Von Wolfgang Weichert und der Redaktion – Stuttgart. Als das Stuttgarter Ordnungsamt das zweieinhalb Wochen zuvor besetzte Haus in der Forststraße 140 am 28. März räumen ließ, gingen am Abend mehr als 150 Menschen aus Protest auf die Straße. Sie kritisierten unter anderem die Grünen und Oberbürgermeister Fritz Kuhn. Das Wohnungsproblem bleibt weiter ungelöst. Das Aktionsbündnis „Recht auf Wohnen“ ruft nun für Samstag, 6. April, um 14 Uhr zu einer Kundgebung auf dem Stuttgarter Schlossplatz auf. Anschließend soll es einen Demonstrationszug zum Marienplatz geben.
Um 7.30 Uhr klingelte in der Forststraße 140 die Polizei. Das zweieinhalb Wochen zuvor am 9. März besetzte Haus wurde geräumt. Der Grund war eine Verfügung des Ordnungsamts der Stadt Stuttgart, das die Besetzung als Gefahr für die öffentliche Ordnung wertete.
Als es geräumt wurde, befanden sich im Haus fünf BesetzterInnen. Als auf das Klingeln hin niemand öffnete, wurde die Haustür von einem Schlüsseldienst geöffnet. Die Polizei ließ den Besetzern genügend Zeit, damit sie ihre persönlichen Gegenstände zusammen packen konnten. Es waren zirka 100 Beamte und zwei Drohnen im Einsatz.
Stefan Praegert, Leiter der Polizeibehörde in Stuttgart, war bei der Räumung anwesend. Hier lägen Hausfriedensbruch und eine „Eigentumsstörung“ vor, erklärte er: „Das dauerhafte Tolerieren einer Straftat führt zu der Gefahr, dass sich der Zustand verfestigt und schließlich schwieriger beseitigen lässt.“
„Eigenständige Entscheidung des Ordnungsamts“
Praegert betonte, dass es sich weder um eine Entscheidung von Oberbürgermeister Fritz Kuhn (Grüne) noch von Ordnungsbürgermeister Martin Schairer (CDU) handle. „Die Hausspitze des Ordnungsamts hat das intern beraten und ist dann eigenständig zu dieser Einschätzung gelangt.“ Auch Polizeisprecher Stefan Keilbach betonte immer wieder, dass man nur für den Vollzug bei diesem Einsatz zuständig sei.
Die Protestdemonstration am Abend startete vor dem geräumten Mehrfamilienhaus und führte quer durch den Stuttgarter Westen bis zum Berliner Platz. In der Nähe ist der Sitz der Schwäbischen Bauwerk GmbH. Sie war in den vergangenen Wochen in die Schlagzeilen geraten, weil sie bei zumindest zwei Häusern im Westen die Mieten um bis zu 300 Prozent erhöhen will. Im Nachgang einer Kundgebung vor einem dieser Häuser war das Haus in der Forststraße 140 besetzt worden (wir berichteten).
„Vermittlungsgespräche waren eine Farce“
Bei der Demonstration sprach unter anderem Adriana Uda, die im April letzten Jahres eine Wohnung in der Wilhelm-Raabe-Straße 4 in Heslach besetzt hatte. Sie hat Einspruch gegen einen Strafbefehl eingelegt und steht daher seit Mittwoch, 3. April, vor dem Stuttgarter Amtsgericht (siehe „HausbesetzerInnen vor Gericht„).
Neben ihr sprachen unter anderem Susanne Bödecker von den MieterInneninitiativen Stuttgart und Vertreter der Linken. Die DemoteilnehmerInnen waren vor allem darüber erbost, dass die Räumung nicht etwa auf Geheiß der Eigentümer erfolgte, sondern aufgrund einer „Allgemeinverfügung“ der Stadt.
„Vermittlungsgespräche“, zu denen Ordnungsbürgermeister Martin Schairer (CDU) zuvor ins grün geführte Rathaus eingeladen hatte, hätten sich als Farce erwiesen. Die Stadtverwaltung habe nicht vermittelt, sondern sich eindeutig auf die Seite der Eigentümer gestellt.
Immer weniger Sozialwohnungen
Mehrere tausend Wohnungen in der Stadt stehen leer, auch aus Gründen der Spekulation. Erhaltenswerte Wohnungen werden abgerissen und durch teure Neubauten ersetzt. Die Zahl der Sozialwohnungen sinkt von Jahr zu Jahr. Gab es 1987 noch 33 500 Sozialwohnungen, waren es 2017 in Stuttgart nur noch 14 443.
Für Beschäftigte mit geringem und mittlerem Einkommen, insbesondere aber für Auszubildende, Studierende, Alleinerziehende, RentnerInnen und Erwerbslose wird das Wohnen in der Stadt unbezahlbar. Oft verschlingt die Miete über die Hälfte des Einkommens. Stuttgarter Mieterhaushalte mit einem Nettoeinkommen unter 1300 Euro geben fast 60 Prozent ihres Einkommens für das Wohnen aus.
Stadtrat Heinrich Fiechtner provoziert
Am Rande einer Kundgebung, die zeitgleich vor dem Rathaus stattfand, kam es zu einer kleinen Rangelei mit dem Gemeinderat Heinrich Fiechtner vom BZS 23 (zuvor AfD). Er provozierte die Teilnehmer durch Filmaufnahmen mit seinem Smartphone und stieß Beleidigungen aus. Die von Fiechtner herbeigerufenen Polizisten baten ihn, den Platz zu verlassen und keine Störungen mehr vorzunehmen (siehe Video).
Auf die Nachfrage, ob der Gemeinderat jetzt einen Platzverweis bekommen hat, antwortete die verantwortliche Polizistin: „Wir haben Herrn Fiechtner gebeten, den Platz zu verlassen und Störungen und Provokationen ab sofort zu unterlassen. Wie sie sehen, ist er der Aufforderung gefolgt und hat den Platz verlassen.“
Auch der Ex-AfD Stadtrat Bernd Klingler beteiligte sich an den Provokationen vor dem Rathaus (siehe Video).
Christine Prayon tritt bei Kundgebung auf
Bei der Stuttgarter Kundgebung und Demonstration am Samstag, 6. April, ab 14 Uhr auf dem Stuttgarter Schlossplatz geht auch die Kabarettistin Christine Prayon auf die Bühne. Der Unmut der Demonstranten richtet sich gegen das Rathaus und Investoren wie Vonovia. Wohnen sei ein Grundrecht, das täglich mit Füßen getreten werde. In Deutschland gebe es fast 1 Million wohnungslose Menschen und täglich Zwangsräumungen. Die Spekulation mit Wohnraum steige ins Unermessliche, und Konzernen wie Vonovia werde der rote Teppich ausgerollt, anstatt sie zu enteignen.
Weitere Bilder von der Zwangsräumung
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Weitere Bilder und Video von der Demonstration nach der Räumung
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