Von unseren ReporterInnen – Stuttgart. Die Demonstration war fröhlich, laut, kreativ und bunt: Wer glaubte, die GegnerInnen der Handelsabkommen CETA und TTIP würden sich von den schlechten Wetterprognosen des Vortags abschrecken lassen, sah sich getäuscht. 30 000 DemonstrantInnen aus ganz Baden-Württemberg wurden am Samstagmittag, 17. September, in Stuttgart erwartet. Am Ende waren es weit mehr. Das Veranstalter-Bündnis aus Umwelt-, Verbraucher- und Sozialverbänden, Gewerkschaften, Kirchen und Parteien zählte bei bestem Wetter 40 000 TeilnehmerInnen aus allen Altersgruppen.
Die Polizei sprach nur von halb so vielen. In Stuttgart amüsierte man sich über eine Meldung der Deutschen Presseagentur, die am späten Vormittag von 4000 bis 5000 DemonstrantInnen berichtete, während immer mehr Menschen auf den Platz vor dem Stuttgarter Hauptbahnhof drängten und für jeden Beobachter leicht zu erkennen war, dass eine fünfstellige Zahl von Menschen unterwegs sein musste.
Das eigens installierte Zählteam der Veranstalter kam immerhin auf achtmal so viele wie von der dpa genannt. Klar ist, dass die Erwartungen der Veranstalter deutlich übertroffen wurden. Nach der Kundgebung vor dem Hauptbahnhof dauerte es über eine Stunde, bis sich alle Blöcke des Demozugs in Bewegung gesetzt hatten.
Bundesweit Hunderttausende auf den Straßen
Bundesweit gingen am Samstag nach Angaben des Demo-Bündnisses über 320 000 Menschen gegen CETA und TTIP und TISA auf die Straße: In Leipzig 15 000, in München 25 000, in Frankfurt 50 000, in Köln 55 000, in Hamburg 65 000 und in Berlin 70 000. Die Polizei sprach am späten Nachmittag von bundesweit mindestens 180 000 DemonstrantInnen und bestätigte zumindest für Berlin die Angaben der Veranstalter. Doch da hatten die meisten Medien längst aufgrund der zunächst verbreiteten Zahlen von einem angeblich enttäuschenden Zulauf berichtet.
Die Versammelten forderten einen fairen Welthandel, hohe Umwelt- und Sozialstandards und gute Arbeitsbedingungen statt einer Ermächtigung der Konzerne. Investoren erhalten durch die geplanten Freihandelsabkommen die Möglichkeit, vor Sondergerichten gegen Staaten zu klagen. Die KundgebungsrednerInnen werteten das als Angriff auf die demokratischen Rechte der gewählten Parlamente. Sie sahen dabei keinen wesentlichen Unterschied zwischen TTIP, dem geplanten Abkommen mit den USA, und dem bereits ausverhandelten CETA-Abkommen mit Kanada.
Martin Gross, Verdi: „Macht endlich wieder Politik für die Menschen“
„Es ist für uns unvorstellbar, dass es von Unternehmen bezahlt eine zweite Gerichtssäule gibt“, sagte der stellvertretende Landesleiter der Gewerkschaft Verdi Martin Gross unter starkem Beifall: „Egal ob rein privat oder pseudo-öffentlich-rechtlich – wir haben ein anderes Verständnis von Demokratie.“ Er appellierte an CDU und FDP, aber auch ganz besonders an die SPD, „endlich wieder Politik für die Menschen zu machen“.
Die SPD will am Montag bei einem Parteikonvent in Wolfsburg über die Zustimmung zu CETA entscheiden. Der Bundesvorstand hat beantragt, das Abkommen mit Kanada durchzuwinken, die Basis gilt jedoch als kritischer. Der Parteivorsitzende und Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel hat deshalb am Wochenende noch einmal heftig die Werbetrommel für das Abkommen gerührt. „Lasst Euch keinen Sand in die Augen streuen“, wurde dagegen auf der Bühne und im Demozug immer wieder an die Delegierten des kleinen SPD-Parteitags appelliert.
Störungen von Rechts blieben weitgehend aus
In den Demozug hatte sich auch die Verdi-Landes-Chefin und designierte SPD-Landesvorsitzende Leni Breymaier eingereiht. Auch die Ulmer Bundestagsabgeordnete Hilde Mattheis vom linken Flügel der SPD war vor Ort. Von den Grünen liefen unter anderem Landtagspräsidentin Muhterem Aras, die Landtagsabgeordnete Brigitte Lösch und die Bundestagsabgeordnete Beate Müller-Gemmeke mit. Die Grüne Jugend hatte schon am Freitag von Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann gefordert, klar Stellung gegen CETA zu beziehen.
Die Stimmung war am Samstag in Stuttgart bestens. Die befürchteten Störmanöver rechtspopulistischer und rechtsextremistischer Gruppen, die das Demobündnis als unerwünscht abgelehnt hatte, blieben weitgehend aus. Zwar hatten Veranstalter und Polizei Rechtsextremisten im Bahnhof entdeckt. Sie wurden jedoch nicht in der Menge gesichtet und verschwanden schnell. Allerdings standen während der Demo gegenüber des Landtags Mitglieder der rechten Gruppierung „Fellbach wehrt sich“ und filmten Teilnehmer des Umzugs. Die Polizei bot ihnen dabei Schutz und schirmte sie ab.
Rosa und blauer Rauch beim Antikapitalistischen Block
Um einen von den Moderatoren als Abordnung des Zentrums Lilo Herrmann in Heslach angekündigten Demowagen sammelte sich ein Antikapitalistischer Block mit zunächst 150, später 250 DemonstrantInnen. Er wurde auf der ganzen Strecke mal von mehr, mal von weniger Polizei-Einsatzkräften im Spalier begleitet. Dennoch war in der Nähe des Arnulf-Klett-Platzes und in der Nähe des Landtags aus seiner Richtung rosa und blauer Rauch zu sehen.
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Ganz am Ende des Demozugs hatte die Linke ihren Lautsprecherwagen. Er wurde von etwa 300 DemonstantInnen begleitet. Reden hielten unter anderem die stellvertretende Vorsitzende der Bundestagsfraktion der Linken Heike Hänsel und der frühere Europaabgeordnete Tobias Pflüger, stellvertretender Bundesvorsitzender der Partei.
Die Figur Dundu verzauberte viele
Während sich am späten Vormittag eine bunte Mischung aus Parteien und Initiativen mit Menschen aller Altersgruppen auf dem Platz vor dem Hauptbahnhof versammelte, spielten auf der Bühne eine halbe Stunde vor Beginn Maxo and the Dudes – eine Band von Krankenpflegeschülern des Tübinger Uniklinikums, und das Publikum machte mit. Den Lautstärketest der Band bestand das Publikum mit Bravour: Die Musiker zählten von drei auf null herunter, dann erscholl lautstarkes Getöse mit Pfeifen und Rufen.
Viele DemoteilnehmerInnen waren mit Bussen angereist. Von der Bühne sah man auf ein buntes Fahnen- und Luftballonmeer in allen Regenbogenfarben. Hinter der Bühne gab es ein Logistik-Zelt, in dem sich Redner, Demosanitäter, Presseleute, Musiker und andere absprechen und bei den Versorgern stärken konnten. Für Aufsehen sorgte die überdimensionale, mit Stangen bewegte und von Tobias Husemann entworfene Figur Dundu. Sie wird in Stuttgart hergestellt, 14 Beschäftigte hat das kleine Unternehmen. Während Dundus Auftritt spielte Charisius auf der Kora, einem westafrikanischen Erzählinstrument. Auch in Hamburg lief eine Dundu-Figur in der Demo für fairen Handel mit.
Im Bündnis war kein Platz für Rassisten
Der Kabarettist HG Butzko nahm die Versprechungen auf die Schippe, mit denen die Handelsabkommen durchgesetzt werden sollen. „Stellt euch vor, Viagra macht Werbung mit einem Wachstum von 0,5 Prozent“, spottete er. Nafta, das Abkommen zwischen den USA und Mexiko, habe die Folgen des so genannten Freihandels gezeigt.
Cuno Hägele von Verdi und Stephanie Biesolt von der Landesbühne Esslingen moderierten die Kundgebungen. „Rassisten, Rechtsextremisten und Rechtspopulisten haben auf dieser Demonstration nichts verloren“, stellten sie immer wieder klar. Das fange bei der AfD an. „Wir sind gegen TTIP und CETA. Wir sind solidarisch mit allen Menschen“, wandte sich Hägele unter tosendem Beifach gegen „Rechtspopulisten, Neonazis und das ganze braune Gesocks“. Das Motto der Versammelten sei immer noch: „Eine andere Welt ist möglich, eine andere Welt ist nötig, und diese andere Welt ist bunt und nicht braun.“
Auch Peter Grohmann – Kabarettist, Autor und AnStifter – betonte, eine andere Welt sei möglich, es sei genügend für alle da. Er reimte auf der Bühne: „Lasst euch nicht von Gabriel foppen, denn wir können CETA, TTIP, TISA stoppen“.
Kirchen fordern partnerschaftlichen Handel
Neben der Band aus Tübingen machte auch Jahcoustix Musik. Disc Jockey Danny Joel Steinmann alias Deeds the Rabbit und Körpa Klauz rappten gegen CETA und TTIP, aber auch gegen die Bundes- und Landesregierung. „Es gibt kein ruhiges Hinterland, Widerstand im Schwabenland“, hieß es immer wieder, während sich der Demozug in Bewegung setzte. Auch die Demobands Lokomotive und Capella liefen mit.
Insgesamt sprachen bei der Auftakt- und der Schlusskundgebung in Stuttgart 14 RednerInnen. Jochen Cornelius-Bundschuh, Landesbischof der Evangelischen Landeskirche in Baden, forderte auch im Namen der katholischen Kirche fairen, nachhaltigen und partnerschaftlichen Handel. „Es geht uns nicht in erster Linie um ein Nein. Unsere Vision geht weiter: Wir wollen Globalisierung gerechter gestalten“, erklärte er.
Die meisten VerbraucherInnen lehnen gentechnisch veränderte Produkte ab
„Rund 80 Prozent der Verbraucherinnen und Verbraucher wollen keine Gentechnik auf ihren Tellern“, stellte Brigitte Dahlbender, die Landesvorsitzende des BUND, klar. In Europa liege der Anteil der Gentechnik-Fläche an der gesamten Ackerfläche bei 0,1 Prozent, in Kanada bei 27 Prozent. „Die Zivilgesellschaft hat in Europa im Umweltschutz sehr viel erreicht. Das dürfen wir nicht aufs Spiel setzen“, forderte sie. Wenn die Parteien für CETA und TTIP stimmten, befeuerten sie die Entfremdung zwischen Bürgerschaft und Politik.
Martin Gross von Verdi sprach auch für den DGB und seine acht Mitgliedsgewerkschaften. „In diesem Herbst haben wir eine historische Chance. Zum ersten Mal können wir ein neoliberales Projekt globalen Ausmaßes stoppen, bevor es in Kraft getreten ist“, sagte er. Wenn es gelinge, die Notbremse zu ziehen, sei das ein Quantensprung für den gesellschaftlichen Widerstand gegen eine globale Politik, die von Unternehmen und Konzernen diktiert wird.
Mehr Demokratie will Volksentscheid über CETA und TTIP
Die Landesgeschäftsführerin von Mehr Demokratie Sarah Händel forderte „endlich bundesweite Volksentscheide für mehr transparente und bürgernahe Politik“ statt Demokratieabbau und Durchsetzen von Lobbyinteressen.
Maude Barlow, Vorsitzende des Council of Canadians, der größten kanadischen Organisation für Umwelt und Bürgerrechte, berichtete vom Widerstand gegen die Freihandelsabkommen in Nordamerika. CETA seit TTIP durch Kanada als Hintertür. Dieselben Politiker, die jetzt sagen, TTIP sei tot, unterstützten weiterhin CETA als angeblich „gutes“ Handelsabkommen im Gegensatz zum „schlechten“ TTIP: „Amerikanische Unternehmen werden die Verfahren im CETA genauso nutzen können, wir sie es bei TTIP nutzen könnten.“
BUND-Jugend: Gesellschaft muss sich gegen Wachstumsdiktat wehren
Marina Blum, Landessprecherin der BUND-Jugend Baden-Württemberg, hatte die Auftaktkundgebung eröffnet. Die Abkommen erschienen „wie ein verzweifelter Versuch der Politik, eine Wirtschaft am Laufen zu halten, die ohne Wachstum anscheinend nicht funktioniert“. Ihre Forderung: „Wir sollten als Gesellschaft dringend anfangen, uns vom Wachstumsdiktat der Wirtschaft zu befreien.“
Maria-Luisa Werne sprach für das Netzwerk Solidarische Landwirtschaft: „Wir streben das Ziel einer solidarischen, fairen und sozialen Verteilung der Ressourcen an und wollen Werte wie Verteilungsgerechtigkeit, Basisdemokratie und Ernährungssouveränität pflegen“, erklärte sie.
Kleinunternehmen wollen gentechnikfreie Grundstoffe
Gottfried Härle von der Brauerei Härle sprach als Vertreter der KMU (kleine und mittelständische Unternehmen) gegen TTIP. Nur 150 000 Betriebe in der EU exportierten in die USA. Das entspreche einem Anteil von 1,5 Prozent. Ihrer Interessen wegen müssten viele Nachteile befürchten. „Ich will als Unternehmer gar keine Sonderrechte, sondern ganz einfach faire und transparente Regeln umsetzen“, betonte Härle. Er warf SPD-Wirtschaftsminister Gabriel vor, sich den Interessen von Großkonzernen und Lobbyverbänden zu beugen, statt die kleinen und mittleren Unternehmen im Blick zu behalten.
„Wenn wir wollen, dass ökologische Grenzen respektiert, soziale Gerechtigkeit hergestellt und gutes Wirtschaften zusammenkommt, wenn wir also Nachhaltigkeit gestalten wollen, dann braucht es Regeln und Begrenzungen statt Deregulierung und einseitiger Berücksichtigung von Handelsinteressen.“ Das sagte Regina Schmidt-Kühner, die stellvertretende Bundesvorsitzende der Naturfreunde.
Landesfrauenrat: „Wir sind keine lästige Nörgeltruppe“
Anneliese Schmeh sprach für die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft Baden-Württemberg, Lynn Gogolin-Grünberg für Campact. Sie appellierte an den SPD-Konvent, „die Menschen in diesem Land“ nicht zu überhören und CETA abzulehnen. Der Protest werde nicht leiser werden, bis die Abkommen vom Tisch sind.
„Wir sind nicht grundsätzlich gegen Handelsabkommen. Aber: Wir sind gegen Handelsabkommen, die schon in deren Verhandlungsphase demokratische Rechte mit Füßen treten“, stellte die Vorsitzende des Landesfrauenrats Manuela Rukavina klar. Man erwarte, ernst genommen und „nicht als lästige Nörgeltruppe abgestempelt“ zu werden.
Katholische Arbeitnehmer: „Diese Wirtschaft tötet“
Alev Bahadir sprach für die DIDF-Jugend (Föderation der Demokratischen Arbeitervereine / Demokratik İşçi Dernekleri Federasyonu): „Freihandelsabkommen tragen nur im Interesse von Konzernen zur Zerstörung der Umwelt, der Ausbeutung der Natur und der Menschen bei, auch auf anderen Kontinenten“, sagt sie. Sie ging auch auf die Rede von „Ökonomischen Geflüchteten“ ein: Sie seien Menschen, „denen die Existenzgrundlage unter den Füßen weggezogen wurde, und es heißt, dass sie hier nichts verloren haben.“
Peter Niedergesäss, Diözesansekretär der Katholischen Arbeitnehmer-Bewegung KBA, sprach als letzter Redner. Mit den geplanten Freihandelsabkommen würden demokratisch errungene soziale Standards „auf dem Altar des Handels geopfert“. Die KAB kämpfe für Handelsverträge, die ethischen Grundsätzen Stand hielten und die „den Schwächsten und Armen eine Chance für ein gutes Leben ermöglichten, statt weiterhin die Gesellschaft zu spalten.“ Während seiner Rede gab es auf der Bühne ein Transparent mit dem Zitat von Papst Franziskus: „Diese Wirtschaft tötet.
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