritätsbekundungen aus der Bevölkerung und zu wichtigen Gesprächen.
Viele Menschen begrüßten unser Engagement und bedankten sich dafür. In den Gesprächen kam immer wieder die Frage „Was kann ich dagegen tun?“. Ein junges Mädchen beantwortete diese Frage ihrer Mutter zum Beispiel mit „nicht wegschauen, Mama, für andere eintreten“. Wir wurden von den Polizeieinsatzkräften beobachtet, und mehrfach flog auch eine Drohne über uns hinweg. Von den PassantInnen wurde dies lachend kommentiert.
Gegen 17.15 Uhr wurde es plötzlich bedrohlich, als circa 10 bis 15 Polizeieinsatzkräfte in voller Montur unseren Pavillon einkreisten, um einen Durchgang für die AfD-Anhänger DURCH unseren Kundgebungsort zu sichern. Meine Nachfrage als Versammlungsleiterin, warum unser Kundgebungsort nicht gesichert wird, wurde von dem Polizeibeamten mit einem Grinsen beantwortet. Eine ältere Frau, die im Pavillon stand, wurde zurückgeschubst. Ich verlangte mit dem Einsatzleiter zu sprechen, die Antwort war „wenn Sie ihn finden“ und wieder unverschämtes Grinsen. Ein anderer Polizist grinste unverhohlen eine junge Frau an. Ich fragte mich, ob hier die in Stuttgart so weit verbreitete fragile Männlichkeit kompensiert werden soll. Wir wurden ein zweites Mal zurückgedrängt als circa 30 Mitglieder der IB (Identitären Bewegung) durch unseren Kundgebungsort geleitet wurden.
Das Gespräch mit dem danach erschienenen Antikonflikt-Team-Sprecher wurde von mir irgendwann mehrfach als für beendet erklärt. Seiner Argumentation für die Störung unserer Kundgebung „ihr wart sichtlich gewaltlos und nicht gewaltbereit“ konnte ich nicht akzeptieren. Denn das hätte bedeutet, dass wir als SgR akzeptieren würden, dass die punktuell schwächere Partei unterlegen und machtlos der Staatsgewalt ausgeliefert ist. Dieser Sprecher schürt die Konflikte als dass er deeskalierend einwirkt. Dieses Verhalten kenne ich von diesem Herrn bereits. Ich jubelte innerlich, als er schmollend mit den Worten ‚jetzt fühle ich mich aber als gewerkschaftlich organisierter Polizist diskriminiert‘ davonzog.
Mein Resümee: Der 2. Kundgebungsort mit Infotisch von SgR war wichtig. Durch die Gespräche konnte die antifaschistische Arbeit in Stuttgart einigen Menschen nähergebracht werden. Es wurden Fragen zum Bündnis „Stuttgart gegen Rechts“ beantwortet und weiter gegen die AfD sowie deren menschenverachtende Politik sensibilisiert.“
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