Von unseren ReporterInnen – Stuttgart. Verhaftete Journalisten, geschlossene Sender, immer mehr verfolgte Gewerkschafter und Oppositionelle: Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan macht sein Land zu einem autokratischen System. Um gegen die Angriffe der türkischen Regierung auf die Pressefreiheit zu protestieren, kamen rund hundert Menschen am Mittwoch, 14. Dezember, auf dem Stuttgarter Wilhelmsplatz zusammen. Es war die erste größere Protestveranstaltung von Journalistenorganisationen in Deutschland gegen das Vorgehen der AKP-Regierung.
Das SWR-Fernsehen berichtete am Abend in seiner Landesschau über die Kundgebung. Aufgerufen hatten die dju (Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union in Verdi), der DJV (Deutscher Journalistenverband), der VS (Verband deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller in Verdi), der DGB Baden-Württemberg und Reporter ohne Grenzen. Auch die SPD-Landesvorsitzende Leni Breymaier, die stellvertretende DGB-Landesvorsitzende Gabriele Frenzer-Wolf und die frühere SPD-Landtagsabgeordnete Rita Haller-Haid waren gekommen.
Es war wohl zwei Umständen geschuldigt, dass nicht mehr Menschen am späten Nachmittag auf den eisigen Stuttgarter Wilhelmsplatz kamen: Zum einen lag der Kundgebungsbeginn um 17 Uhr in der Hauptproduktionszeit vieler Medien, so dass die meisten Journalisten ihre Redaktionen nicht verlassen konnten. Es fiel aber auch auf, dass sich nur wenige Menschen mit kurdischen oder türkischen Wurzeln an der Kundgebung beteiligten. Die Verunsicherung im Ausland lebender Menschen aus der Türkei und die Furcht vor Ausspähung und Repression ist offenbar groß.
Respekt für mutige Journalisten
Siegfried Heim, Leiter des Fachbereichs Medien von Verdi Baden-Württemberg und Haupt-Organisator der Kundgebung, sprach als erster. In der Türkei würden Journalisten, aber auch Oppositionspolitiker, Gewerkschafter und andere kritische Kräfte verhaftet und verfolgt, kritisierte er. Bis zum 9. Dezember habe die EFJ, die Europäische Journalisten-Föderation, 121 inhaftierte Kolleginnen und Kollegen gezählt. 176 Medien wurden zwangsweise geschlossen oder verboten. Viele Journalisten seien arbeitslos.
„Wir zollen den Journalisten, die die Verhältnisse in der Türkei öffentlich machen, großen Respekt“, sagte Dagmar Lange, die Landesvorsitzende des DJV. Sie lebten gefährlich und müssten mit Repressionen rechnen, wenn sie Erdogan kritisieren. Gewerkschaftern, Lehrern und Richtern ergehe es nicht anders. „Es geht um Einzelschicksale“, betonte Lange – „jeder Fall ist einer zu viel“.
„Journalismus ist kein Verbrechen“
Hiesige Journalisten und Redaktionen könnten Solidarität zeigen, indem sie kritisch über die Verhältnisse in der Türkei berichteten und türkischen Kollegen ermöglichten, Gastbeiträge zu veröffentlichen. Der öffentliche Druck müsse dazu beitragen, dass in der Türkei wieder ein demokratischer Diskurs entsteht. Die Pressefreiheit sei in der UN-Menschenrechtskonvention, aber auch in der türkischen Verfassung garantiert. „Wir rufen Herrn Erdogan zu: Journalismus ist kein Verbrechen“, betonte Lange.
„Erdogan hat Staat, Nation und Sprache leider in tiefe Dunkelheit geführt“, sagte Sakine Esen Yilmaz von der Türkischen Lehrergewerkschaft, die in Deutschland Asyl beantragt hat. Er habe allen Oppositionskräften den Krieg erklärt. Unter den verbotenen Medien befänden sich neben einem Kinderkanal auch alevitische und kurdische Sender. Verboten worden seien sie auch, weil sie Bilder von Massakern in kurdischen Städten zeigten.
Journalisten und Gewerkschafter kämpfen weiter für Demokratie
Erdogan habe Rache geübt, damit Wahrheiten nicht veröffentlicht werden. Er habe auch gewählte Parlamentarier und Bürgermeister festnehmen lassen. Doch Journalisten und Gewerkschafter kämpften weiter für Rechtsstaatlichkeit, Freiheit und Demokratie: „Wir haben immer wieder Mut gegen Faschismus und Diktatur bewiesen.“
„Die Türkei steuert ungebremst und frontal einem diktatorischen Präsidialsystem zu“, sagte Alev Bahadir, die als freie Journalistin für den Sender Hayatin Sesi TV gearbeitet hatte. Der Journalistenberuf sei in der Türkei zu einer der gefährlichsten Beschäftigungen überhaupt geworden. Seit dem Putschversuch räume Präsident Erdogan knallhart auf. „Universale Grund- und Menschenrechte in der Türkei werden per Dekret verletzt. Das kann und darf nicht geduldet werden“, sagte Bahadir.
„Das Schulterklopfen mit Erdogan muss aufhören“
Sie forderte von der Bundesregierung und der EU, klar Position zu beziehen und jegliche Beziehungen und Zusammenarbeit mit der türkischen Regierung auf Eis zu legen, solange in der Türkei der Ausnahmezustand herrscht: „Gleichzeitig fordern wir die Bundesregierung auf, die Rüstungsexporte in die Türkei zu stoppen und vollständig einzustellen.“ Das Schulterklopfen zwischen den beiden Regierungen müsse aufhören und die EU-Beitrittsverhandlungen müssten abgebrochen werden. Kritik und Protest dürften keine Lippenbekenntnisse bleiben: „Die Presse- und Meinungsfreiheit gehören zu den wichtigsten Gütern einer Demokratie.“
Leyla Abay, Mitarbeiterin des verbotenen Radiosenders Özgür Radyo, schilderte die Repressionen und forderte Pressefreiheit und die Freilassung der inhaftierten JournalistInnen in der Türkei (siehe auch unser Interview Erdogan muss die Inhaftierten freilassen). Die AKP-Regierung habe den gescheiterten Putschversuch dazu genutzt, alle Oppositionellen zu verfolgen.
Türkische Journalisten zahlen einen hohen Preis
Ihr Mann Necati Abay sprach als Vertreter der Solidaritätsplattform mit inhaftierten Journalisten im Exil. Er selbst war in der Türkei als Journalist mehrfach inhaftiert und wurde zu hohen Haftstrafen verurteilt. Seit vier Jahren lebt er als anerkannter politisch Verfolgter in Deutschland. Er erinnerte auch an getötete Journalisten. „Wir alle zahlen für die Pressefreiheit einen sehr hohen Preis“, sagte er. Doch ohne sie gebe es keine Demokratie – „nur den Faschismus von Erdogan“. In der Türkei würden Menschen terrorisiert, verhaftet und gefoltert. Es herrsche „totale Willkür“. Angela Merkel solle die Abmachungen mit Erdogan aufkündigen, forderte er.
Zuletzt dankte Ali Güler von TV 10 Verdi und der dju, die Sache in die Hand genommen und die Kundgebung organisiert zu haben. „Es wird versucht, die Medien in der Türkei schrittweise gleichzuschalten“, warnte er. Um das zu verhindern, bedürfe es internationaler Solidarität.
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