Von Sahra Barkini – Stuttgart. Um „zwei vor zwölf“ versammelten sich am Samstag, 20. April, nach Veranstalterangaben zirka 2500 TeilnehmerInnen zum Ostermarsch unter dem Motto „Abrüsten statt Aufrüsten!“ in der Stuttgarter Lautenschlagerstraße. Einzelpersonen, Organisationen und Parteien unterstützten die Demonstration – unter anderem die Linke Baden-Württemberg, der AK Asyl Stuttgart, Gewerkschaften und das OTKM (Offenes Treffen gegen Krieg und Militarisierung).
Bei der Auftaktkundgebung in der Stuttgarter Innenstadt sprach unter anderem Heike Hänsel, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Linken im Bundestag. Zu den Feierlichkeiten zu 70 Jahre Nato in Washington sagte sie: „70 Jahre Nato sind genug, sie ist ein Relikt des kalten Krieges und hätte wie der Warschauer Pakt aufgelöst werden müssen.“ Hänsel forderte, dass Deutschland aus der Nato austritt. Sie sei mitnichten ein Garant für Sicherheit und Frieden.
Weiter kritisierte die Abgeordnete, dass der Nato-Partner Türkei völkerrechtswidrig Nordsyrien (Afrîn) besetzt hält und keiner etwas dagegen sage. Sie kritisierte auch die Aufkündigung des INF-Vertrags und warnte vor neuen Kriegsszenarien in Europa. Die Kommandozentralen Eucom und Africom müssten geschlossen werden. An diesen Standorten könnte der in Stuttgart so dringend benötigte günstige Wohnraum entstehen.
„Nato-Logistikkommando-Zentrale in Ulm schließen“
„Wir brauchen keine neuen Kommandozentralen für den Krieg in Baden-Württemberg, sondern wir brauchen Konversionsprojekte der Rüstungsfirmen“ forderte Hänsel. Die neue Nato-Logistikkommando-Zentrale in Ulm müsse wieder geschlossen werden. Wenn das Zwei-Prozent-Ziel erfüllt wird, bedeutete das 80 Milliarden Euro jährlich an Ausgaben für Militär und Rüstung. Deutschland wäre die mit Abstand größte Militärmacht in Europa. Und das nach zwei Weltkriegen, die von Deutschland ausgingen.
Wer könne solch eine hochgerüstete Militärmacht mitten in Europa wollen, fragte die Abgeordnete. Dieses Vorhaben sei eine Gefahr für die Sicherheit und kein Betrag zur Sicherheit. Es solle ein militärisches Schengen aufgebaut werden, währenddessen es Geflüchtete immer schwerer hätten, auf das europäische Festland zu kommen. Sie würden festgehalten und kriminalisiert. SoldatInnen sollten dagegen freien Durchzug durch ganz Europa haben. „Grenzen zu für Soldaten – Grenzen auf für Geflüchtete“, forderte Hänsel.
„Rechtes Netzwerk bedroht Menschen“
Ein Aktivist des OTKM Stuttgart kritisierte das weitverzweigte rechte Netzwerk im Umfeld von Militär, Polizei und Geheimdienst. „Diese Faschisten führen Listen über Menschen wie uns. Menschen die nicht in ihr rechtes Weltbild passen“, sagte er. Einer der Angehörigen dieses rechten Netzwerkes arbeite im Bundestag für den AfD-Abgeordneten Jan Nolte. Dort komme er auch an Informationen zu seinem eigenen Fall, und er habe einen Bundestagshausausweis. Das bedeute, dass sich ein Mensch, der in seiner Freizeit Terrorpläne schmiedet, frei im Bundestag bewegen kann.
„Die Frage ist: Was läuft hier eigentlich falsch?“, so der Aktivist weiter: „Und wenn ich dann Dinge höre, wie die Bundesregierung hat keine Erkenntnisse über das angebliche Bestehen eines rechten Netzwerkes im Umfeld der Bundeswehr, dann werde ich wütend, wütend darüber, dass man so ignorant sein kann, dieses Problem einfach zu leugnen, wütend darüber, dass dieser Staat nichts aus seinem Versagen beim NSU gelernt hat“. Mit den Worten: „Nie wieder Krieg! Nie wieder Faschismus!“, beendete er seine Rede.
Abschluss mit dem Theodorakis-Ensemble
Im Anschluss setze sich eine bunte und laute Demonstration in Bewegung, bei der unter anderem die „Omas gegen Rechts“, vertreten waren. Der Demonstrationszug führte die Lautenschlagerstraße entlang, über die Theodor-Heuss-Straße zum Rotebühlplatz durch die Eberhardstraße, über die Hauptstätterstraße, vorbei am „Hotel Silber“ und zur Abschlusskundgebung auf dem Stauffenbergplatz.
Dort sprachen unter anderem Pfarrer Joachim Schlecht vom Arbeitskreis Asyl Stuttgart (Ak Asyl), Anne Rieger vom Bundesausschuss Friedensratschlag (ehemals Landessprecherin der VVN-BdA Baden-Württemberg und zweite Bevollmächtigte der IG Metall Waiblingen) und Elke Banabak von der Initiative Lern- und Gedenkort Hotel Silber. Die Moderation übernahm Heike Hänsel. Für die musikalische Untermalung sorgten Henning Zierock und das Theodorakis-Ensemble.
„Es wird Krieg gegen Geflüchtete geführt“
Asylpfarrer Joachim Schlecht sagte: „Krieg ist keine Form sinnvoller Konfliktlösung.“ Auf dem vergifteten Boden immer mehr angehäufter Waffen wüchsen nur Elend, Tränen, und unsägliche Not. „Hört endlich auf zu glauben, immer mehr Waffen könnten Gutes bewirken“, so Schlechts Appell. Er bemängelte, dass Krieg gegen Geflüchtete geführt werde, anstatt die Fluchtursachen zu bekämpfen.
„Es wird auf die Schwächsten eingeschlagen. Man lässt sie ertrinken, sperrt sie in immer größere Lager.“ Er kritisierte auch die jüngste Gesetzgebung auf Initiative von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU), die mit dem Segen der SPD durchgewunken wurde. Die Waffenschieber müssten bekämpft werden nicht die Menschenretter, forderte der Pfarrer.
„Eine Welt ohne Flucht und Vertreibung“
Anne Rieger sagte unter anderem: “ Eine andere Welt ist möglich! Eine Welt ohne Krieg, ohne Unterdrückung, ohne Flucht und Vertreibung“. Sie kritisierte, dass jährlich 50 Milliarden Euro für Aufrüstung und Krieg ausgegeben werden, aber 6 Prozent höhere Löhne laut dem Berliner Finanzsenator Matthias Kollatz (SPD) völlig überzogen seien. Sie fuhr fort: „Kriege beginnen hier, und deswegen fordern wir die Ausgaben des sogenannten Verteidigungsministeriums sofort einzufrieren und nicht um die geplanten 4 Milliarden Euro zu erhöhen.“
Dann sagte sie: „Ich möchte mit Rosa Luxemburg schließen: ‚Zu sagen was ist, bleibt die revolutionärste Tat.‘ Begehen wir täglich diese revolutionäre Tat: Klären wir täglich auf über die Gefahr eines Atomkrieges. Sammeln wir Unterschriften unter den Appell: Abrüsten statt Aufrüsten!“
Die gesamte Rede von Anne Rieger zum nachlesen: https://www.friedenskooperative.de/ostermarsch-2019/reden/Anne-Rieger-Stuttgart
AfD-Umfeld hält „Mahnwache“ ab
Auch in weiteren Städten Baden-Württembergs gab es rund um das Osterwochenende Demonstrationen. In Mannheim waren nach Polizeiangaben 800 TeilnehmerInnen auf dem Ostermarsch. Weitere Ostermärsche gab es in Offenburg und Ellwangen sowie in Biberach und Ulm, außerdem in Konstanz/Kreuzlingen und Mühlheim.
Im Anschluss an den Stuttgarter Ostermarsch versammelten sich auf dem Schlossplatz mehrere Personen aus dem rechten Spektrum, berichten AktivistInnen. Unter anderem waren der Fellbacher Michael Stecher, Myriam Kern (Ex-AfD Abgeordnete aus Landau, auch bekannt unter dem Namen „Myriam – Stimme für Kandel“) und Henryk Stöckl, ein rechter Youtuber, vor Ort. Sie sollen mit Unterstützung der „Gelbwesten für Deutschland“ augenscheinlich eine Mahnwache gegen Kindesmissbrauch abgehalten haben, um mit diesem Thema bei der breiten Öffentlichkeit Zustimmung zu bekommen.
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