Stuttgart. Seit sechs Monaten sitzt ein Stuttgarter Antifaschist in Untersuchungshaft. Er wurde am 2. Juli 2020 bei einer Hausdurchsuchungswelle in Baden-Württemberg festgenommen. Er wird beschuldigt, an einer körperlichen Auseinandersetzung mit Neonazis am 16. Mai 2020 beteiligt gewesen zu sein, bei der es mehrere Verletzte gab. Ein Mitglied der Pseudo-Gewerkschaft „Zentrum Automobil“ soll dabei lebensgefährlich verletzt worden sein. Am 4. November wurde ein weiterer Antifaschist wegen desselben Vorwurfs verhaftet. Beide sitzen seither im Gefängnis Stuttgart-Stammheim. Die Rote Hilfe fordert ihre Freilassung.
„Sechs Monate sind sechs Monate zu viel“, so die Rote Hilfe in einer Pressemitteilung. Nach der Auseinandersetzung am Rand einer Demonstration der rechten Initiative „Querdenken 711″ am 16. Mai 2020, bei der mehrere Mitglieder der rechten Pseudo-Gewerkschaft „Zentrum Automobil“ in der Nähe der Mercedes-Benz-Arena verletzt wurden, sei eigens die polizeiliche Ermittlungsgruppe „Arena“ gegründet worden. Sie überziehe seither „antifaschistische Strukturen und AktivistInnen im Raum Stuttgart mit Repressalien“. Dabei sei „der Standardvorwurf des Landfriedensbruchs“ durch die Konstruktion einer versuchten Tötung ergänzt worden – „um eine Handhabe zur umfassenden Kriminalisierung der antifaschistischen Szene in Baden-Württemberg zu bekommen“, wirft die Rote Hilfe der Staatsanwaltschaft vor.
Bei der Razzia am 2. Juli 2020 in neun Wohnungen in verschiedenen Städten seien die Betroffenen gezwungen worden, ihre DNA abzugeben. Die Hausdurchsuchungswelle sei in der Öffentlichkeit auf teils scharfe Kritik gestoßen – auch deshalb, weil einer der Betroffenen Mitarbeiter eines Bundestagsabgeordneten ist und am 16. Mai 2020 nachweislich gar nicht in Stuttgart gewesen war (siehe Bewohner protestieren gegen „Willkür-Razzia“, Angriff auf linkes Wohnprojekt, Abgeordneter will beschlagnahmte Unterlagen zurück, Pflüger: Polizei muss sich für Razzia entschuldigen). Dennoch behielt die Polizei die dort beschlagnahmte Dienstunterlagen aus der Bundestagsarbeit ein.
Die Observationen und Vorladungen gingen der Roten Hilfe zufolge weiter. Am 4. November wurde ein zweiter Antifaschist aus Stuttgart verhaftet. Inzwischen habe die Staatsanwaltschaft eine Anklageschrift verfasst, doch der Prozessauftakt sei noch immer nicht terminiert.
„Wieder einmal zeigt sich die grün-schwarze Landesregierung in Baden-Württemberg von ihrer repressivsten Seite, indem sie zwei junge Antifaschisten über viele Monate hinweg inhaftieren lässt“, kritisiert die Rote Hilfe. Menschen, die sich aktiv der erstarkenden Rechten entgegenstellen, würden „mit überzogenen Vorwürfen kriminalisiert, observiert, mit Hausdurchsuchungen schikaniert und eingesperrt“, erklärte Anja Sommerfeld vom Bundesvorstand der Roten Hilfe: „Indem an den beiden Stuttgartern ein Exempel statuiert wird, soll die gesamte antifaschistische Szene eingeschüchtert werden – ähnlich wie im Fall der Antifaschistin Lina aus Leipzig, die ebenfalls Anfang November verhaftet wurde.“ Die Rote Hilfe fordere die Freilassung der Inhaftierten.
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