Von Sahra Barkini – Stuttgart. Unter dem Motto „Uns langt’s – Querdenken stoppen“ rief das Bündnis gegen Rechts für Samstag, 17. April, zu Protestaktionen gegen selbsternannte „Querdenker“ auf. Ursprünglich waren zwei Versammlungen aus dem „Querdenker“ Spektrum angekündigt. Diese verbot die Stadt Stuttgart. Daraufhin zogen die AnmelderInnen bis vor das Bundesverfassungsgericht, wo das Verbot abermals bestätigt wurde. Davon ließen sich QuerdenkerInnen, EsoterikerInnen, AntisemitInnen und rechte Akteure aber nicht abhalten. Sie mobilisierten weiter nach Stuttgart und wahlweise nach Kempten, obwohl auch dort die Demonstration per Gerichtsbeschluss verboten war. Die Stadt Stuttgart erließ eine für Samstag geltende Maskenpflicht. Die Polizei war mit einem Großaufgebot einschließlich Wasserwerfer, Pferdestaffel und Helikopter vor Ort. Teilweise gingen die BeamtInnen aggressiv gegen die GegendemonstrantInnen vor und setzten Pfefferspray ein.
Trotz des vom Bundesverfassungsgericht bestätigten Verbots der „Querdenker“-Demonstrationen zogen einige hundert Personen aus diesem Spektrum durch die Stuttgarter Innenstadt. Für sie galt eine extra eingeführte Maskenpflicht. So musste am Samstag von 8 bis 22 Uhr innerhalb des City-Rings, im Mittleren und Unteren Schlossgarten sowie aus dem Marien- und Wilhelmsplatz ein Mund-Nasen-Schutz getragen werden – auch dann, wenn der Mindestabstand eingehalten werden konnte.
Das interessierte die zahlreichen CoronaleugnerInnen aber wenig. Den ganzen Tag sah man unzählige Personen ohne Maske und Abstand, aber mit Querdenkenbutton, Alubommel oder gelbem Ungeimpft-Stern. Auf dem Schlossplatz machte sich eine Gruppe aus dem „Querdenker“-Spektrum darüber lustig, dass alle „maskiert“ herumliefen und man als „Unmaskierter“ als Nazi gelte. Dann wurde sich fröhlich umarmt.
- … halt …
- … nicht für …
- … alle
Fahrraddemo gegen „Querdenker“
Dieses Mal wollten es die StuttgarterInnen den „Querdenkern“ nicht so leicht machen und schlossen sich zahlreich den unterschiedlichsten Protestaktionen an. Am späten Vormittag gab es im Rahmen des „Uns langt’s“-Aufruf eine Kundgebung von „Aufstehen gegen Rassismus“ auf dem Karlsplatz. Es beteiligten sich etwa 120 Personen. Am Kronprinzplatz gab es die Möglichkeit, an einer Mahnwache von „Emma und Fritz“ zum Thema „Querdenkern in die Quere kommen – Schluss mit antisemitischem Verschwörungsgeraune!“ teilzunehmen. Und vom Feuersee aus fuhren circa 400 FahradfahrerInnen unter dem Motto „Lieber im Kreis fahren als Querdenken“ mit lauten Parolen und Musik durch Stuttgart.
Hierzu aufgerufen hatten Fridays for Future, Interventionistische Linke und Ende Gelände. Die Fahrraddemo endete am Marienplatz. Dort hatte das AABS (Antifaschistische Aktionsbündnis Stuttgart und Region) zu einer Platzbesetzung aufgerufen, da ursprünglich am Marienplatz der Kundgebungsort für die „Querdenker“-Kundgebung sein sollte. Vereinzelt fanden sich am Marienplatz dann auch Personen aus dem „Querdenker-Spektrum“ ein. Die auch auf dem Marienplatz geltende Maskenpflicht wurde von der Polizei weitestgehend durchgesetzt.
Die TeilnehmerInnen an den Gegenprotesten trugen Masken. Die wartenden „Querdenker“ pöbelten die GegendemonstrantInnen immer wieder an und versuchten offensichtlich zu provozieren. Gegen 14 Uhr gaben die TeilnehmerInnen der Gegenproteste den Marienplatz frei und zogen in einer Spontandemonstration Richtung Innenstadt zum „Platz da!“-Picknick. Dazu hatte SÖS (Stuttgart Ökologisch Sozial) aufgerufen.
- Spontandemo gegen Covidioten
- Picknick …
- … „Platz da“
Rabiat gegen GegendemonstrantInnen
Zusätzlich zu den Aktionen auf den Straßen zeigten auch viele StuttgarterInnen an ihren Häusern und Wohnungen, was sie von den „Querdenker“ Umtrieben halten. Aus den Fenstern hingen Transparente wie „Querdenken ist keine Lösung“, „Mitdenken statt Querdenken“, „Gegen rechte Krisenlösungen“. Der DGB hatte ein großes Transparent „Corona existiert – die Krise löst man solidarisch, aber niemals mit Nazis“ über die Fassade des Gewerkschaftshauses gespannt. Auch das nahe des Marienplatzes gelegene Theater Rampe gab den Querdenkern zu verstehen, was es von ihnen hält. „Liebe ist Abstand“ war das Motto.
Ein Teil der Spontandemonstration bog am Wilhelmsplatz Richtung Rotebühlplatz ab, um die trotz Verbots durch die Innenstadt ziehenden „Querdenker“ zu stören und sie mit Protest in Hör- und Sichtweite zu konfrontieren. Dies versuchten BFE-Einheiten der Polizei zu verhindern. Sie gingen sehr rabiat gegen AntifaschistInnen vor. In diesem Zusammenhang kam es auch zu Pfeffersprayeinsatz. Die Demosanitäter Südwest berichteten von sechs von ihnen behandelten PatientInnen (1 mal chirurgisch, 2 mal internistisch, 2 mal wegen Pfefferspray und 1 mal psychisch). Im Lauf des Tages gab es auch einzelne Festnahmen von AntifaschistInnen.
Dixi-Klos für „Querdenker“
Bei den „Querdenkern“ hingegen reagierte die Polizei eher halbherzig und meist zurückhaltend. Lange wurden die Spontanaufzüge geduldet. In der Hirschstraße kam es zu einem größeren Kessel, in dem auch der „Querdenker Chef“ Michael Ballweg landete. Er versuchte per Megafon-Durchsage, eine Spontanversammlung auszurufen. Dies unterband die Polizei allerdings und beschlagnahmte das Megafon. Die eingekesselten Personen mussten sich einer Personalienfeststellung unterziehen und bekamen Platzverweise. Um ihnen den „Kessel-Aufenthalt“ so angenehm wie möglich zu machen, stellte die Polizei zwei „Dixi-Klos“ zur Verfügung.
Währenddessen versuchten AntifaschistInnen in einer Spontandemonstration, von der B14 Richtung Schlossplatz zu gelangen. Dies wurde am Charlottenplatz von Polizeikräften verhindert. Die DemonstrationsteilnehmerInnen zogen schließlich wieder zurück zum Picknick und verstreuten sich dann in der Innenstadt. Eine Vertreterin von Stuttgart gegen Rechts hatte zuvor angekündigt, an diesem Tag keine weiteren Versuche zu Störungen der verbotenen „Querdenker“ Versammlungen zu unternehmen.
Fiechtner agitiert mit Megafon
Ein Augenzeuge berichtete der Redaktion von einer Begegnung mit Heinrich Fiechtner (Ex-AfD). Er wollte mit seiner Anhängerschar unter „Einigkeit und Recht und Freiheit“-Rufen durch Stuttgart spazieren, wurde an diesem Vorhaben aber am Marienplatz durch ein Antikonfliktteam gehindert. Er beschwerte sich lautstark über das Verbot seines Spaziergangs. Unklar ist, ob er ihn nach der Diskussion doch fortsetzen konnte.
- EX-AfDler …
- … Heinrich Fiechtner …
- … in Aktion
Wie bereits am Karsamstag hatte die Polizei wieder sogenannte „Medien Safety Points“ aufgebaut. Diese fand man unter anderem am Marienplatz und an der Leonhardskirche. Diese sollen wohl JournalistInnen ein Gefühl von Sicherheit vermitteln. Dass Sicherheit auf Veranstaltungen aus dem „Querdenker-Spektrum“ nötig ist, hatte sich zuletzt am Karsamstag in Stuttgart gezeigt. An diesem Tag kam es zu beinahe 20 Angriffen auf JournalistInnen. Reporter ohne Grenzen (RSF) stufte unterdessen Deutschland in der Rangliste der Pressefreiheit ab. Grund hierfür die zahlreichen Übergriffe auf „Corona Demonstrationen“.
„Querdenker“ auch in Kempten
Dass sich Personen aus dem „Querdenker“-Umfeld nicht von durch Gerichte bestätigte Verbote abhalten lassen, zeigte sich auch in Kempten. Trotz Verbots mobilisierten zahlreiche Personen aus dem „Querdenker Spektrum“ ebenso wie extrem Rechte in die Stadt. Die Polizei ließ sie meist gewähren. Ohne Abstand und Masken durften sie Kundgebungen abhalten. Auch Aufzüge durch die Stadt waren kein Problem. Stattdessen hagelte es zahlreiche Platzverweise, und es kam zu Kesselungen der GegendemonstrantInnen, wie Kempten gegen Rechts berichtet.
Siehe auch Corona-Leugner dürfen marschieren, Gegenprotest wird kriminalisiert und
Samthandschuhe für Coronaleugner
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