Von Sahra Barkini – Stuttgart. Das Motto des diesjährigen Ostermarsches lautete: „Abrüsten! Für den Frieden, für das Klima, für die Menschen!“ Nach Stuttgart aufgerufen hatte das Friedensnetzwerk Baden-Württemberg. Etwa 1000 Menschen folgten am Samstag, 3. April, dem Aufruf und demonstrierten unter Einhaltung der Masken- und Abstandspflicht für den Frieden und das Klima. Redebeiträge kamen unter anderem vom Bundestagsabgeordneten der Linken Tobias Pflüger und Verdi-Landesbezirksleiter Martin Gross. Während der Demonstration gab es eine Provokation durch Hooligans.
Bei der Auftaktkundgebung vor dem Hauptbahnhof in Stuttgart prägten die „Pace“-Fahne und Fahnen der VVN-BdA, von Didf, der DKP, der SDAJ, der DFG/VK und den Naturfreunden das Bild. Auch an die Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki wurde erinnert. Und es waren Schilder und Banner wie: „Pflege statt Panzer“, „Friedenskampf ist Klassenkampf“, „Jugend gegen Krieg“, „Frieden mit Russland und China – Stoppt die Defender-Manöver“ zu sehen.
Zu Beginn der Kundgebung forderte Mathias Kehrer vom Friedenstreff Stuttgart-Bad Cannstatt die Auflösung der Nato. „Ein Atomkrieg wäre unser aller Ende in Mitteleuropa“, gab er zu bedenken. Durch die beiden Kommandozentralen der US-Armee Eucom und Africom wäre Stuttgart eine Zielscheibe. Von Stuttgart dürfe kein Krieg, sondern müsse Frieden ausgehen, war eine seiner Forderungen.
Provokation lief ins Leere
Das Theodorakis-Esemble begleitete die Kundgebung musikalisch. Moderiert wurde sie von der Bundestagsabgeordneten der Linken Heike Hänsel. Die anschließende Demonstration zog über die Konrad-Adenauer Straße in Richtung Karlsplatz. Der 25 Meter lange sogenannte Lindwurm des Friedenstreff Stuttgart-Nord trug eine Kernforderung des Tages: „Beitritt zum UN-Atomwaffenverbot-Jetzt“. „Deutsche Waffen, deutsches Geld morden mit in aller Welt“, tönte es aus einem Teil der Friedensdemo.
Auf Höhe des Breuningerparkhauses provozierte eine Gruppe Hooligans die FriedensdemonstrantInnen. Die Hooligans liefen sehr provokant kurz vor der Demonstrationsspitze und vor den Augen der Polizei teilweise ohne Masken über die Straße. Zu Zwischenfälle führte das nicht.
Bei der Abschlusskundgebung auf dem Karlsplatz forderte Tobias Pflüger in seiner Rede einen Stopp von Rüstungsprojekten. Man müsse außerparlamentarisch und innerparlamentarisch Druck machen. Denn mit deutschen Waffen führe beispielsweise die Türkei in Rojava Krieg. Das sei, so Pflüger, „Beihilfe zum Mord“. Es dürfe keine Waffenlieferungen mehr aus Deutschland geben.
„Das KSK ist nicht reformierbar“
Er berichtete auch von seinem Besuch vor kurzem beim Kommando Spezialkräfte KSK in Calw (siehe „Eine solche Elitekampfeinheit wird nicht gebraucht„) und bezeichnete die Elitekampftetruppe als nicht reformierbar. Der Abgeordnete fügte an: „Es hat seine innere Logik, dass eine Elitekampftruppe besonders Rechte anzieht. Und wir werden überall, ob es bei der Bundeswehr ist, ob es bei der Polizei ist, diese rechten Netzwerke deutlich machen und überall gegen Rechte kämpfen.“ Er forderte außerdem eine Abrüstung der Bundeswehr, und ebenso, Auslandseinsätze wie in Afghanistan, aber auch den derzeitigen Inlandseinsatz der Bundeswehr zu beenden. Abrüstung sei das Gebot der Stunde, so Pflüger abschließend.
Martin Gross von Verdi mahnte in seiner Rede den Schutz aller Menschen in dieser Pandemie, eine friedliche Politik und soziale Gerechtigkeit an. Höhere Rüstungsausgaben lehnte er ab. Außerdem müsse die Regierung endlich ernst machen mit dem Atomwaffenverbot.
Die Rede von Martin Gross im Wortlaut:
„Liebe Friedensfreund*innen, liebe Kolleginnen und Kollegen, ein ¾ Jahrhundert nach dem Ende des zweiten Weltkriegs erleben wir gegenwärtig zeitgleich mehrere schwere Krisen. Dabei ist jede der gegenwärtigen Krisen schon für sich bedrohlich. Im Schatten der Corona-Krise stehen Klima-Krise, Hunger, Armut, wachsende Ungleichheit und menschliches Leid durch Gewalt und Krieg. In mehrerlei Hinsicht bedingen diese Krisen einander. Als Gewerkschaft, verbunden in Global Unions, stehen wir für Frieden, Demokratie und Menschenrechte weltweit ein. Unser Verständnis ist ein erweitertes und auch ein historisch untermauertes Verständnis von Sicherheit: Wir wollen, dass alle Menschen selbstbestimmt und würdevoll von guter Arbeit leben können! Dass Alle gegen die Risiken des Lebens wie Krankheiten, Unfälle und im Alter abgesichert sind und für sich und ihre Angehörigen angstfrei Zukunftsperspektiven wahrnehmen und ihre Persönlichkeit entfalten können!
Liebe Friedensfreunde, gerade deshalb denke ich in diesem Moment an meinen streikenden Kolleginnen in Myanmar. Ich fordere die Militärs auf – Stoppt das Schießen auf das eigene Volk. Achtet die Menschenrechte und das Recht auf freie Wahlen! Beendet endlich das Morden! Die Pandemie hat mit einem Schlag offengelegt, wie verletzlich unser Zusammenleben ist und wie sehr wir über alle Grenzen hinweg voneinander abhängig sind. Nicht nur weil binnen kürzester Zeit globale Lieferketten unterbrochen wurden und hierzulande scheinbare Selbstverständlichkeiten wie Desinfektionsmittel oder medizinische Schutzkleidung von einem Tag auf den anderen nicht mehr ausreichend verfügbar waren. Sondern auch weil ein neues Virus, gegen das kein Mensch auf dem Planeten immun ist und das weder Herkunft, Nationalitäten noch Grenzen kennt, sich nicht mit Abschottung und nationalen Alleingängen bekämpfen lässt.
Genauso wenig übrigens wie der Klimawandel, der in vielen Regionen der Welt Hunger, Armut und Fluchtbewegungen erzeugt. Diese Herausforderungen und Bedrohungen lassen sich nur gemeinsam, in solidarischer und friedlicher Kooperation bewältigen. Ja, ich sehe es wie UN-Generalsekretär António Guterres. Wir brauchen einen globalen Waffenstillstand und nicht weiter unsinnige Kriege, die am Ende keinen Frieden schaffen, sondern nur zu Leid und Elend von vielen Menschen führen.
Nuklearwaffen stellen die Spitze des Potenzials gegenseitiger Zerstörung und Vernichtung dar, grausamer ist fast nicht mehr vorstellbar. Die US-Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki haben uns die grausame Wirkungsweise gezeigt wozu Menschen in kriegerischen Auseinandersetzungen fähig sind. Nukleare Aufrüstung bedeutet, dieses Zerstörungs- und Vernichtungspotenzial in besonderem Maße zu steigern. Doch statt sich dem Ziel einer atomwaffenfreien Welt zu nähern, will Deutschland mit dem Kauf neuer, atomwaffenfähiger Kampfflugzeuge den Pfad der nuklearen Abrüstung verlassen. Und das in einer Zeit, in der Atommächte mit der Modernisierung ihrer Waffensysteme das Wettrüsten anheizen. Das ist für mich unerträglich! Die Milliarden, die für Anschaffung und Betrieb der Atomwaffenträger notwendig sind, wären besser investiert: in ein handlungsfähiges Gesundheitswesen, in Forschung und Entwicklung von Medikamenten, Impfstoffen und in die Unterstützung anderer Staaten in der Bekämpfung der Pandemie. Ja, jeder Euro in das Gesundheitswesen statt in Waffensystemen kann mehr Leben retten!
Wir brauchen eine offene Debatte über den Sinn und Zweck atomarer Abschreckung. Ohne die Stationierung von US-Atomwaffen in Deutschland wäre der Weg für die Bundesregierung frei, dem UN-Vertrag über ein Verbot von Atomwaffen beizutreten, wie es unser Nachbarland Österreich bereits vorgemacht hat. Ja, die Teufelskreise immer weiterer Aufrüstung mit immer größeren Vernichtungspotenzialen müssen durchbrochen werden. Denn von mehr Sicherheit kann dabei für keine der beteiligten Seiten die Rede sein. Verschwenden wir nicht mehr Geld, Energie und Lebenskraft für Zerstörungs- und Vernichtungsmittel!
Liebe Friedensfreunde, wir fordern eine Haushaltspolitik, die Abrüstung zur Priorität macht. Wir fordern ein klares NEIN zum 2-Prozent-Aufrüstungsziel der NATO. Investieren wir in die Zukunft statt aufzurüsten, denn die Corona-Krise führt drastisch vor Augen, wie verantwortungslos diese Geldverschwendung ist. Besonders deutlich zeigt sich dies im Globalen Süden. So sind etwa in vielen Ländern Lateinamerikas große Bevölkerungsteile schutzlos dem Virus ausgesetzt, weil es an einer flächendeckenden Gesundheitsversorgung fehlt und die dortige Zwei-Klassen-Medizin Angehörige der Ober- und Mittelschicht privilegiert. Gleichzeitig sind die Rüstungsausgaben in der Region in jüngster Zeit stark angestiegen – Geld, das für den dringend nötigen Ausbau der Gesundheits- und Sozialsysteme fehlt.
Aber auch im Falle Deutschlands legt die Corona-Krise schonungslos offen, wie gravierend die Fehlverteilung öffentlicher Mittel ist. Im Bundeshaushalt 2020 waren ursprünglich 12 Prozent der Ausgaben für den Verteidigungsetat vorgesehen, während nur ein Drittel davon in das Gesundheitssystem fließen sollte. Es ist höchste Zeit, das Ruder herumzureißen!
Die Pandemie, der Klimawandel, die Digitalisierung – all diese gewaltigen Herausforderungen bedrohen den gesellschaftlichen Zusammenhalt und vergrößern die soziale Ungleichheit. Wir müssen gegensteuern! Dafür sind neben einem starken und solide finanzierten Sozialstaat immense öffentliche Investitionen nötig – in Gesundheit und Pflege, in unser Bildungssystem, in eine sozial-ökologische Gestaltung der Energie- und Verkehrswende, in die kommunale und digitale Infrastruktur und in den sozialen Wohnungsbau.
Nie wieder Krieg und nie wieder Faschismus, dafür sind wir heute hier aus tiefster Überzeugung. Eine Politik für die Zukunft der Menschheit braucht Frieden und Abrüstung. Deshalb sage ich für die Gewerkschaftsbewegung: Nein zu einer Erhöhung der Militärausgaben! Nein zu Rüstungsexporten! Für eine neue Entspannungspolitik jetzt! Für ein Europa des Friedens und der Abrüstung und den Beitritt Deutschlands zum Atomwaffensperrvertrag! Wir ermutigen unsere Mitglieder, engagiert Euch für Abrüstung, stärkt die Friedensinitiativen in Eurer Region! Wir brauchen Abrüstung statt Aufrüstung, Abrüstung setzt Mittel frei für ein friedliches Leben, nicht nur hier, nein überall. Stehen wir gemeinsam ein – für eine friedliche Welt!
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