Von Sahra Barkini und František Matouš – Stuttgart/Müllheim. Die russische Armee marschierte am 24. Februar völkerrechtswidrig in die Ukraine ein. Unter dem Eindruck dieses Angriffskrieges schlossen sich am 16. April, dem Ostersamstag, nach VeranstalterInnenangaben 2500 Menschen in Stuttgart dem Ostermarsch an. Veranstaltet wurde die Demonstration vom Friedensnetz Baden-Württemberg. Das diesjährige Motto lautete: „Schluss mit Krieg! Statt 100 Milliarden für die Bundeswehr – Abrüsten! – Atomwaffen abschaffen! Klima retten!“ Am Müllheimer Ostermarsch, der traditionell am Ostermontag stattfindet, beteiligten sich 180 Menschen. Initiator war der Friedensrat Markgräflerland.
In Anbetracht des Krieges durch den russischen Staatschef und Aggressor Wladimir Wladimirowitsch Putin wirkt es auf so manchen grotesk, für Frieden auf die Straßen zu gehen und sich gegen Waffenlieferungen an die Ukraine auszusprechen. Die Rednerin der Abschlusskundgebung Heike Hänsel, frühere Bundestagsabgeordnete der Linken, kritisierte das Diskreditieren und die Verleumdungen gegenüber der Friedensbewegung. Sie wies die Kritik zurück, die OstermarschiererInnen seien die fünfte Kolonne Putins oder von Linksextremen unterwandert. Diese „verleumderische Kritik und Unterstellungen“ kämen unter anderem von Menschen, die im Bundestag für jeden Kriegseinsatz gestimmt haben. Sie stünden für die Heuchelei und Doppelmoral des Westens.
In Stuttgart prägten auch in diesem Jahr die traditionellen bunten „Peace-Fahnen“ das Bild. Aber auch Forderungen wie: „Die Waffen nieder“, „Stoppt den Krieg“, „Abrüsten! Atomwaffen abschaffen! Klima retten!“ und immer wieder Kritik an der NATO waren zu lesen. Zu Beginn der Kundgebung wiesen die VeranstalterInnen darauf hin, dass Nationalflaggen nicht erwünscht seien. Das veranlasste einige Ukraine-solidarische Menschen dazu, den Kundgebungsplatz zu verlassen.
Rüstungsmilliarden fehlen anderswo
Während der Auftaktkundgebung gab das „Offene Treffen gegen Krieg und Militarisierung“ (OTKM) ein antimilitaristisches Theaterstück. Unter anderem wurden die Tarifverhandlungen thematisiert. Während man 2021 die Verhandlungen aufgrund der Pandemie verschieben wollte, solle in diesem Jahr der Krieg als Grund herhalten. Aber gerade jetzt brauche es Tarifverhandlungen, da die Lohnabhängigen sich die durch die Pandemie und nun durch den Krieg gestiegenen Preise bald nicht mehr leisten könnten, so die AktivistInnen. Auch wurden die 100 Milliarden-Euro-Sondervermögen kritisiert. Dieses Geld fehle bei Bildung, Energiewende und Gesundheit. Dieser Meinung waren nicht nur die AktivistInnen des Theaterstückes, es wurde auch auf Plakaten deutlich: „100 Mrd. für den Krieg? Nein! Stattdessen für Gesundheit!“ oder „Sparen für die Aufrüstung? Nein! Ihre Kriege nicht auf unserem Rücken“.
Der Demonstrationszug führte vom Oberen Schlossgarten über die Bolzstraße und die Theodor-Heuss-Straße zum Rotebühlplatz. In der Nähe der Eberhardstraße brachten AktivistInnen zwei Transparente an. Darauf war zu lesen: „Weder Putin, noch NATO! Keine 100 Mrd. für ihre Kriege!“. Über die Eberhardstraße zog die Demonstration auf den Schlossplatz, wo die Abschlusskundgebung abgehalten wurde. Die Moderatorin der Kundgebung Claudia Haydt von der Informationsstelle Militarisierung (IMI) forderte ein Wegkommen von der Logik der Eskalation und ein Hinkommen zur Logik des Friedens.
„Krieg durch nichts zu rechtfertigen“
Martin Gross, Landesbezirksleiter von Verdi Baden-Württemberg, verurteilte den durch nichts zu rechtfertigenden Krieg. Grenzen dürften nicht gewaltsam verschoben werden. Er erklärte: „Unser Respekt und unsere Solidarität gehören den bedrohten Menschen in der Ukraine, die mutig ihre Freiheit verteidigen. Und unser Respekt und unsere Solidarität gehören auch den Menschen in Russland und Belarus, die sich mutig trotz Verhaftungen und fortgesetzter Repressionen gegen diesen Krieg stellen.“ Gross forderte die russische Regierung müsse alle Angriffe unverzüglich einstellen und die Truppen aus der Ukraine zurückziehen. Die territoriale Integrität der Ukraine müsse auf Grundlage des Abkommens von Minsk wiederhergestellt werden.
Gross begrüßte „das schnelle und unmissverständliche Handeln der Europäischen Union und ihrer Mitgliedsstaaten“ im Umgang mit der Fluchtbewegung. Die Grenzen müssten für die Flüchtenden ohne Unterschied offen gehalten werden. Er sagte: „Dies gilt für alle Flüchtenden, egal welcher Hautfarbe und aus welchem Land sie kommen. Die Not der Menschen muss handlungsleitend sein und nicht ihre Herkunft.“ Er betonte außerdem, dass Verdi gemeinsam mit dem DGB dafür kämpfen werde, dass militärische Friedenssicherung nicht zulasten des sozialen Friedens erkauft wird. Und weiter: „Was wir erleben ist aber, dass Nationen hektisch aufrüsten! Meine Sorge ist: Indem sich die Länder auf das schlimmste vorbereiten, sorgen sie am Ende des Tages dafür, dass das Schlimmste passieren wird!“ Zum Abschluss sagte Gross: „Eine Welt, die bis auf die Zähne bewaffnet ist, wird auf Dauer keinen Frieden bringen, das ist meine feste Überzeugung.“
Gesundheit und Bildung statt Aufrüstung
Der Redner von „Jugend gegen Krieg“ (Verdi-Jugend, DIDF-Jugend, SDAJ) zeigte sich entsetzt über die aktuellen Entwicklungen. Jahrelang sei über die Forderung, die Hartz-IV-Sätze zu erhöhen, diskutiert worden. Die Erhöhung sei dann aufgeschoben worden, und letztlich gab es eine Aufstockung mit einer geringen Summe. Krankenhäuser wurden geschlossen und die nötige Entlastung der Pflegekräfte durch mehr Personal ignoriert. Die Forderungen der Lehrkräfte und SchülerInnen nach Verbesserungen im Bildungssystem blieben ungehört. Doch nun stellte sich Bundeskanzler Olaf Scholz als Gesicht einer Bundesregierung, die mit sozialer Gerechtigkeit, Umweltschutz und Bildung geworben hat, vor die Kameras und verkünde ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr. Im Vergleich: Der Bildungsetat für das gesamte Jahr 2021 betrug 20,8 Milliarden Euro.
Der Redner kritisierte, dass entgegen der Rufe „wir müssen nun alle sparen“ die Rüstungsindustrie satte Gewinne mache. So stiegen zwischen Februar und März diesen Jahres die Aktienkurse von Heckler & Koch um über 8 Prozent. Die von Rheinmetall um fast 70 Prozent. Und die des Rüstungskonzerns Hensoldt um 105 Prozent. Wenn es um Hochrüstung gehe, sitze das Geld locker, kritisierte der Redner. Er verurteilte den Krieg aufs schärfste und nannte ihn völkerrechtswidrig. Er sagte: „Die Sanktionen gegen Russland treffen die Bevölkerung und nicht die Herrschenden. Den Preis dieses Krieges zahlt die Bevölkerung der Ukraine, denn sie ist dem Tod, der Zerstörung durch den Krieg ausgesetzt, und sie verliert ihre Lebensgrundlage.“ Als „Jugend gegen Krieg“ solidarisiere man sich mit der Bevölkerung in der Ukraine sowie mit allen anderen, die unter diesem Krieg leiden.
Eine weitere Rede hielt Wolfgang Kramer (Pfarrer i.R.) für Pax Christi (siehe Videos unten).
- Wolfgang Kramer, Pax Christi
- Bayram Agusevi Band
Zum Abschluss der Kundgebung spielte die Bayram Agusevi Band.
Friedensrat will keine Partei ergreifen
Müllheim. Auch in Müllheim gab es einen Ostermarsch, und zwar bereits zum 25. Mal. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer versammelten sich am Ostermontag vor der Robert-Schuman-Kaserne, dem Stützpunkt der Deutsch Französischen Brigade. Unter dem Druck des Krieges in der Ukraine lautete das diesjährige Motto: „Beendet die Kriege, den Hass, die Gewalt! Frieden Jetzt!“ Trotz allgemeiner Anfeindung, welche nun überall der Friedensbewegung entgegentrete, betonte Ulrich Rodewald, der Vorsitzende des Friedensrats Markgräflerland: „Es ist nicht die Aufgabe der Friedensbewegung, für eine der kriegsführenden Mächte Partei zu ergreifen.“ Die Parole bleibt: „Frieden schaffen ohne Waffen!“. Kriege seien die schlimmsten Folgen des politischen Versagens. Unter ihnen litten immer ganz besonders die Menschen, welche sie nie gewollt hatten. Der Krieg in der Ukraine, wie auch alle Kriege, die zur Zeit auf der ganzen Welt im Gange sind, müsse sofort mit Verhandlungen gestoppt werden. Eine massive Aufrüstung sei der falsche Weg.
- Ulrich Rodewald, Friedensrat
- Befremdlicher Ordner mit Button der Partei „dieBasis“
Vom Friedensrat Markgräflerland angeführt, mit Musik und Gesang zog der Zug der etwa 180 Beteiligten durch die Stadt. Die alten Friedensbewegten der DKP, die VertreterInnen der Linken, der MLPD und Menschen aus Vereinen für Abrüstung, Friedensbewegungen und kirchlichen Organisationen liefen skandierend Schulter an Schulter, geeint mit dem Wunsch nach Weltfrieden. Die großen Parteien, die SPD und die Grünen, welche nun die größte Aufrüstung aller Zeiten befürworten, blieben allerdings fern. Hingegen wurde auch, eher befremdlich, ein Vertreter der „Basis“, einer aus den Anti-Corona-Protesten hervorgegangenen Partei mit teilweise antisemitischen Zügen, als Ordner im Demonstrationszug gesehen.
Auf dem Marktplatz in Müllheim wurden die Demonstrierenden traditionsgemäß mit Rhythmen der lokalen Roma-Brass Band empfangen. In ihrer Abschlussrede kritisierte Anne-Katrin Vetter vom Friedensrat Markgräflerland, dass trotz jahrelanger Behauptungen, es gäbe „keine Mittel“ für eine sozialere Welt, bei Kriegen plötzlich auch die früher pazifistischen Parteien wie die Grünen Milliarden für Rüstung hervorzaubern könnten. Sie wären vorher besser für eine gerechtere und sozialere Welt ausgegeben worden, um die Kriege zu verhindern.
- Roma-
- Brass Band
Ein kommentierender Gedanke unserer ReporterInnen:
Zum Repertoire der mit Inbrunst gesungenen Lieder beim Ostermarsch zählte auch dieses Jahr das berühmte Partisanenlied „Bella Ciao“. Doch gerade dies zeigt die Problematik der Friedensbewegung bei konkreten Kriegen. Der im Lied scheidende italienische Partisan zieht vermutlich nicht unbewaffnet in den Befreiungskampf gegen Faschismus und die nationalsozialistischen Besatzer …
Videos
Weitere Bilder vom Ostermarsch in Stuttgart
- Moderatorin Claudia Haydt
- Karin Binder, Die Linke
- Provokateur mit USA-Flagge
Weitere Bilder vom Müllheimer Ostermarsch
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