Kommentar von Sahra Barkini – Stuttgart. -In den letzten Tagen wurde uns vor Augen geführt, dass der Staat einfach alles dran setzt, die Interessen eines Großkonzerns – nämlich RWE – durchzusetzen. Da wird kurzerhand die Pressefreiheit ausgehebelt oder beschnitten. JournalistInnen durch Polizei und RWE-Security attackiert. „Akkreditierungen“ entzogen, Platzverweise erteilt. Oder es gibt gleich Gefährderansprache gegen JournalistInnen. Doch dieser massive Eingriff in die Pressefreiheit führt zu kaum einer Erwähnung in den Medien. Gibt es unter JournalistInnen keine Kollegialität? Der Chef der dju Berlin-Brandenburg Jörg Reichel wurde nicht müde, jede Verfehlung von Polizei und RWE Security aufzuzeigen. In der abschließenden Pressemitteilung attestiert er dann auch ein negatives Verhältnis zur Pressefreiheit.
In der ausführlichen Auflistung finden sich neben körperlichen und sexualisierten Übergriffen auch willkürliche Schikanen und „Akkreditierungs“-Entzüge. JournalistInnen die Akkreditierung zu entziehen, kennen wir schon vom G20-Gipfel. Damals traf es neben einer Reihe weiterer JournalistInnen auch unseren Chefredakteur. Inzwischen wurde das damalige Vorgehen der Behörden für rechtswidrig erklärt (siehe: „Klare Niederlage für die BRD“ und „Entzug der Akkreditierung war rechtswidrig„).
Viele Medien machten es sich die letzten Tage sehr einfach und veröffentlichten nur die Pressemitteilungen der Polizei – und zwar unhinterfragt. Dabei sollte inzwischen bekannt sein, dass dies kein Journalismus ist, sondern höchstens PR. Die „Tagesschau“ tat sich da als negatives Beispiel besonders hervor. Eigentlich ein Armutszeugnis für den Öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Dabei veröffentlichte der deutsche Journalistenverband (DJV) bereits 2019 eine Pressemitteilung mit dem Hinweis „Polizeiberichte kritische hinterfragen“. Er rief dazu auf, „Meldungen und Informationen der Polizeibehörden in allen Fällen kritisch zu hinterfragen. Aktueller Anlass sind Presseinformationen der Polizei über die Besetzung des Tagebaus Garzweiler durch Klimaaktivisten.“ Zur Gewalt gegen JournalistInnen sagte ein Redner bei einer Fridays-for-Future-Demonstration in Stuttgart: „Ein Angriff auf die Presse ist ein Angriff auf uns alle.“ Schade, dass dies so viele Medienschaffende anscheinend anders sehen. Denn das Schweigen im Blätterwald zu diesem Thema ist ohrenbetäubend.
Am Samstag dann war der Tag der Großdemonstration aus Solidarität mit Lützerath. Aus vielen Städten Deutschlands sind Leute angereist. Es steht eine Zahl von 35 000 TeilnehmerInnen im Raum. Polizeipräsident Dirk Weinspach sagte gegenüber dem WDR, es seien weitaus mehr Menschen als angemeldet gekommen. Sollte versucht werden, in Richtung Tagebau oder Lützerath zu gelangen, werde die Polizei das mit aller Macht verhindern. Klingt ein bisschen nach Polizeigewalt mit Ansage – und war es dann auch. Und das, obwohl es im Vorfeld hieß, man wolle deeskalierend sein. Auch von einer friedliche Räumung war die Rede.
Ein Teil der DemonstrantInnen löste sich von der Versammlung und versuchte in Richtung Abbruchkante und Lützerath zu gelangen. Die BeamtInnen reagierten mit Schlagstock und Pfefferspray. Sowie mit Wasserwerfern. Sie stürmten in Gruppen von DemonstrantInnen und prügelten los. DemosanitäterInnen sprechen von vielen Verletzten (im dreistelligen Bereich), einige davon schwer. Die Verletzungen im Einzelnen: Knochenbrüche, Folgen gezielter Schläge auf den Hals mit Fäusten und Schlagstock, mindestens ein Hundebiss, der im Krankenhaus behandelt werden musste, zahlreiche Verletzungen durch Pfefferspray und mindestens eine Rippenprellung sowie mindestens eine bewusstlose Person.
Die Dunkelziffer liegt womöglich höher. Außerdem wurde wohl auf eine sich bereits in Behandlung befindlichen Person weitereingeschlagen. Und was tun die Medien? Sie konzentrieren sich vorrangig auf verletzte PolizistInnen. Die AktivistInnen sind – wenn überhaupt – eine Randnotiz wert. Wieder wird unhinterfragt eine von der Polizei übermittelte Zahl übernommen. Dabei gab es zu diesen Zahlen vor Jahren eine lesenswerte Spiegelkolumne.
Nun kann man natürlich argumentieren, die AktivistInnen waren nicht mehr auf der Versammlungsfläche, die Polizei muss so reagieren. Nein, das muss sie nicht. Das tat sie die vergangenen Jahre gegenüber den „Querdenkern“ auch nie. Zumal es eine Allgemeinverfügung gibt, die festlegte, wo ein Aufenthaltsverbot gilt. Weite Teile der Polizeigewalt fand allerdings außerhalb dieser Fläche statt, war also möglicherweise rechtswidrig. Sie wird aber wohl, wenn überhaupt, auch erst in einigen Jahren für rechtswidrig erklärt. Das kennt man schon von der Gewalteskalation seitens der Polizei am „Schwarzen Donnerstag“ bei den Protesten gegen Stuttgart 21.
Die überwiegende Mehrheit der Medien verbreitet lieber die Lobeshymnen der Gewerkschaft der Polizei (GdP). Sie hat noch am Samstagabend getwittert, welch „Riesen-Job“ die PolizistInnen gemacht haben. Wenn es ein „Riesen-Job“ sein soll, Menschen krankenhausreif zu prügeln und JournalistInnen in ihrer Arbeit zu behindern, habe ich eine andere Auffassung von guter, erfolgreicher Arbeit. Ich frage mich wieder einmal, warum diese Gewerkschaft weiterhin unter dem Dach des DGB agiert.
Aber nicht nur die Medien schweigen, auch die PolitikerInnen scheinen nichts zu sagen zu haben. Vielleicht ist das auch besser so, bevor sich wieder eine oder einer so äußert wie der damalige Oberbürgermeister von Hamburg und jetzige Bundeskanzler Olaf Scholz. Der hat ja nach dem G20 keine Polizeigewalt gesehen.
Von dieser Stelle gute Besserung den AktivistInnen. Es ist zu hoffen, sie können das Geschehen sowohl physisch als auch psychisch gut und schnell verarbeiten.
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