Von Angela Berger und Sandy Uhl – Stuttgart. Vor dem Landesarbeitsgericht Stuttgart wurde am Donnerstag, 5. Dezember, die Revision eines entlassenen Daimler-Mitarbeiters verhandelt. Ihm wird vorgeworfen, zusammen mit einem weiteren Kollegen einen türkischen Kollegen über einen längeren Zeitraum rassistisch beleidigt zu haben. Das Gericht hat das Urteil in zweiter Instanz bestätigt. Begleitet wurde die Verhandlung von Protesten vor dem Gerichtsgebäude und einer Kundgebung vor dem Willi-Bleicher-Haus. Die Polizei löste eine kurzzeitige Blockade auf, nachdem der Kläger mit seinen UnterstützerInnen bereits im Gerichtsgebäude war. Dabei setzte sie auch Pfefferspray ein.
Zwei Daimler-Mitarbeiter sollen einem türkischen Kollegen WhatsApp-Nachrichten mit islamfeindlichen Inhalten, Hakenkreuzen und Hitlerbildern geschickt haben. Als dies bekannt wurde, erhielten die beiden Mitarbeiter fristlose Kündigungen. Gegen das erste Urteil des Amtsgerichts Stuttgart vom 28. November 2018 legten die beiden entlassenen Daimler-Mitarbeiter Revision ein.
Der Fall beschäftigt die Gerichte und die Medien schon seit längerer Zeit. Faschistische Umtriebe in einem international agierenden Unternehmen ziehen die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf sich.
Zeichen gegen Hass und Hetze
Ein Bündnis aus Gewerkschaften und antifaschistischen Organisationen nahm den Verhandlungstermin zum Anlass, um ein deutliches Zeichen für ein friedliches Miteinander und für Vielfalt im Betrieb und in der Gesellschaft zu setzen. Bereits um 7 Uhr hatten sich etliche Kundgebungs-TeilnehmerInnen vor dem Gerichtsgebäude versammelt. Die Zahl wuchs bis zum Verhandlungsbeginn auf rund 70 an.
Daimler-Mitarbeiter erscheint mit rechten Unterstützern
Gegen 10.30 Uhr tauchte der entlassene Daimler-Mitarbeiter Timo W. mit seinem Anwalt und weiteren UnterstützerInnen auf. AktivistInnen bildeten spontan eine Kette, die den Zugang zum Gerichtsgebäude versperrte und „begrüßte“ die rechte Truppe mit fliegenden Eiern. Die Polizei schritt anfangs nicht ein, schirmte jedoch die Gruppe um den entlassenen Daimler-Mitarbeiter ab.
Unter den Unterstützern von Timo W. befanden sich auch Oliver Hilburger und Simon Kaupert. Hilburger ist Gründer der AfD-nahen Organisation „Zentrum Automobil“, Betriebsrat bei Daimler und ehemaliges Mitglied der Rechtsrock Band „Noie Werte“ (siehe „Den Rattenfängern widersprechen“.)
Kaupert tritt immer wieder als Kameramann für „Zentrum Automobil“ bei Veranstaltungen in Erscheinung, wie eben in Stuttgart. Nach Antifa-Recherchen aus Graz soll Kaupert Aktivist der Initiative „Ein Prozent“, Gründer des Pegida-Ablegers „WÜGIDA“ und 2015 Teilnehmer des Pfingstlagers der NPD-Jugendorganisation „Junge Nationaldemokraten“ gewesen sein. 2016 produzierte er gemeinsam mit Martin Sellner ein Video für die AfD-Landtags-Abgeordnete Sarah Sauermann. Kaupert provozierte vor dem Gerichtsgebäude immer wieder dadurch, dass er ProtestteilnehmerInnen filmte.
Polizei setzt Pfefferspray ein
Durch lautstarke Parolen wie „Wer schweigt stimmt zu, lasst Rassisten nicht in Ruh“ oder „Wer hetzt, der fliegt – Zentrum lügt“ wurde die Blockade der Zugänge zum Gerichtsgebäude knapp eine Stunde aufrechterhalten, bevor die Polizei sie gewaltsam beendete. Obwohl die Unterstützer-Gruppe um den entlassenen Daimler-Mitarbeiter bereits in einen Seiteneingang zum Gerichtsgebäude geleitet worden war, löste die Polizei den Protest unter Einsatz von Schlagstöcken und Pfefferspray auf (siehe auch Video unten). Zuvor hatten die AktivistInnen schon über Megafon angekündigt, sich geordnet zurückzuziehen. Nach eigenen Angaben wurden mindestens 20 AktivistInnen verletzt. Der Beginn der Verhandlung verzögerte sich durch die Aktion um knapp eine halbe Stunde.
Nie wieder Faschismus
Bereits um 10 Uhr gab es vor dem Willi-Beicher-Haus gegenüber vom Landesarbeitsgericht eine vom DGB organisierte Kundgebung. Unter anderem sprachen der baden-württembergische DGB-Landesvorsitzende Martin Kunzmann, Nadine Boguslawski Geschäftsführerin der IG Metall Stuttgart, und Miquel José Revilla, Betriebsrat und Vertrauenskörperleiter der IG Metall im Mercedes-Benz-Werk Untertürkheim.
Kunzmann betonte in seiner Rede, dass es unerträglich sei, dass sich Rechte in den Betrieben breitmachen. Der Schwur von Willi Bleicher „Nie wieder Faschismus“ müsse tagtäglich in die Gesellschaft und in die Betriebe getragen werden. Er appellierte auch an die Unternehmen und ihre Verantwortung.
Revilla lobte Daimler für die schnelle Reaktion und dafür, dass die Firma den beiden rassistischen Mitarbeitern fristlos gekündigt hat.
Landesarbeitsgericht lehnt Revision ab
Am Donnerstagnachmittag lehnte das Landesarbeitsgericht die Revision des Klägers Timo W. nach mehreren Stunden Verhandlung ab. Das Gericht hat damit die massiven rassistischen und fremdenfeindlichen Beleidigungen als Grund für die Kündigung bestätigt. Wegen der Brisanz des Falls waren die Zuschauerplätze im Saal 5 des Landesarbeitsgerichts voll besetzt. Auch vor der Tür warteten Interessierte, die nicht in den Saal kamen.
Entlassener Mitarbeiter hat WhatsApp-Nachrichten verschickt
Der Kläger gab vor Gericht zu, die drei WhatsApp-Nachrichten geschickt zu haben. Sein Anwalt Tobias Gall aus Berlin sah die islamfeindlichen Nachrichten nicht als Beleidigungen. Wenn überhaupt seien sie allenfalls „geschmacklos“ gewesen. Der Anwalt berief sich auf die Kunstfreiheit und darauf, dass die Memes Satire gewesen seien.
Der Betroffene hatte zusammen mit dem Kläger und einem anderen Mitarbeiter, dessen Revisions-Verhandlung auf den 19. Dezember terminiert ist, in einer Schichtgruppe im Werk Mettingen gearbeitet. Die Nachrichten seien über den Messenger-Dienst WhatsApp an die private Nummer des Kollegen gesendet worden. Dort seien aber auch betriebliche Nachrichten kommuniziert worden.
Bauernopfer von rechter „Gewerkschaft“
Der Rechtsanwalt der beklagten Daimler AG entgegnete: „Wer das verbreitet, verbreitet rassistisches Mobbing.“ Das sei von einem Konzern wie der Daimler AG auf keinen Fall zu dulden und führe zur Kündigung.
Der Kläger, der von der rechten „Gewerkschaft“ „Zentrum Automobil“ vertreten wird, scheint so zum Bauernopfer der Ziele dieser Gruppierung geworden zu sein. Die sogenannte „Gewerkschaft“, die die Ängste der Mitarbeiter in der Transformationsphase vom Verbrennungsmotor zu neuen Antriebstechnologien ausnutzt, macht es sich einfach: Sie ist halt dagegen. Mit Parolen wie „Rettet den Diesel“ und „die IG-Metall ist von der Konzernleitung gekauft“ lassen sich solche Probleme jedoch nicht lösen.
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